Analyse zum Bundesliga-Klassiker - Was dem BVB fehlt – und welches ironische Problem jetzt den Bayern droht

Thomas Müller (l.) ersetzte im Topspiel gegen den BVB den verletzten Harry Kane<span class="copyright">dpa</span>
Thomas Müller (l.) ersetzte im Topspiel gegen den BVB den verletzten Harry Kanedpa

Das 1:1 zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern zeigt, dass sich der BVB weiter stabilisiert – mit zwei Einschränkungen. Die Münchner können den Bundesliga-Klassiker aus verschiedenen Perspektiven bewerten. Allerdings droht ihnen ein ironisches Problem.

Wenn das Tageslicht aus- und das Flutlicht angeht, irgendwann in der dunklen Jahreszeit, dann ist meistens Zeit für den ewigen Klassiker: Borussia Dortmund gegen den FC Bayern, die beiden Leuchtturmclubs der Liga, am Samstagabend stieg der 136. Vergleich. Beim 1:1 trafen Jamie Gittens (27. Minute) für Dortmund und Jamal Musiala (85.) für Bayern, zwei Serien rissen: Der BVB gewann im neunten Heimspiel dieser Saison erstmals nicht, die Münchner kassierten ihr erstes Gegentor nach 690 Pflichtspielminuten.

Und was machen wir jetzt damit? Nun ja: möglicherweise Folgendes.

BVB überzeugt mit Mut gegen den FC Bayern

Vor Anpfiff referierte BVB-Coach Nuri Sahin vom „ultimativen Test“ für sein Team, dessen Trend zuletzt nach oben zeigte (Stichwort: Auswärtsbilanz). Sahin verlangte, auch gegen den Rekordmeister „unsere Linie durchzubringen“, seine Dortmunder sollten sich nicht einnisten wie das Gros der Bayern-Rivalen, sondern die „mutige Variante“ wählen. Also Attacke.

Dortmunds Jamie Gittens (M) trifft zum 1:0.<span class="copyright">dpa</span>
Dortmunds Jamie Gittens (M) trifft zum 1:0.dpa

 

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Obwohl Julian Brandt fehlte und sich Waldemar Anton früh verletzte, überzeugte der BVB anfangs mit aggressivem Pressing, einer kernigen Abwehrarbeit sowie ausgeprägter Effizienz: Gittens schloss ein herrliches Solo zur Führung ab. Zu bestaunen war Dortmunder Konsequenz, initiiert vom emsigen Mittelfeldgespann Pascal Groß/Felix Nmecha/Marcel Sabitzer und vielleicht am besten symbolisiert durch Julian Ryerson, der wie ein bissiger Kettenhund seine rechte Seite verteidigte.

BVB bekommt Lob mit zwei Einschränkungen

„Wir haben sehr intensiv gespielt, sind sehr hoch angelaufen und haben das gut gemacht“, lobte Sahin via Sky und hob eine „sehr gute Dortmunder Mannschaft“ hervor. Mit Recht. Aber auch: mit zwei Einschränkungen.

Zum einen schafften es die Westfalen nicht, ihre Gangart über die Distanz zu konservieren. Als die Wege weiter, die Kraft weniger und die Bayern zielstrebiger wurden, wich der Mut fast zwangsläufig einer gewissen Passivität. Zwar vergab Sabitzer im Eins-gegen-Eins mit Manuel Neuer (62.), dennoch deutete sich der Ausgleich lange an. „Am Ende war es leider verdient mit dem 1:1“, räumte Sahin ein.

Zum anderen kreist die Frage nach konstanter Wiederholbarkeit über Dortmunds Saison, die bisher einem nervösen Wellental glich. So muss das, was Aushilfskapitän Nico Schlotterbeck diesmal sagte, fortan als Maßstab gelten: „Wir haben alles rausgehauen und ein super Spiel gemacht. Die Mannschaft ist stabil.“ Nächste Woche gastiert der BVB in Gladbach.

Der FC Bayern und die Frage nach der Deutung

Spannend auch, welch unterschiedliche Auslegungen sich aus bayerischer Perspektive ergeben. Das Narrativ ist ja beliebig wählbar: Hatte der Tabellenführer etwa eine neue Verwundbarkeit offenbart – trotz aller Justierungen und Dosierungen in Vincent Kompanys Fußballdoktrin? Oder hatte er bewiesen, einige Entwicklungsschritte vollzogen zu haben seit den wie üblich apokalyptischen Pleiten bei Aston Villa und Barcelona, die inzwischen Jahre zurückliegen müssen?

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Kompany entschied sich für Letzteres, ohne Ersteres zu ignorieren. „Wir waren am Ball nicht sauber, das war nicht unser bestes Niveau“, sagte er über die erste Hälfte, die auffällig viele Mängel entlarvte: einen fahrigen Spielaufbau, schlampige Pässe, zusammenhangslose Stafetten, keine Wucht im Angriffsdrittel.

Bayern-Trainer Vincent Kompany<span class="copyright">Foto: IMAGO</span>
Bayern-Trainer Vincent KompanyFoto: IMAGO

 

Dann aber, meinte Kompany, „haben wir Charakter gezeigt, wir hatten Geschwindigkeit, Dribblings, viele Chancen“. Und sie hatten Musiala, der sich zur Ein-Mann-Zentralachse der Bayern aufschwang, fast alles lief über ihn, sein Kopfballtor: stilecht. 68 Prozent Ballbesitz, 539:220 Pässe und 14:7 Torschüsse sprachen für rote Dominanz im schwarz-gelben Territorialgebiet. „Das war ein gutes Spiel für die Bundesliga“, fand Kompany.

Bayern-Sorgen ausgerechnet im hochwertigen Angriff

Allerdings gehört zur Wahrheit, dass es im Winter 2024 durchaus Personalien gibt, über die diskutiert werden darf – Bayern-Stars, denen es an Form und/oder Rhythmus mangelt, ironischerweise gerade in der hochwertigen Offensive, wo Musiala aktuell die einzige verlässliche Figur ist.

Bayerns Jamal Musiala jubelt nach seinem Treffer während des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und Bayern München.<span class="copyright">AP</span>
Bayerns Jamal Musiala jubelt nach seinem Treffer während des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und Bayern München.AP

 

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Da wäre Michael Olise, der den Ausgleich vorbereitete, zuletzt aber kein wirklicher Faktor war. Oder Mathys Tel, der überraschend in der Startelf stand und erkennen ließ, warum er seit Monaten stagniert. Oder Leroy Sané, der höchstwahrscheinlich kein Spieler mehr wird, vom dem anzunehmen ist, dass er (regelmäßig) große Impulse in großen Spielen setzt. Oder Leon Goretzka, der keine Argumente in eigener Sache lieferte. Eher im Gegenteil.

Und natürlich: Harry Kane. Oberschenkelverletzung, Auswechslung, Alarmstimmung. Die Vakanz eines Stoßstürmers ist beim FC Bayern nicht zu kaschieren, auch nicht von Thomas Müller, der immer noch viele schlaue Gedanken hat, aber die schlauen Gedanken als 35-Jähriger seltener in seine Füße übertragen kann. Was in Dortmund erneut sichtbar wurde.

Am Dienstag münden Bayerns Topspiel-Tage im brisanten DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Leverkusen. Vorweihnachtliche Besinnlichkeit? Nur bei einem Sieg. Sonst muss das Christfest schon ausfallen, ehe überhaupt Nikolaus war.