Ampel streitet um Beitragsbemessungsgrenzen - Lindner will Rentenbeiträge noch stärker steigen lassen - nur Gutverdiener profitieren

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Will Gutverdiener entlasten: Finanzminister Christian Lindner (FDP).IMAGO/

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollte Gutverdiener im kommenden Jahr mehr Sozialabgaben zahlen lassen. Jetzt blockiert Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Plan und schlägt eine Alternative vor. Diese träfe Gering- und Normalverdiener hart im Geldbeutel.

Der jüngste Ampel-Streit dreht sich um Monatsgehälter, die die meisten Menschen nie verdienen, trifft aber womöglich gerade Normal- und Geringverdiener hart.

Heil wollte Gutverdiener deutlich mehr zur Rente, Pflege, Arbeitslosenversicherung und Krankenkasse beitragen lassen

Der Streit dreht sich um die Beitragsbemessungsgrenze. Diese legt fest, bis zu welchem Einkommen Menschen einen Teil ihres Gehalts in die Sozialversicherungen (Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- und gesetzliche Krankenversicherung) abführen. Wer mehr verdient, zahlt nur bis zu dieser Grenze Beiträge. Auf das darüber hinausgehende Einkommen werden keine Beiträge fällig. Das Beispiel Jamal Musiala verdeutlicht diesen Effekt.

Ursprünglich wollte das Arbeitsministerium die Beitragsbemessungsgrenzen im kommenden Jahr deutlich anheben.

  • In der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sollten künftig bis zu einem Monatseinkommen von 8050 Euro Beiträge fällig werden. Aktuell liegt der Wert in den alten Bundesländern bei 7550 Euro im Monat, in den neuen bei 7450 Euro.

  • Die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sollte von 5175 Euro auf 5512,50 Euro im Monat steigen.

Wer viel verdient, hätte also mehr Beiträge gezahlt: Bei einem Einkommen von über 8100 Euro rund 88 Euro im Monat, errechnete der Finanzwissenschaftler Frank Hechtner im Handelsblatt.

Hintergrund der Pläne war, dass die Löhne im Jahr 2023 um 6,44 Prozent gestiegen waren. Die Regierung passt die Beitragsbemessungsgrenzen an die Lohnentwicklung an, um die Lasten gleichmäßig auf Gering-, Mittel- und Besserverdienende zu verteilen.

Lindner sagt, es geht ihm um die Konjunktur. Aber er hat wohl größere Pläne

Diese Pläne hat Lindner laut Handelsblatt nun gestoppt. Das begründet er mit der Konjunktur. Solange die Wirtschaft schwächelt, wolle er den Menschen in Deutschland ihr Geld lassen, um die private Nachfrage anzukurbeln. Auch Gutverdiener sollen ihr Geld also lieber ausgeben als in die Rente einzahlen.

Dahinter steckt aber wohl mehr.

Mittelfristig will Lindner die Beitragsbemessungsgrenzen völlig neu berechnen, berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf interne Papiere seines Ministeriums. Bislang richtet die Regierung diese Grenzen nach der Lohnentwicklung. Steigen die Löhne stark, steigen die Beitragsbemessungsgrenzen ebenfalls stark.

Künftig wolle das Ministerium die Grenzen nach der Inflation berechnen, berichtet das Handelsblatt. Das entkoppelt sie von den Löhnen.

Das Ministerium argumentiere, dass die Regierung die Steuer-Beitragsgrenzen ebenfalls nach der Inflation richtet. Der Steuerfreibetrag, bis zu dem Angestellte keine Steuern zahlen, richtet sich beispielsweise vor allem nach der Inflation. Mehr Inflation mehr Freibetrag.

Das bisherige System berechnet die beiden Grenzen unterschiedlich, weil Angestellte mit dem Steuerfreibetrag wichtige Ausgaben decken sollen. Deren Höhe richtet sich nach der Inflation. Deshalb bildet diese den Maßstab. Die Beitragsbemessungsgrenzen sollen Lasten gerecht auf die Einkommen verteilen. Also richtet die Regierung sie nach der Lohnentwicklung.

Lindner will künftig beide Systeme nach der Inflation richten.

Lindners Plan verteilt die Kosten des Sozialsystems stärker auf Geringverdiener und Durchschnittsverdiener

Kommt Lindners Änderung, dürften Gutverdiener profitieren, während Normal- und Geringverdiener verlieren.

Das liegt daran, dass die Sozialversicherungen ihre Kosten vollständig oder zu einem Teil durch Beiträge decken. Die Summe dieser Beiträge steht also fest. Irgendwo muss das Geld herkommen. Die Frage lautet: Wer zahlt wie viel?

Lindners Vorschlag verändert die Antwort auf diese Frage. In den vergangenen Jahrzehnten stieg die Inflation langfristig geringer als die Löhne. Berechnet die Regierung die Beitragsbemessungsgrenzen künftig nach der Inflation, steigen diese ebenfalls langsamer.

  • Dadurch behalten Gutverdiener einen größeren Teil ihres Einkommens, ohne darauf Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.

  • Zahlen Gutverdiener weniger, müssen Normal- und Geringverdiener die Lücke schließen. Wahrscheinlich steigen die Beiträge stärker als angenommen.

Das könnte Gering- und Normalverdiener hart treffen. Bis 2035 rechnet die Bundesregierung ohnehin mit einem Anstieg der Rentenbeiträge von derzeit 18,6 auf 22,3 Prozent. Lindners Reform verstärkt diesen Anstieg wohl. Weil auch die Pflegeversicherung mehr Geld braucht, kommen auf Angestellte dadurch immense Zusatzbelastungen zu.

Der Effekt verstärkt sich im Laufe der Zeit. Mit jedem Jahr, in dem die Löhne stärker steigen als die Inflation, verlagert Lindners Reform die Lasten ein wenig mehr zu Geringverdienern.