Ampel-Aus nach Wahl in Brandenburg? - Wenn FDP die Ampel platzen lässt, hat Scholz einen Super-Trumpf in der Hand
Die FDP-Wahlniederlage in Brandenburg könnte zum Schlusspunkt der Ampel im Bund werden. Politikwissenschaftler Christian Stecker erklärt, wie es zum Koalitionsbruch kommen könnte – und warum das noch lange kein Ende für Olaf Scholz als Kanzler bedeuten muss.
Herr Stecker, die SPD und Ministerpräsident Dietmar Woidke haben bei der Landtagswahl in Brandenburg einen Sieg errungen – allerdings mit einem Kurs maximaler Distanz zum Kanzler und seiner Ampel-Koalition. Sitzt Scholz nun fester im Sattel oder ist das Ergebnis ein Misstrauensvotum gegen ihn?
Christian Stecker: Das Ergebnis ist tatsächlich mehrdeutig für ihn. Zum einen kann man in der SPD aufatmen, das Stammland Brandenburg nicht verloren zu haben. Andererseits ist das nur gelungen, weil Woidke sich explizit von der Bundespolitik und der Ampel-Koalition abgegrenzt hat. Ich tendiere aber eher zur ersten Sichtweise. Bei einer SPD-Niederlage wäre die Debatte um Scholz stärker ins Rutschen gekommen.
Neben dem ambivalenten SPD-Ergebnis sieht es für die anderen Ampelparteien nicht gut aus. Die Grünen fliegen aus dem Landtag. Und die FDP wird sogar nur noch unter den „Sonstigen“ geführt. Inwiefern bringt das neue Unruhe in die Koalition?
Stecker: Ich glaube, bei den Grünen wird die Parteispitze das Ergebnis richtig einordnen können, nämlich dass viele ihrer Anhänger die SPD gewählt haben, um einen AfD-Sieg zu verhindern. Und für die FDP bringt das Ergebnis eigentlich keine neue Qualität, ist es doch nur die Fortsetzung der Niederlagen-Serie bei Landtagswahlen. Allerdings werden die Liberalen, die an der Ampel zweifeln, nun weiter Aufwind erhalten. Dadurch kann eine Dynamik in Gang kommen, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass ein Koalitionsbruch opportun ist.
Jetzt geht es um Lindners politisches Überleben
Nach Informationen von FOCUS online hat FDP-Chef Christian Lindner am Sonntagabend seine wichtigsten Leute zu einer Krisensitzung zusammengetrommelt. Welche Kräfte wirken nun innerhalb der FDP?
Stecker: Die Bundestagsabgeordneten und Minister müssen sich nun fragen, was ihnen mehr Macht sichert – ein Verbleib in der Ampel oder ein Ausstieg, verbunden mit der Hoffnung, dadurch die Chance auf einen Wiedereinzug in den Bundestag zu erhöhen. Wenn man das Risiko scheut und in der Koalition bleibt, stellt sich allerdings die Frage, ob man in der relativ kurzen Zeit bis zur Bundestagswahl den Karren überhaupt noch aus dem Dreck gezogen bekommt.
Wo ist die Hoffnung auf einen Koalitionsbruch am größten?
Stecker: Die nächste Landtagswahl steht im März in Hamburg an. Für den dortigen Landesverband wäre es wahrscheinlich von Vorteil, wenn die Ampel noch vor der Wahl beendet würde. Dann könnte man frei auftrumpfen. Allerdings werden solche Stimmen nicht entscheidend sein.
Sondern?
Stecker: Christian Lindner selbst und sein Umfeld. Seine politische Karriere hängt am Überleben der FDP bei der nächsten Bundestagswahl. Lindner hat die FDP mit der Strategie in die Ampel geführt, als innerkoalitionäre Opposition und als anti-grün aufzutreten. Das hat sich offensichtlich nicht ausgezahlt. Er hat die Lage aber scheinbar trotzdem nie so eingeschätzt, dass die FDP sich mit eigenen Projekten in der Koalition eher profilieren könnte. Dafür hätte er jetzt auch nicht mehr viel Zeit. Insofern kann es sein, dass er zu einem politischen Stunt bereit ist – dem Koalitionsbruch.
Trumpf für Scholz: Bei FDP-Exit könnte er sich als Stabilitätsanker präsentieren
Scholz sitzt zwar dank des SPD-Sieges in Brandenburg etwas fester im Sattel, seine Kanzlerschaft könnte bei einem FDP-Ausstieg aus der Ampel aber trotzdem schnell enden. Wie könnte er Lindner noch zum Bleiben überreden?
Stecker: Wenn die FDP den Ausstieg öffentlichkeitswirksam verkündet, kann ich mir nicht vorstellen, dass Scholz seinen Koalitionspartner ums Bleiben anbettelt und Zugeständnisse macht. Er würde sich dann eher in die Debatte stürzen und den Bruch als unverantwortlich darstellen – das wäre dann sein Wahlkampfschlager. Scholz könnte sich als verlässlicher Kanzler darstellen, der um Stabilität bemüht ist.
Und wenn Scholz vor der öffentlichen Verkündung reagiert?
Stecker: Vielleicht könnte er den Bundeshaushalt als Trumpf einsetzen und der FDP dort Zugeständnisse machen. Möglicherweise gäbe es bei SPD und Grünen Verhandlungsbereitschaft darüber, wenn es ums Überleben der Koalition geht.
Trotz Koalitionsbruch könnte Scholz Kanzler bleiben
Angenommen, die FDP kommt tatsächlich zum Schluss, aus der Ampel aussteigen zu wollen – wie vollzieht man einen Koalitionsbruch?
Stecker: Das könnte analog zum Koalitionsbruch der FDP in der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt 1982 laufen: Lindner könnte entscheiden, seine Minister aus der Koalition zurückzuziehen. Damals folgte nach dem Bruch ein konstruktives Misstrauensvotum durch die oppositionelle Union. Zusammen mit der FDP stürzte sie Schmidt, indem sie Helmut Kohl mit ihrer Mehrheit zum neuen Kanzler wählten. Diese Variante ist unwahrscheinlich, eine alternative Regierungsmehrheit unter CDU-Chef Friedrich Merz ist mit den aktuellen Mehrheitsverhältnissen sehr unwahrscheinlich.
Was würde das bedeuten?
Stecker: Trotz des FDP-Ausstiegs aus der Ampel würde Scholz erstmal Kanzler bleiben. Er würde dann eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen anführen. Denn eine Selbstauflösung des Bundestages ist nicht möglich. Dazu bräuchte es einen Umweg, Scholz müsste die Vertrauensfrage stellen wie zum Beispiel Gerhard Schröder 2005.
Im Kampf um die Deutungshoheit hätte die FDP einen Vorteil
Wie könnte die FDP einen Koalitionsbruch gesichtswahrend erklären?
Stecker: Das wäre schwierig, denn die Erkenntnis, dass es mit der Ampel nicht mehr weitergeht, käme sehr spät. Ein Ausstieg ein Jahr vor der Bundestagswahl würde opportunistisch wirken. Aber im Kampf um die Deutungshoheit hätte man den Vorteil des „first movers“. Wenn man die Koalition platzen lässt, hätte man die passende Geschichte dazu schon in der Schublade und könnte sie passend inszenieren. SPD und Grüne müssten erst einmal ihren Umgang damit finden, bevor sie reagieren und eine Strategie finden würden.
Welche Geschichte könnte die FDP erzählen?
Stecker: Die FDP müsste auf die Inhalte der Ampel zielen, dass man diese nicht länger vertreten kann und dass sie schlecht für Deutschland sind. Man müsste darstellen, dass das Wohl des Landes mit einer anderen Koalition eher sichergestellt wäre.
Welche Koalitionsoptionen hat die FDP denn überhaupt noch?
Stecker: Im aktuellen Bundestag und wahrscheinlich in Zukunft sind es eigentlich nur Konstellationen, an denen auch SPD oder Grünen beteiligt sind. Die Zeiten von Schwarz-Gelb sind vorbei. Eine Jamaika-Koalition zum Beispiel könnte die FDP kaum besser verkaufen als die Ampel. Schließlich kam diese in dieser Legislaturperiode nicht zustande und 2017 hat Lindner sogar die Koalitionsverhandlungen dazu platzen lassen.
„Die FDP hat keine Bündnisoptionen mehr“
Ist die FDP dann überhaupt noch koalitionsfähig?
Stecker: Die Partei hat keine wirklichen Bündnisoptionen mehr. Zum einen hat man sich diese durch das Auftreten in den vergangenen Jahren verbaut. Zum anderen kann man selbst nur noch wenig Stimmgewicht zu einer möglichen Koalition beitragen. Das bedeutet, dass Koalition gegen die FDP einfacher möglich sein werden – wenn die Partei denn überhaupt in den Bundestag einzieht.
Angesichts dieser Lage: Rettet ein Ampel-Ausstieg dann überhaupt noch die Karriere von Lindner, oder sind seine Tage nicht ohnehin schon gezählt?
Stecker: Lindner ist eine sehr dominante Figur in der FDP. Die Abrechnungen bei den Wahlen treffen deshalb ganz besonders ihn. Er ist nicht mehr der unangefochtene Parteichef, der die FDP wieder groß gemacht hat, sondern schon jetzt der Parteichef, der sie auch wieder klein gemacht hat. Die Suche nach alternativen Kandidaten in der FDP wird beginnen, wenn man das realisiert.
Allerdings ist nicht nur Lindner mit dem Schicksal der Ampel verbunden, sondern im Grunde die ganze Führungsriege der FDP.
Stecker: Ja und wenn es in einer Partei eine so dominierende Person wie Christian Lindner gibt, können sich schwer neue Gesichter herauskristallisieren, die für frischen Wind stehen. Ich glaube aber, dass die FDP zum Beispiel mit dem aktuellen Justizminister Marco Buschmann oder dem stellvertretenden Vorsitzenden Johannes Vogel profilierte Politiker in den Reihen hat, die sich das zutrauen würden und die auch Vertrauen finden könnten.