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Analyse: «Grexit» ist in Brüssel kein Tabu mehr

Der griechsische Regierungschef Alexis Tsipras sitzt in Brüssel zwischen seinen Amtskollegen aus Spanien, Mariano Rajoy (l), und Italien, Matteo Renzi. Foto: Olivier Hoslet

Geschlossene Banken, die Wirtschaft im freien Fall - die Europartner sind in Griechenland mit einer ebenso dramatischen wie beispiellosen Lage konfrontiert. Linkspremier Alexis Tsipras konnte am Dienstag beim Krisengipfel in Brüssel - anders als zu Hause - nicht als Sieger auftreten. Denn es ist unklar, ob noch weitere Milliardenbeträge zur Rettung seines Landes fließen werden.

Vor allem Frankreich kämpft im Kreis der 19 Euroländer vehement gegen einen Austritt Griechenlands. «Was wollen wir?», fragt Staatschef François Hollande rhetorisch beim Eintreffen. «Dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist das Ziel.» Kanzlerin Angela Merkel pocht ihrerseits vor allem auf weitere Reformen, um über neue Rettungskredite zu verhandeln. Und sie verweist auf den Zeitdruck, der jetzt herrscht: Es gehe «nicht mehr um Wochen (...), sondern um wenige Tage».

Beim Gipfel hielten sich die «Chefs» bei ihren öffentlichen Äußerungen mit Austrittsszenarien zurück. Sie erwarteten von Tsipras mehr Klarheit über Spar- und Reformvorhaben zur Rettung des Landes. «Herr Tsipras muss liefern», meinte Luxemburgs liberaler Premier Xavier Bettel.

Zuvor waren einige Finanzminister beim «Grexit» hingegen überraschend deutlich geworden. «Das ist eine realistische Möglichkeit», meinte der maltesische Ressortchef Edward Scicluna. Das Wort «Grexit» wird jetzt in den Mund genommen - noch vor kurzem war dagegen etwas verschämt vom sogenannten Plan B die Rede gewesen.

Schriftliche Vorschläge brachte der neue Athener Ressortchef Euklid Tsakalotos zum Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel am Dienstag nicht mit - zur Enttäuschung vieler Amtskollegen. Ein neuer Antrag auf Rettungshilfen soll später folgen. «Es gibt Hoffnung, und wir müssen auf dieser Hoffnung aufbauen», resümierte EU-Währungskommissar Pierre Moscovici.

Die mächtige EU-Kommission sieht sich seit Beginn der Auseinandersetzungen zwischen der neuen griechischen Regierung unter Tsipras und den Europartner in einer Vermittlerrolle. Doch auch aus der Behörde kommen mittlerweile unterschiedliche Signale. Ihr Chef Jean-Claude Juncker bleibt jedoch kategorisch: «Niemand darf die Griechen hinauswerfen wollen», lautet sein Credo.

Einer seiner Stellvertreter, der konservative Valdis Dombrovskis aus Lettland, strebt zwar auch keinen «Grexit» an, schränkt aber ein: «Falls jedoch Vertrauen nicht wieder aufgebaut wird, falls es kein glaubwürdiges Reformpaket gibt, kann das (der Grexit) nicht ausgeschlossen werden.»

Für einen Austritt Griechenlands gibt es keine Blaupause, die Europartner würden sich damit auf unbekanntes Terrain begeben, rechtliche Grundlagen dafür fehlen. Ein weiterer schwerer Wirtschaftseinbruch und ein Verarmen der Menschen machen diese Option vermutlich zur folgenschwersten Variante. Und so warnt der französische Währungskommissar Moscovici: «Ein «Grexit» wäre ein schrecklicher und kollektiver Fehler».

Der Druck auf Griechenland wächst also - nicht nur von Seiten der anderen Mitgliedsstaaten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte bereits am Montagabend die Bedingungen verschärft, unter denen griechische Banken Notkredite erhalten können. Ohne diese Finanzspritzen droht der Kollaps des Finanzsystems.