Analyse: EU solidarisch mit Ukraine - Britische EU-Zukunft ungewiss

In der britischen Presse wird die Abstimmung für Jean-Claude Juncker als krachende Niederlage für Premierminister David Cameron (l) kommentiert. Foto: Guido Bergmann/Bundesregierung

Nach all dem Gezerre um den Kandidaten Jean-Claude Juncker schien sich der EU-Gipfel irgendwie zu verzetteln: Kommissionspräsident, Arbeitsprogramm für fünf Jahre, mehr Flexibilität beim Defizitabbau, Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Moldau und Georgien.

Sicherheitshalber war auch schon ein weiteres Treffen für den 16. Juli anberaumt. Dann aber wurde es am Freitag kurz vor 14.00 Uhr doch noch dramatisch: Ultimatum an Moskau.

Unerwartet klar ist die Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bis Montag muss ein Mechanismus in Kraft sein, der eine wirksame Kontrolle der Waffenruhe im Südosten der Ukraine und der Situation an der russischen Grenze ermöglicht. Geiseln müssen freigelassen, Grenzposten zurückgegeben werden. Ausdrücklich schloss Kanzlerin Angela Merkel rasche Wirtschaftssanktionen der Stufe drei nicht aus.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist erfreut über die Solidarität der EU. Gerade hat er den zweiten Teil des Partnerschaftsabkommens mit der EU unterschrieben - mit einem Füllhalter vom EU-Ostpartnerschafts-Gipfel im litauischen Vilnius.

Damals hätte Poroschenkos gestürzter Vorgänger Viktor Janukowitsch eigentlich das Abkommen abzeichnen sollen. Er tat es nicht, monatelange Proteste waren die Folge. Seitdem hat sich die Lage in der Ukraine dramatisch verschlechtert.

Aber nicht nur Krieg und Frieden beschäftigten den Gipfel, der am Donnerstagabend im flämischen Ypern mit dem Gedenken an die Millionen Toten des Ersten Weltkriegs begonnen hatte. Wenig später ging es beim Abendessen dann um die vergleichsweise schlichte, aber eben auch komplizierte Frage, wie flexibel die EU-Mitglieder künftig die Brüsseler Auflagen für Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin interpretieren dürfen.

Zwischen Kanzlerin Angela Merkel und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi soll es darüber einige heftige Wortwechsel gegeben haben; Experten mussten noch einmal an das Abschlusspapier des Gipfels Hand anlegen. Die Nachtschicht hat ziemlich lange gedauert.

Bei einem kurzen bilateralen Treffen Merkels mit Renzi am Freitagmorgen war dann angeblich wieder alles gut. «Besten Gebrauch machen» von der Flexibilität, die im Stabilitätspakt vorgesehen ist, heißt es nun. Eine klassische Brüsseler Formulierung mit ganz viel Interpretationsspielraum. «Ich begrüße, dass Italien einen klaren Reformplan hat», lobte die Kanzlerin immerhin.

Die Nominierung Junckers zum Kommissionspräsidenten war da schon nicht mehr strittig, am Nachmittag erfolgte sie mit der überwältigenden Mehrheit der Staats- und Regierungschefs. Nur der Brite David Cameron und der Ungar Viktor Orban stimmten dagegen.

Ganz ohne Pathos wollte sich Cameron nicht mit der Niederlage abfinden. «Es gibt Zeiten, da ist es wichtig, zu deinen Prinzipien zu stehen, zu deinen Überzeugungen, auch wenn die Chancen ganz schlecht sind. Heute ist so ein Tag.»

In der britischen Presse wurde die Abstimmung für Juncker als krachende Niederlage für den Premierminister kommentiert. «David Camerons größter Fehler? Er hat Angela Merkel vertraut», schreibt am Freitag der «Daily Telegraph». Völlig unabsehbar ist im Moment, ob die Briten noch einmal zurück in den europäischen Prozess geholt werden können oder die EU mit der angekündigten Volksabstimmung 2017 verlassen.

Überraschend kündigte Merkel an, das umstrittene Verfahren der Spitzenkandidaten für die Europawahl noch einmal zu überdenken. Viel wird jetzt davon abhängen, ob Juncker als Kommissionspräsident tatsächlich einen Neuanfang hinbekommt, so unterschiedliche Positionen wie die britische und die italienische einbinden kann. Er müsste auch mit mutigen Personalentscheidungen den Vorwurf entkräften, er sei nur ein EU-Veteran ohne neue Ideen. «The proof is in the pudding», heißt es bei den Briten. Frei übersetzt: Entscheidend ist der Praxistest.

Artikel zu Merkel im "Daily Telegraph"