Analyse: Hooligans in Deutschland – eine neue Welle?
Hooligans schienen in den vergangenen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgedrängt. Doch das trügt. Die Strukturen sind gefestigt – und Gewalt suchende Fußballfans nehmen wieder mehr Raum ein.
Hooligans müssen früh aufstehen. Als sich vor drei Wochen Fans des Schalke 04 trafen, um mit Reisebussen zu einem Auswärtsspiel beim 1. FC Union Berlin zu fahren, schlugen „bis zu 200 koordiniert agierende Angreifer“ im Gelsenkirchener Morgengrauen zu. Vermutlich Fans von Dortmund und Essen hatten sich verabredet, um die Schalke-Anhänger anzugreifen. Vier Menschen waren schwer verletzt worden. Und nun die Antwort der Polizei: Punktgenau um 6 Uhr stürmten Einheiten am vergangenen Donnerstagmorgen verschiedene Wohnungen in NRW. „Es gab 25 Durchsuchungen. Wir haben 19 Tatverdächtige im Auge. Wir haben in mühsamer Kleinarbeit ermittelt, wer das war und haben bei denen jetzt mal einen Hausbesuch gemacht“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Die Attacke drückt einen Trend aus. Ausschreitungen von Hooligans, also Gewalt suchenden Fußball-Fans, hatten sich aus der öffentlichen Wahrnehmung heraus bewegt. Hin und wieder hörte man von heimlichen Verabredungen zu „Drittorten“, wie es die Polizei nennt. Hooligans beschreiben sie eher als „Dritte Halbzeit“ oder „Ackermatch“ – zu denen Gruppen sich zum allgemeinen Dreschen treffen; meist nach genauen Regeln, in einheitlichen Farben. Weg von Stadien, hin zu abgelegenen Parkplätzen oder Waldflächen – das war das Motto. Diese Massenprügeleien gab es schon immer. Zur Abscheu und zum Unverständnis gegenüber diesen Rendez-vous‘ der besonderen Art gesellt sich zuweilen auch Faszination und Neugierde; vor kurzem fand solch ein „Ackermatch“ Eingang in einen Fernseh-Tatort-Krimi.
Doch die Hooliganaktivitäten werden sichtbarer. „Das ist keine ganz neue Entwicklung“, sagt Fan-Forscher Jonas Gabler gegenüber „Yahoo Nachrichten“. „Schon in den 10er Jahren gab es Neugründungen von Hooligan-Gruppen. Eine Häufung gab es also schon vor der Pandemie.“ Der Co-Geschäftsführer der „Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport Bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS) sieht ferner im Fußball nach der Pandemie mit ihren Beschränkungen und Verboten einen allgemeinen Nachholbedarf, der sich auch bei den Hooligans zeige. Aber: „Ich sehe keine totale Eskalation.“
Luft nach oben?
Der Fan-Experte Michael Gabriel beobachtet indes eine wachsende Gewaltbereitschaft. „Das hat innerhalb der Ultragruppen unseres Erachtens noch eine größere Bedeutung, eine größere Wertigkeit bekommen“, sagte er im vergangenen Herbst dem „Deutschlandfunk“. Bei bestimmten Spielen würden Anhänger, für die das Thema Gewalt positiv besetzt sei, „dominieren und sozusagen den Ton setzen“. Und gegenüber der „FAZ“: „Wir haben auf jeden Fall eine Häufung von Vorfällen und auch eine Häufung von Vorfällen mit hoher Intensität." Vor allem innerhalb der Ultragruppierungen der Clubs habe es eine "Verschiebung" gegeben. "Die Ultras, die gewaltbereit sind, bekommen mehr Einfluss und gewinnen mehr Follower."
Ultras sind seit den vergangenen Fünfzigern organisierte Gruppen von besonders intensiven Fans, meist im Fußball. Bei ihnen steht der Sport im Vordergrund, und für viele Vereine ist deren Unterstützung sehr wichtig. Einige Teile der Ultras sind gewaltaffin, suchen aber eher eine Auseinandersetzung über Pyrotechnik. Hooligans dagegen sehen sich auch als „fanatische“ Fans, für sie aber ist Gewalt erklärtes Ziel. Beiden Gruppen gemeinsam ist der Sinn für Zusammenhalt; ansonsten trennt sie oft Welten. Doch die Gewalt der Hooligans kehrt offensichtlich wieder zurück in die öffentliche Wahrnehmung. „Ich habe das Gefühl, dass es insgesamt immer mehr wird“, sagte Steffen Baumgart im vergangenen Herbst. Und der Trainer des 1. FC Köln weiter: „Aber ich habe keine Lösung, wie wir das in Griff bekommen können, außer immer wieder alle aufzufordern, gewaltfrei zu agieren.“
Ein kurzer Blick auf die jüngsten Ereignisse der vergangenen Monate zeigt, dass die Hooligan-Szenen ihren Raum einfordern.
Anfang März, Jena: Nach Angaben der „Bild“-Zeitung prügeln sich 80 Fußballfans direkt vor den Augen der Polizei. Dann rennen rund 20 Jena-Hooligans auf die Polizisten im Auto los – und den Beamten bleibt nur die Flucht. Der Kommentar der Zeitung: Die Polizisten wären hier „heillos überfordert“ gewesen.
Februar: Ein niederländischer Hooligan läuft in der Nachspielzeit des Spiels PSV Eindhoven gegen FC Sevilla aufs Feld und attackiert Sevilla-Torhüter Marko Dmitrovic. Der setzt sich zur Wehr und streckt den Hooligan nieder. In einem Gerichtsverfahren erhält dieser eine dreimonatige Gefängnissstrafe, ein Monat davon ist auf Bewährung ausgesetzt.
Januar: Die italienische Polizei muss nach einer Massenschlägerei auf einer Autobahn-Raststätte zwischen Hooligans der AS Rom und des SSC Neapel vier Personen festnehmen. Die Autobahn A1 ist wegen der Krawalle nahe der toskanischen Stadt Arezzo zeitweise gesperrt, es bildet sich ein 15 Kilometer langer Stau. An den Ausschreitungen sind etwa 300 Personen beteiligt, die vermummten Tifosi bewerfen sich mit Rauchbomben und Feuerwerkskörpern.
Herbst 2022: Bei Randalen im Schatten von Spielen deutscher Vereine in Marseille und in Nizza spielen die französischen Fernsehsender die Ausschreitungen herunter.
September 2022: Beim Fanmarsch in Dortmund führen einige Hooligans gemeinsam mit den Ultragruppen "The Unity" und "Desperados" die Spitze an. In Stadionnähe rufen dann viele Fans: „Haut drauf Kameraden, haut drauf, haut drauf“. Der Fanforscher Robert Claus sieht darin einen Einschnitt: „Dass der rechtsextreme Teil der Hooliganszene geduldet wird und es auch geduldet wird, dass diese Hools die Fanszene nach außen repräsentieren“, sagte er dem „WDR“. Thilo Danielsmeyer vom Fan-Projekt Dortmund, der wichtigsten vereinsunabhängigen Anlaufstelle für BVB-Fans in Dortmund, kommentierte dies gegenüber dem „WDR“ mit den Worten, das sei für die Fan-Szene sicher nicht schön. „Aber das ist eine Gruppe, die auch das Gewaltmonopol hat und wenn die ihre Fahne präsentieren wollen, dann setzen die das durch. Da ist der Verein gefordert, auch in Gesprächen mit seiner Fan-Szene, zu reagieren.“
Ebenfalls im Herbst 2022: Kurz vor Beginn des DFB-Pokalspiels des SV Waldhof Mannheim gegen den 1. FC Nürnberg gibt es eine Ansprache. Der Stadionsprecher würdigt Christian Hehl – einen Neonazi. Dieser war kurz vorher verstorben. Später heißt es vom Verein, der Stadionsprecher habe die Hintergründe der Person Hehl nicht gekannt.
Ausleben alter Männlichkeitsbilder
Jonas Gabler von KoFaS sieht im Hooliganismus ein Phänomen von traditionellen Männlichkeitsvorstellungen. „Er ist Ausdruck einer patriarchalischen Gesellschaft“, sagt er gegenüber „Yahoo Nachrichten“. „Fußball scheint ein Raum zu sein, wo das ausgelebt wird.“ Allerdings schränkt er ein: „Es gehen ja viele Menschen zum Fußball. Dafür sind die Zahlen von Verletzten gering.“ Indes sind auch die verabredeten Prügeleien, die „Ackermatches“ illegal. Der Bundesgerichtshof urteilte bereits 2013: „Selbst wenn solche körperlichen Auseinandersetzungen auf getroffenen Abreden über die Art des 'Kampfes' beruhen, werden sich die Taten wegen der typischen Eskalationsgefahren trotz der Einwilligungen sämtlicher Beteiligungen als Verstoß gegen die 'guten Sitten' erweisen."
In der politischen Ausrichtung sind Hooligans nicht über einen Kamm zu scheren. Es gibt Gruppen, die betont unpolitisch sind oder sich gar politisch links verorten. Die meisten aber haben Schnittmengen mit rechtem Gedankengut. Gabler: "Hooliganismus ist meines Erachtens anschlussfähiger für extrem rechte Ideologien als die Ultrakultur."
Gabler weist denn auch auf, was dagegen getan werden kann. „In Deutschland ist Gewalt im Kontext von Fußball nicht so ausgeprägt wie in Frankreich, Italien oder osteuropäischen Ländern“, sagt er. „Hier hat sich einiges getan, man hat Antworten im Umgang damit gefunden: Und zwar nicht nur durch Verbannung oder Verfolgung, sondern auch durch Prävention und soziale Arbeit.“
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