Ampel ist zerbrochen - Politik-Experte: FDP-Deserteur machte Scholz ein großes Wahl-Geschenk
Das Ende der Ampel-Regierung ist nach monatelangen Streitereien besiegelt. Alle FDP-Minister sind entlassen worden - bis auf einen. Volker Wissing macht als Parteiloser weiter. Für Scholz ist das ein Geschenk, sagt ein Politologe.
Und da ist sie. Die Trennung. Nach monatelangem Streit ist die Ampel-Koalition zerbrochen. Alle Versuche, sich doch noch zu einigen, sind gescheitert.
Dass die Ampel gerade jetzt am Boden ist, hat mehrere Gründe. „Der Streit um den Haushalt hat die Konflikte zwischen den Ampel-Parteien eskalieren lassen – auch angesichts der problematischen Wirtschaftszahlen“, sagt Stefan Marschall, Politikprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, im Gespräch mit FOCUS online.
„Es wurde deutlich, dass hier Partner mit zu unterschiedlichen Vorstellungen von Staat und Wirtschaft zusammengefunden hatten. Eine gemeinsame Reaktion auf die Wirtschaftskrise war nicht mehr zu entwickeln.“
Darum ist die Ampel gerade jetzt zerbrochen
Aber auch der Wahlkampf für die kommende Bundestagswahl sowie die mauen Ergebnisse der Ampel-Parteien bei den vergangenen Landtagswahlen im Osten haben laut Marschall den Druck auf den Kessel steigen lassen.
Wer schuld am Koalitionsende ist, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Die gängigste: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der erst mit einem 18-seitigen Wirtschafts-Protestpapier für Wirbel sorgte und in Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) keine Kompromissbereitschaft gezeigt haben soll.
In seinem Statement zum Ampel-Aus am Mittwochabend ging Scholz den Liberalen hart an. Er habe der FDP ein Angebot vorgelegt, um die vieldiskutierte Milliardenlücke im Bundeshaushalt zu schließen, „ohne das Land ins Chaos zu stürzen“.
Es ging unter anderem um bezahlbare Energiekosten und den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie. Aber: „Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“
Lindner gibt dem Bundeskanzler die Schuld
Scholz warf Lindner Egoismus vor, sprach sogar von einem Vertrauensbruch. Er entließ den Bundesfinanzminister noch am Mittwochabend.
Lindner wiederum sieht die Schuld für das Scheitern der Ampel beim Bundeskanzler. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“, sagte er am Mittwochabend in Berlin. Der Kanzler habe die Zusammenarbeit mit der FDP und ihm aufgekündigt und damit „einen kalkulierten Bruch“ der Regierung herbeigeführt.
Für Politologe Marschall ist klar: „Jetzt hat das Blame-Game begonnen. Scholz möchte das lieber an einer Person, nämlich Lindner, festmachen und nicht an der labilen Ampel-Konstruktion oder an ihm als Chef der Koalition. Das ist schon Wahlkampf pur.“
Die FDP: Mitten in der elektoralen Todeszone
Lindner geht es wohl vor allem um die Zukunft der FDP. Denn um seine Partei steht es nicht gut, wenn man sich Umfragen anschaut. Im Moment würden es die Liberalen demnach nicht in den Bundestag schaffen.
„Die FDP befindet sich bereits jetzt in der elektoralen Todeszone. Bei den Landtagswahlen kam sie teilweise unter ein Prozent“, sagt auch Marschall. Was also tun, um die eigene Lage zu verbessern? Um die eigene Glaubwürdigkeit wieder zu steigern und bei der nächsten Bundestagswahl doch über fünf Prozent zu kommen?
„Man könnte sagen, die FDP begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Sie kann sich jetzt feiern lassen als die Partei, die die unbeliebte Ampelregierung terminiert hat. Vielleicht wird ihr das von dem einen oder anderen Wähler honoriert.“
Denkbar ist aber auch, dass Lindner und den Liberalen das Ampel-Ende auf die Füße fällt und sie als Deserteure dastehen, die in einer schwierigen geopolitischen Gemengelage - Donald Trump steht als neuer US-Präsident fest - auch noch die deutsche Regierung platzen ließen.
„Die deutsche Politik ist jetzt gelähmt“
„Die Wahl Trumps führt zu weiterer Verunsicherung und zu dramatischen Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik, aber auch in der internationalen Sicherheit. In einer solchen Phase benötigt man eine stabile Bundesregierung, um sich auf diese Probleme vorzubereiten, insbesondere mit den europäischen Partner“, sagt Marschall.
„Die deutsche Politik ist jetzt gelähmt, da die alte Regierung noch eine Zeitlang im Amt ist, aber nichts Grundlegendes mehr entscheiden kann und eine neue Regierung noch nicht geformt worden ist.“
Scholz will wohl im Januar die Vertrauensfrage stellen, also eine Neuwahl in die Wege leiten. Bis über einen neuen Bundestag abgestimmt wird, werden also noch mehrere Monate vergehen. Solange muss sich Rot-Grün allein durchschlagen.
Zumindest fast. Ein FDP-Minister bleibt dem Kabinett wohl erhalten, allerdings als Parteiloser: Bundesverkehrsminister Volker Wissing . Er will den Liberalen den Rücken kehren.
Volker Wissing macht Scholz mit seinem Verbleib ein Geschenk
Politikprofessor Marschall meint: „Wissings Entscheidung ist für die FDP heikel. Sie zeigt, dass man sich auch hätte anders entscheiden können.“ Scholz wiederum spielt Wissings Verhalten in die Karten. „Das unterstützt den Eindruck, dass nicht die FDP als Partei das Problem war, sondern einzelne Personen.“
Was am Ende auch klar ist: In der Bevölkerung hatte die Ampel schon lange keinen guten Ruf mehr. Vor rund einer Woche sagten 54 Prozent der Befragten im ARD-Deutschlandtrend , sie würden sich Neuwahlen wünschen.
„Insofern wird das Erlösungsgefühl zum Ampel-Ende stärker sein als der Schock – auch bei den beteiligten Parteien“, sagt Marschall. Gleichzeitig gäbe es jetzt eine ganze Reihe von Unsicherheiten bei allen Beteiligten, insbesondere, was die kommenden Wochen und die Neuwahl betrifft.
„Diese Unsicherheiten werden von der labilen weltpolitischen Lage noch zusätzlich verstärkt. Bei einigen der Betroffenen geht es schließlich auch um persönliche Schicksale, also um politische Karrieren, die vorzeitig beendet oder gebremst werden.“
Politologe Stecker: „Scholz versucht, Zeit zu gewinnen“
Der Politologe Christian Stecker von der Technischen Universität Darmstadt sieht es ähnlich. „Die Bundesrepublik gleitet nun in eine Phase des Wahlkampfes und es wird allen zügig klar werden, dass es angesichts der zersplitterten Stimmenverhältnisse nicht einfacher werden wird“, sagt er zu FOCUS online.
Stecker glaubt, dass Scholz die Koalition beendet und „damit Lindner interessanterweise unvorbereitet getroffen hat“. Genau sagen, wie es nun weitergeht, kann vermutlich niemand.
Es gibt aber Hinweise. „Scholz versucht nun, etwas Zeit zu gewinnen und sich - mit Hilfe von Kompromissen mit der Union - noch als handlungsfähiger Kanzler zu präsentieren“, meint Stecker.
Der Politologe glaubt zwar nicht, dass der Regierungschef damit offene Türen einrennen wird. Eher im Gegenteil: „Die Union wird wenig Interesse haben, zum Bild eines handlungsfähigen Kanzlers beizutragen.“ Ganz gegen Scholz' Werben kann sie sich aber nicht sperren, ohne einen Reputationsverlust zu riskieren.