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Analyse: Ende der Geduld

Die US-Botschaft in Berlin in der Nähe des Brandenburger Tors. Foto: Maurizio Gambarini

Wie das halt so ist, wenn eine Partnerschaft nach vielen, vielen Jahren in der Krise steckt. Man ruft sich die guten Zeiten in Erinnerung, man wartet und man hofft. Aber irgendwann ist es mit der Geduld dann auch vorbei. Am Donnerstag war es für Angela Merkel so weit.

Nach einem Jahr NSA-Affäre mit immer neuen Enthüllungen über die Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste auf deutschem Boden ließ die Kanzlerin eine kurze Mitteilung veröffentlichen. Der wichtigste Satz: «Der Repräsentant der US-Nachrichtendienste an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen.»

Parallel dazu wurde der Mann zum Gespräch ins Innenministerium gebeten. Dort bekam Amerikas oberster US-Geheimdienstler in Berlin den Rausschmiss von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen auch persönlich mitgeteilt. Im diplomatischen Umgang zwischen befreundeten Staaten bedeutet eine solche De-facto-Ausweisung nahezu die Höchststrafe - zumal, wenn sie nicht stillschweiegnd über die Bühne geht, sondern sofort auch noch öffentlich gemacht wird.

Trotzdem hat in Berlin niemand Zweifel daran, dass die Amerikaner ihren Chief of Station (COS) nun zügig nach Hause holen werden. Andernfalls wäre als Steigerung noch möglich, dass der Mann von der Bundesregierung offiziell zur «persona non grata» erklärt wird, zur unerwünschten Person also. Dann blieben ihm noch 72 Stunden, um Deutschland zu verlassen. Daran dürften aber auch die Amerikaner keinerlei Interesse haben.

Zwischen Deutschland und den USA gab es einen Fall von vergleichbarer Größenordnung bislang nur ein einziges Mal: Mitte der 90er Jahre, damals noch in Bonn, hatte ein CIA-Mann namens Geoffrey Plant versucht, einen Referatsleiter im Wirtschaftsministerium anzuwerben. Der Beamte schaltete gleich den Verfassungsschutz ein. Nach der Aufforderung zur Ausreise bestritten die Amerikaner die Vorwürfe zwar, zogen ihren Agenten aber ab.

Im aktuellen Fall ist von dem US-Repräsentanten noch nicht einmal bekannt, wie er heißt - nicht besonders wichtig, weil Geheimdienstler ohnehin gern unter anderem Namen arbeiten. Auch ist nicht klar, wieviel Verantwortung er selber trägt. Der Mann ist am Brandenburger Tor erst seit einem halben Jahr im Dienst. Alle bislang bekannten Spionagefälle hat er übernommen: die NSA-Affäre, den mutmaßlichen Zuträger der Amerikaner im Bundesnachrichtendienst (BND) und auch den mutmaßlichen Spion im Verteidigungsministerium.

Trotzdem bekommt der Geheimdienstler nun den gesamten Groll ab. Wie groß der ist, machte Merkel deutlich, kurz bevor sie die Mitteilung verschicken ließ. Mit gesundem Menschenverstand betrachtet sei das Ausspionieren von Verbündeten «letztlich Vergeudung von Kraft». «Im Kalten Krieg mag das ja so gewesen sein, dass man sich gegenseitig misstraut hat. Aber wir leben heute im 21. Jahrhundert», fügte sie hinzu. Und: «Wir haben so viele Probleme. Und wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren.» So klare Worte hat man von Merkel in der Angelegenheit öffentlich bislang noch nie gehört.

Fast zur gleichen Zeit beschäftigte sich das Bundestagsgremium zur Kontrolle der deutschen Geheimdienste mit der Affäre. In einem abhörsicheren Raum ließen sich die Abgeordneten von Regierungsleuten, Geheimdienstchefs und Bundesanwaltschaft erklären, was an den neuen Spionagevorwürfen dran ist. Und wenn es nach der Opposition geht, kann die Aufforderung an den Amerikaner, das Land zu verlassen, nur ein erster Schritt sein.

Verwundert reagierten Linke und Grüne auf eine weitere Botschaft, die an diesem Tag aus der Regierung kam. Innenminister Thomas de Maizière gab Entwarnung, was die Brisanz der abgefischten Informationen angeht. «Wenn es dabei bleibt, was wir jetzt wissen, sind die durch diese mutmaßliche Spionage gewonnenen Informationen lächerlich.»

Das passt nach Ansicht der Oppositionsleute nicht zu dem, was ihnen im Kontrollgremium berichtet wurde. «Nach dem, was ich heute gehört habe, halte ich die Informationen nicht für lächerlich», sagte der Linke-Abgeordnete André Hahn. Es seien durchaus brisante Dinge dabei. Auch der Grüne Hans-Christian Ströbele wunderte sich sehr über de Maizière: «Ich fürchte, dass der Kollege nicht ausreichend informiert ist. Sonst hätte er das so nicht sagen können.»

Schon einmal gab ein Regierungsmitglied in der Spähaffäre Entwarnung. Nicht ganz ein Jahr ist es her, dass der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) just vor dem Raum des Kontrollgremiums erklärte, der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung sei vom Tisch. «Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung.» Der NSA-Skandal war für Pofalla damit beendet - reichlich verfrüht, wie sich herausstellte.

Für die Bundesregierung wird es nun darum gehen, die Partnerschaft mit den USA wieder in Ordnung zu bringen. Einen ersten Termin dafür gibt es schon. Am Wochenende will Außenminister Frank-Walter Steinmeier seinen US-Kollegen John Kerry treffen - nicht in Washington und auch nicht in Berlin, sondern praktisch auf neutralem Gelände: in Wien.

US-Geheimdienste

Website CIA

New York Times zur CIA

Washington Post zur CIA

Website der NSA

Washington Post zum Budget der US-Geheimdienste

Süddeutsche Zeitung zu US-Geheimdiensten

Website der DIA

Website des FBI

Website des NRO

Mitteilung der Bundesregierung

Website der NGA