Analyse von Carsten Fiedler - Söder gegen Wüst: In der Union tobt das Duell um die Rolle des Kronprinzen
Die K-Frage ist entschieden, doch der Kampf um Platz zwei hinter Friedrich Merz hat in CDU und CSU gerade erst begonnen. Das zeigen deutliche Worte aus Bayern und ein Migrations-Vorstoß des NRW-Ministerpräsidenten.
Hendrik Wüst ist sehr präsent in diesen Tagen in der Hauptstadt. Der CDU-Politiker aus Düsseldorf sendet auf vielen Berliner Kanälen. Am Donnerstagabend saß er bei Maybrit Illner im Studio.
Die Moderatorin ließ ihn in seiner derzeit liebsten Rolle glänzen: Als moderner Landesvater und Brückenbauer. Der es mit den Grünen kann. Der aber auch klare Kante beim Thema Asyl und Sicherheit zeigt.
Am Freitag dann brachte der NRW-Ministerpräsident gemeinsam mit seinen Kollegen aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zwei Anträge zur Migrationspolitik und zur Terrorismusbekämpfung in den Bundesrat ein.
Ganz schön viel Tamtam ausgerechnet in einer Woche, zu deren Beginn sein partei-interner Gegenpart Friedrich Merz offiziell zum Kanzlerkandidaten der Union ausgerufen wurde.
Jetzt hat der Kampf um die Rolle des Kronprinzen begonnen
Wer an Zufälle glaubt, liegt in der Politik so gut wie immer falsch. Und so ist es auch hier: Es geht in der Union weiter um Macht und Einfluss, um die weiteren Plätze auf dem Podest.
Die K-Frage für die kommende Bundestagswahl ist zwar entschieden, doch der Kampf um die Rolle des Kronprinzen zwischen Wüst und dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) hat gerade erst begonnen. In diesen Tagen sendet der Westfale das klare Signal an den Bayern, ihm in der Frage des Kanzlerkandidaten der Reserve nicht den Vortritt lassen zu wollen.
Als Reaktion auf dem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag von Solingen legten NRW, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zwei Entschließungsanträge im Bundesrat vor.
Der Bund wird darin aufgefordert, für schnellere Asylverfahren und härtere Strafen für Terroristen zu sorgen. Nach dem geplatzten Asyl-Gipfel zwischen Ampel-Regierung und Union soll so wieder Druck über die Länderschiene aufgebaut werden.
Wüst steht schwarz-grüner Regierung vor
Spannend ist aber auch: In allen drei Ländern, die die Anträge stellten, regieren CDU und Grüne gemeinsam. Die nicht allzu schwer zu entschlüsselnde Botschaft lautet also: Konservative und Ökos können sich sehr wohl zusammentun – selbst bei den Spaltthemen Asyl und Terrorbekämpfung.
Kopf und Initiator des Vorstoßes ist Hendrik Wüst, der seit knapp zweieinhalb Jahren einer schwarz-grünen Regierung an Rhein und Ruhr vorsteht.
Nahezu geräuschlos lenkt er das Bündnis bislang mit Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, einer Realo-Grünen und Vertrauten von Robert Habeck.
Kleine Beobachtung am Rande: Am Kurs der Grünen in NRW lässt sich bereits in Grundzügen erkennen, wie Habeck die Partei auf Bundesebene ausrichten will.
Zurück in den Bundesrat. Dort erklärte Wüst staatsmännisch, das Thema Migration und die Sicherheitslage bereiteten vielen Menschen im Land große Sorgen: „Wir brauchen darauf eine Antwort aus der politischen Mitte heraus.“
Terrorismusbekämpfung: Länder fordern Verschärfung des Strafrechts
Konkret gefordert werden in dem schwarz-grünen Migrationspaket beschleunigte Asylverfahren für Herkunftsstaaten mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent sowie eine bundesweite Datenbank zu Identitäten und Aufenthaltsorten von Ausreisepflichtigen. Außerdem die
konsequentere Überstellung von Asylbewerbern in andere EU-Staaten nach der Dublin-Verordnung und der Abschluss von weiteren Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern.
Im Bereich der Terrorismusbekämpfung fordern die Länder eine Verschärfung des Strafrechts. So soll künftig auch die Vorbereitung von Anschlägen mit „gefährlichen Werkzeugen“ wie Messern strafbar sein. Zudem soll die Finanzierung von Terrorismus härter bestraft und die Vorratsdatenspeicherung ausgeweitet werden.
Im Bundesrat stieß die Initiative auf breite Zustimmung. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lobte die Vorschläge und hob mit einem Seitenhieb gegen CDU-Chef Merz hervor, dass die von ihm geforderten umfassenden Zurückweisungen an deutschen Landgrenzen in dem Antrag nicht erwähnt werden.
Söder über Grüne: „Hatten ihre Chance“
Auf eine schnelle Umsetzung dürfen die Länder dennoch nicht hoffen: Dafür braucht es Gesetzesänderungen durch den Bundestag oder Anpassungen des EU-Rechts. Ob das geschnürte Paket tatsächlich ein großer Wurf ist, bezweifelte in der Talkrunde bei Illner der Migrationsforscher Ruud Koopmans.
Es ist also auch eine gehörige Portion Symbolik im Spiel – und ein Wink mit dem Zaunpfahl von Wüst an diejenigen in der eigenen Partei, die schwarz-grünen Bündnissen skeptisch gegenüberstehen, wie Friedrich Merz. Oder sie als Zukunftsoption kompromisslos ablehnen. Wie Markus Söder.
Nach seinem Rückzug in der K-Frage vergeht derzeit kaum ein Tag, am dem Söder nicht das Signal sendet: Eine Regierung mit den Grünen sei mit ihm nicht zu machen. Für große Teile der bürgerlichen Wähler sei die Ökopartei inakzeptabel: „Sie hatten ihre Chance und haben den Praxistest nicht bestanden“, sagte Söder der „FAZ“.
Die Grünen seien ideologisch, sähen sich eher als Aktivisten, seien nicht regierungsfähig. Wirtschaftsminister Habeck, nach dem Rücktritt der Grünen-Parteispitzen Omid Nouripour und Ricarda Lang der verbliebene starke Mann und mögliche Grünen-Spitzenkandidat, stehe „für den Niedergang der deutschen Wirtschaft: Gasumlage, AKW-Ausstieg, Heizgesetz und die Streichung der Elektromobilitätsprämie – alles schwere ökonomische Fehler.“ Deutlicher kann eine Absage an eine mögliche Zusammenarbeit nach der nächsten Bundestagswahl nicht ausfallen.
Merz will Koalition mit Grünen nicht ohne Wenn und Aber ausschließen
Söders starker Mann in Berlin, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, gab den CDU-Länderchefs, die mit den Grünen regieren, sogar noch deftiger einen mit: „Der eine oder andere Schwarz-Grün-Romantiker in den Bundesländern muss realisieren, dass sich Deutschland weder umerziehen lassen will, noch ein Versuchskaninchen für links-grüne Ideologieprojekte sein will“, ätzte Dobrindt.
Zwischen den Antipoden Söder, dem „Grünen-Fresser“, und Wüst, dem „Grünen-Versteher“, steht der Parteichef und Kanzlerkandidat.
Anders als Söder ist Merz nicht dafür, eine Koalition mit den Grünen ohne Wenn und Aber auszuschließen – allein schon aus taktischen Gründen, um die Verhandlungsposition der Union nach der nächsten Bundestagswahl nicht zu schwächen.
In der Frage des strategischen Umgangs mit den Grünen sind sich Merz und Wüst, die beiden Männer aus Nordrhein-Westfalen, insgeheim eindeutig näher. Und auch dass Wüst mit seinem Plädoyer für Merz als Kanzlerkandidat vorpreschte und damit für große Verärgerung bei Söder sorgte, dürfte Merz insgeheim gefallen haben. Er darf es sich nur nicht anmerken lassen.
Wüsts Schachzug in K-Frage angeblich mit Merz abgesprochen
Zwar muss Merz aufpassen, dass sein Verhältnis zu CSU-Chef intakt bleibt. Eine unionsinterne Schlammschlacht, wie es sie rund um den letzten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet gegeben hat, will Merz unbedingt verhindern.
Dennoch ist aus Düsseldorf zu hören, dass Wüsts Schachzug in der K-Frage mit Merz abgesprochen war. Dieser habe sich die volle Unterstützung des stärksten CDU-Landesverbandes unbedingt gewünscht.
Die Entschließungsanträge für eine härtere Gangart gegen die illegale Migration könnten „eine Brücke sein, über die man dann auch zügig gehen sollte“, erklärte Wüst im Bundesrat in Richtung der Bundesregierung und der Ampelfraktionen. Vielleicht hatte Wüst dabei aber auch eine andere Brücke im Kopf – nämlich die, die er sich selbst bauen will, zum Platz des Kronprinzen hinter Merz und vor Söder.
Strategisch ist das durchaus klug. Doch Wüst muss aufpassen, dass ihm die erste große Baustelle, die sich in seiner schwarz-grünen Landesregierung aufgetan hat, nicht auf die Füße fällt. Und diese hat etwas mit der Vorgeschichte des tödlichen Messer-Attentats von Solingen zu tun.
Drei Punkte entscheiden, wer Kronprinz der Union wird
Der mutmaßliche Täter, Issa Al H., sollte schon Anfang 2023 abgeschoben werden. Doch das misslang, weil die Behörden in NRW versagten. Die politischen Verantwortlichkeiten dafür werden in einem Untersuchungsausschuss noch zu klären sein.
Insbesondere die grüne Flüchtlingsministerin Josefine Paul ist harter Kritik ausgesetzt. Noch steht Wüst zu seiner grünen Kabinettskollegin – wohl auch in der Hoffnung, dass sich die Fragen rund um die Anwendung der Abschieberegeln in NRW weiterhin vor allem an Paul richten und nicht an ihn.
Die Opposition im Düsseldorfer Landtag macht jedenfalls deutlich, dass die Sache für Wüst noch lange nicht ausgestanden ist. Wer nicht viel mehr zu bieten habe als „eine Aufforderung an den Bund, will offenbar nur weiter davon ablenken, dass die Fehler in eigener Zuständigkeit passiert sind“, sagt SPD-Fraktionschef Jochen Ott. Schwarz-Grün bleibe zudem eine Antwort schuldig, wie das Sicherheitspaket finanziert werden soll.
Die grüne Gretchen-Frage, die Themen Migration und Innere Sicherheit – sie werden in den nächsten Monaten entscheidend dafür sein, wer sich hinter Friedrich Merz als Nummer zwei und Kronprinz positionieren kann.