Analyse der Brandenburg-Wahl - Woidkes Sieg-Rezept und Merz-Denkzettel: Das sind die 5 wichtigsten Wahl-Erkenntnisse

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nach dem Wahlsieg<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nach dem WahlsiegKay Nietfeld/dpa

Die SPD siegt in Brandenburg vor der AfD. Während sich Ministerpräsident Woidke darüber freuen kann, sollte der Sieg für seinen Parteifreund und Kanzler Olaf Scholz hingegen ein Alarmzeichen sein. Sein Konkurrent Friedrich Merz bekommt seinen ersten Denkzettel als Kanzlerkandidat.

Die Landtagswahl in Brandenburg war die dritte in Ostdeutschland im September. Zwar fokussierte sich wieder vieles auf die AfD. Aber in anderer Hinsicht unterscheiden sich die Verhältnisse in Brandenburg zu denen in Sachsen und Thüringen: Die SPD konnte nach langer Zeit wieder eine Wahl gewinnen. Die CDU, die erst vor wenigen Tagen ihren Bundesvorsitzenden Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten gekürt hat, schneidet hingegen historisch schlecht ab.

FOCUS online analysiert das Ergebnis mit Blick auf die fünf wichtigsten Punkte. Die Daten dafür stammen von Infratest dimap und der Forschungsgruppe Wahlen.

1. SPD mit bemerkenswertem Schlussspurt gegen den Scholz-Trend

Dass die SPD bei über 30 Prozent landen könnte, war bis Ende Juli kaum denkbar. Bei der Europawahl im Frühjahr holten die Sozialdemokraten in Brandenburg lediglich rund 15 Prozent, in den Umfragen dümpelten sie lange bei ungefähr 19 Prozent. In der heißen Phase zwei Monate vor der Landtagswahl setzte der amtierende Ministerpräsident Diemar Woidke dann aber auf einen Kniff, der ihm zu einem furiosen Schlussspurt verhalf.

Woidke ging auf maximale Distanz zu Parteifreund und Bundeskanzler Olaf Scholz. Gemeinsame Wahlkampfauftritte der beiden Regierungschefs: Fehlanzeige. Die maximale Distanz zu der unbeliebten Ampel im Bund hat sich nun ausgezahlt.

Denn mit Rückenwind von Scholz – der übrigens seinen Wahlkreis in Potsdam hat – war ohnehin nicht zu rechnen. Nur 20 Prozent der Brandenburger Wähler halten Scholz für einen guten Bundeskanzler, selbst unter den SPD-Anhängern bewertet keine Mehrheit den Kanzler positiv.

Die Zufriedenheit mit der Landesregierung unter Woidke stieg hingegen in den vergangenen Monaten leicht – was besonders an der Beliebtheit des Ministerpräsidenten selbst liegt. 65 Prozent aller Wähler bewerten Woidke positiv, anders als Scholz hat er auch nahezu alle Parteianhänger hinter sich. Selbst bei Wählern von CDU oder BSW ist Woidke mehrheitlich beliebt.

So gaben schließlich 48 Prozent der SPD-Wähler an, vor allem wegen Woidke für die Partei gestimmt haben – ein Erfolg für ihn persönlich, für die Sozialdemokraten ergibt das aber ein trügerisches Bild.

Die Landtagswahl als Möglichkeit, der Ampel im Bund einen Denkzettel zu verpassen, sahen in Brandenburg 56 Prozent der Wähler. Das ist zwar immer noch viel, aber weniger als bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Auch das ein Indiz dafür, dass Woidke es gelungen ist, nicht mit der Scholz-Regierung in Verbindung gebracht zu werden.

2. Landesthemen spielen in Brandenburg größere Rolle als in Sachsen und Thüringen

Mit der Distanzierung von Scholz ging ein weiterer Faktor einher, von dem die Brandenburger SPD profitieren konnte: Woidke lenkte die Aufmerksamkeit weg von der Ampel und bundesweit diskutierten Themen wie der Migrations- und Asylpolitik. Die waren zwar ebenfalls gewichtig bei der Wahlentscheidung, aber nicht so eindeutig wie bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen.

Die größte Rolle für die Wahlentscheidung spielte das Thema soziale Sicherheit, gefolgt von der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Sozialdemokrat Woidke konnte davon profitieren. Gute 32 Prozent der Brandenburger sprechen der SPD Kompetenzen bei der sozialen Gerechtigkeit zu, 28 Prozent bei der Wirtschaftspolitik. Außerdem sehen ein Viertel der Brandenburger auch die Themen Schule und Bildung als wichtiges Problem – ein klassisches Landesthema. Immerhin 26 Prozent sehen hier Kompetenzen bei der SPD.

3. Wieder profitiert ein Regierungschef von der AfD-Zuspitzung

Ein weiterer Kniff, mit dem Woidke punkten konnte: Er setzte den Brandenburgern die Pistole auf die Brust, in dem er ankündigte, im Falle eines AfD-Wahlsiegs nicht Ministerpräsident bleiben zu wollen. Das schreckte viele Wähler auf. Nicht nur, weil Woidke so beliebt ist, sondern auch, weil ein möglicher AfD-Wahlsieg offenbar starke Abwehrreflexe bei ihnen hervorruft.

Jeweils über 90 Prozent der Wähler von SPD, Grünen und Linken bewerten eine Regierungsbeteiligung der AfD negativ, bei den Wählern der CDU sind es rund drei Viertel, bei BSW-Wählern immerhin zwei Drittel.

Ganze 75 Prozent der SPD-Wähler geben in der Nachwahlbefragung an, zwar nicht von ihrer Partei überzeugt zu sein, sie aber gewählt zu haben, um eine starke AfD zu verhindern. Die SPD konnte die meisten Wähler von den Grünen hinzugewinnen – die Abwanderung könnte den Grünen sogar den Einzug in den Landtag kosten. Außerdem wanderten viel Wähler von Linke und CDU zur SPD, Woidke profitierte außerdem von der gestiegenen Wahlbeteiligung.

Damit wiederholt sich in anderer Farbe ein Muster, das bereits Anfang September bei der Landtagswahl in Sachsen zu sehen war: Von der Zuspitzung um einen möglichen AfD-Wahlsieg kann ein eher beliebter Ministerpräsident profitieren. In Sachsen profitierte Michael Kretschmer und die CDU, nun eben Woidke und die SPD.

4. Ein Merz-Boost für die CDU bleibt aus

Die Kür eines Kanzlerkandidaten kann für eine Partei einen echten Boost bringen – zum Beispiel löste Martin Schulz 2017 bei der SPD zwischenzeitlich eine enorme Euphorie aus. Dass Friedrich Merz die CDU in den Bundestagswahlkampf 2025 führen wird, ist zwar erst seit knapp einer Woche klar. Aber Stand jetzt kann von Rückenwind durch seine Kandidatur keine Rede sein: Die CDU hat in Brandenburg ihr drittschlechteste Landtagswahlergebnis in der deutschen Geschichte eingefahren.

In der CDU-Parteizentrale führt man das vor allem auf das taktische Wählen der SPD gegen die AfD zurück. Doch die Wählerwanderung gibt diese Interpretation nur bedingt her. Ja, 13.000 ehemalige CDU-Wähler stimmten jetzt für die SPD. Aber noch größer war die Abwanderung zur AfD mit 22.000 Wählern. Offenbar nutzte die Fokussierung der CDU auf die Migrationsfrage nicht der eigenen Partei – sondern der, die das Thema längst zu ihrem Markenkern gemacht hat.

Das liegt auch daran, dass Merz offenbar mit einem Gespenst kämpfen muss, das immer noch über seiner Partei schwebt: Die Mehrheit der Brandenburger schreibt es nämlich den Unionsparteien zu, dass in den vergangenen Jahren so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind – unter Merz‘ alter Widersacherin Angela Merkel.

Das schlägt sich auch darin nieder, dass nur 19 Prozent der CDU Kompetenzen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zuschreiben. Ebenso hoch ist der Wert bei der SPD – am höchsten aber bei der AfD. Außerdem glauben fast zwei Drittel, dass es Merz in der Flüchtlingspolitik mehr um sich selbst als um eine gute Lösung geht.

Doch auch insgesamt muss Merz daran arbeiten, von der Oppositionsrolle in eine zu wechseln, in der die CDU konstruktive Vorschläge macht. Denn nur 33 Prozent der Brandenburger glauben, dass eine von der Union geführte Bundesregierung die Aufgaben und Probleme besser als die Ampel lösen könnte. Selbst bei den eigenen Anhängern ist viel Luft nach oben: Nur rund die Hälfte der CDU-Wähler in Brandenburg glaubt, dass Merz ein guter Bundeskanzler wäre.

5. Die AfD ist stark, bleibt aber dennoch hinter den Erwartungen zurück

Die AfD lag in den Umfragen lange Zeit auf dem ersten Platz. Kein Wunder also, dass sich viele in der Partei schon auf ihren zweiten Wahlsieg in der Geschichte freute. Doch wie auch in Sachsen blieb die als rechtsextrem eingestufte AfD hinter den Erwartungen zurück.

In Brandenburg könnte das auch daran gelegen haben, dass der Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt im Wahlkampf auf ein Thema setzte, das vielen letztlich zu extrem war. Berndt hatte nach dem Anschlag in Solingen nämlich gefordert, Flüchtlingen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zu verbieten. Doch diesen Vorschlag unterstützten nur 30 Prozent der AfD-Wähler.

Ähnlich wenig Zustimmung erhalten in dieser Gruppe andere radikale Ideen: Nur 21 Prozent fänden es gut, wenn in Deutschland nur Deutsche leben würden. Und nur zehn Prozent sprechen sich in dem Sinne für Remigration aus, dass auch Migranten, die schon lange hier arbeiten und einen deutschen Pass haben, das Land verlassen sollen.

Ein weiterer Grund für das starke, aber nicht überragende Wahlergebnis der AfD: Rund 14.000 der ehemaligen Wähler entschieden sich diesmal für das BSW. Außerdem konnte die AfD weniger Nichtwähler mobilisieren als die SPD.