Analyse von Hugo Müller-Vogg - Koalition mit Wagenknecht-Partei: Für den Chefsessel schleift CDU sogar eine „Mauer“

Die BSW-Politiker Steffen Schütz und Katja Wolf haben Thüringens neuem Ministerpräsidenten Mario Voigt (Mitte, CDU) in Anlehnung an den Namen der Koalition eine Brombeere überreicht.<span class="copyright">Martin Schutt/dpa</span>
Die BSW-Politiker Steffen Schütz und Katja Wolf haben Thüringens neuem Ministerpräsidenten Mario Voigt (Mitte, CDU) in Anlehnung an den Namen der Koalition eine Brombeere überreicht.Martin Schutt/dpa

Durch die Regierungsbeteiligungen in Thüringen geht das BSW gestärkt in den Bundestagswahlkampf. Die CDU läutet hingegen eine Zeitenwende ein. Um in Erfurt den Regierungschef stellen zu können, hat man eine „Brandmauer“ eingerissen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kann noch nicht einmal ein Jahr nach seiner Gründung auf eine einzigartige Erfolgsserie zurückschauen. Im Juni ist die Partei ins Europaparlament eingezogen. In den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegt das BSW mit einer Ausnahme über fünf Prozent. Ihre Chancen, am 23. Februar auch in dieses Parlament einzuziehen, sind nicht schlecht.

In Thüringen hat die ganz auf ihre Gründerin zugeschnittene, nur bedingt demokratisch organisierte Partei am Donnerstag mit der Wahl des CDU-Politikers Mario Voigt zum Ministerpräsidenten einen Regierungswechsel herbeigeführt. Die Zeit von Rot-Rot-Grün mit dem linken Regierungschef Bodo Ramelow ist damit zu Ende.

In Brandenburg hatte das BSW einen Tag zuvor CDU und Grüne als Koalitionspartner der SPD abgelöst. Dass das SPD/BSW-Bündnis im ersten Wahlgang die eigene Mehrheit nicht mobilisieren konnte, ist ein Schönheitsfehler. Letztlich kam die Wiederwahl von Dietmar Woidke im zweiten Wahlgang zustande – mit welchen Abweichlern aus den Reihen von CDU oder AfD auch immer.

BSW ist gestärkt, aber ohne Aussicht auf Regierungsbeteiligung

Wagenknecht geht somit gestärkt in den kurzen Bundestagswahlkampf. Die neuen Koalitionen sorgen für zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit. Zugleich ist die Zeit bis zum 23. Februar zu kurz, als dass mögliche Schwächen der beiden ungewohnten Bündnisse in Potsdam und Erfurt für negative Schlagzeilen sorgen könnten.

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Damit ist der Bundestagswahlkampf für das BSW aber keineswegs zu einer einfachen Angelegenheit geworden. Die Ausgangslage ist nämlich so: Wegen Wagenknechts Verständnis für den Kriegsverbrecher Putin, wegen ihres Neins zu Europa und zur Nato schließen CDU/CSU, SPD und Grüne eine Koalition mit dem BSW kategorisch aus.

Das war vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ganz anders. Da hatten CDU und SPD es nicht von vornherein abgelehnt, mit der neuen Partei zu koalieren. Wer damals sein Kreuz beim BSW machte, konnte auf eine Regierungsbeteiligung „seiner“ Partei hoffen.

Eine Neuheit auf dem politischen Markt

Bei der Bundestagswahl kann das BSW nur auf Proteststimmen zählen, auf Wutwähler, die es denen da oben mal richtig zeigen wollen. Dabei trifft Wagenknecht auf scharfe Konkurrenz der AfD. Die ist im Bund den Umfragen zufolge nicht nur dreimal so stark wie das BSW. Die AfD ist als Sammelbecken von Unzufriedenen, Enttäuschten, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern zudem eine eingeführte Marke.

Das BSW ist dagegen eine Neuheit auf dem politischen Markt: in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eher sozialistisch, gesellschaftspolitisch tendenziell konservativ, außenpolitisch neutralistisch und pazifistisch.

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So bietet das BSW vielen eine neue Heimat: ehemaligen Linken- und SPD-Wählern bis hin zu Bürgerlichen, denen die CDU zu links geworden ist. Schließlich bedient das BSW alle, die das vereinte Europa ebenso ablehnen wie die Nato. Und nicht zuletzt jene, denen das Schicksal der Ukraine völlig gleichgültig ist und Putin freie Bahn geben wollen, um selbst Ruhe zu haben.

Thüringen ist eine Zeitenwende für die CDU

Mit dem BSW könnte also eine weitere Protestpartei in den Bundestag einziehen beziehungsweise verbleiben, mit der niemand koalieren will, die aber über ein erhebliches Störpotential verfügt. Ob sich die Parteien der demokratischen Mitte ihr gegenüber genauso scharf abgrenzen werden wie gegenüber der AfD, wird sich zeigen.

Mit der Regierungsbildung in Thüringen hat das BSW jedenfalls für eine noch vor einem Jahr unvorstellbare Veränderung der parteipolitischen Landschaft gesorgt. Die CDU zusammen mit dem BSW und der SPD in einer Regierung – das hätte vor nicht allzu langer Zeit die Fantasie der meisten politischen Beobachter überfordert.

Für die CDU ist die Wahl in Thüringen eine Zeitenwende. Die Wagenknecht-Truppe wird aufgenommen in den Kreis der staatstragenden Parteien. CDU und SPD waren sogar zu dem peinlichen Zugeständnis bereit, einige Friedensfloskeln in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Die sind für die deutschen Außen- und Sicherheitspolitik völlig bedeutungslos. Sie zeigen aber, wie – je nach Sichtweise – geschickt oder brutal die neue politische Kraft ihre Position genutzt hat.

Eine CDU-Mauer steht aufrecht, dafür ist eine andere geschleift

Je mehr Parteien in einem Parlament vertreten sind, umso schwieriger ist, es regierungsfähige Mehrheiten zu bilden. Das zwang die CDU in Thüringen dazu, sich ausgerechnet mit der oppositionellen Linkspartei auf bestimmte Formen der Zusammenarbeit zu verständigen. Nur so konnte die Brombeer-Koalition Voigt im ersten Wahlgang durchbringen, ohne der AfD Gelegenheit zu irgendwelchen Tricks und Manövern zu bieten.

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Faktisch hat die CDU die Linkspartei zu einem Partner innerhalb des demokratischen Spektrums aufgewertet. Mit anderen Worten: Die CDU hat, um die „Brandmauer“ gegenüber der rechtsextremen Höcke-AfD aufrechtzuerhalten, die Mauer gegenüber der umbenannten SED faktisch geschleift – jedenfalls in Thüringen.

Die Gemütlichkeit früherer Zeiten mit zwei politischen Lagern – Schwarz-Gelb und Rot-Grün – ist längst vorbei. Die Zersplitterung des Parteiensystems führt zu völlig neuen Konstellationen, wie sie sich in den neuen Regierungen in Potsdam und Erfurt manifestieren.

Fazit: Die jüngsten Entwicklungen haben die Chancen des BSW erhöht, wieder in den nächsten Bundestag einzuziehen. Die AfD darf sich in der Russland-Politik auf einen Verbündeten freuen. Verlierer wären die Parteien der demokratischen Mitte und deren Wähler – also die Mehrheit.