Analyse: Röttgen mischt den Hühnerstall der CDU auf

Norbert Röttgen kandidiert für den CDU-Parteivorsitz (Bild: Getty Images)
Norbert Röttgen kandidiert für den CDU-Parteivorsitz (Bild: Getty Images)

Mit seiner Kandidatur überrascht der Außenpolitiker die Hinterzimmler der Union. Chancenlos ist er nicht.

Eine Analyse von Jan Rübel

Das hatten sie sich anders vorgestellt. Einer nach dem sollte bei Annegret Kramp-Karrenbauer vorfahren, intensiv und vertraulich plauschen: Friedrich Merz, Jens Spahn und Armin Laschet – jenes Trio an bisher aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge der CDU-Parteichefin und damit auch Kanzler in spe. Einen Kaffee trinken, vielleicht zwei, und dann sich zusammenraufen. Irgendwie. Die Aussicht auf den machtvollsten Job Deutschlands ließ sie brav wie Hühner auf einer Stange sitzen.

Doch nun kommt alles anders. Jemand fegte in den Stall und schaltet das Licht an.

Norbert Röttgen hat seinen Hut in den Ring geworfen und gar als erster offiziell seine Kandidatur erklärt, während die drei, von denen jeder sprach, noch ihre Federkleider ordneten. Der Coup ist ihm gelungen. Er zeigt Courage, wo andere noch an ihrem Taktikzettel schreiben.

Röttgen-Kandidatur: CDU-Personaldebatte nimmt Fahrt auf

Wir von Yahoo können nicht allzu überrascht von diesem Move sein – hatten wir doch als erste Redaktion vor acht Tagen ihn auf dem Kieker und ihn als am ehesten qualifiziert für den Chefsessel erklärt.

Eine Schwäche für Außenseiter

Und chancenlos ist der Mann vom Mittelrhein nicht. Zwar hat er das Image eines Losers, weil er eine NRW-Landtagswahl vergeigte, sich an seiner Position als Bundesumweltminister festkrallte und dann als erstes Kabinettsmitglied unter Angela Merkel rausgeworfen wurde. Die Entscheidung der Kanzlerin war indes reines Machtkalkül, scheute sich Röttgen doch nicht, sie zu kritisieren. Das erlaubte sich „Muttis Klügster“, wie er genannt wurde. Doch das ist nun ein paar Jahre her. Seitdem schuf er sich einen Ruf als anerkannter Außenpolitiker.

Die Stimmung im Land hat derzeit eine Schwäche für Außenseiter. Röttgen ist einer. Er kann auch selbstbewusst auftreten, vielleicht gar zu sehr. Doch Autorität strahlt er aus, und zwar eleganter als der onkelige Laschet, der mit der Rute wedelnde Merz und der jugendlich-krawallige Spahn. Röttgen kommt als Gentleman daher. Sein Handicap ist die Unnahbarkeit, die man zuweilen bei ihm meint wahrzunehmen. Und, schließlich: Intellektualität ist kein Makel. Röttgen tut nicht nur auf schlau, er ist es auch.

Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz haben einen überraschenden Mitbewerber bekommen (Bild: Getty Images)
Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz haben einen überraschenden Mitbewerber bekommen (Bild: Getty Images)

Jedenfalls legt er nun den Wettbewerb der Kandidaten um den CDU-Spitzenposten offen. Die anderen müssen jetzt aus der Deckung kommen. Und in die Hinterzimmer wird ihr Weg nicht führen. Das war zwar entsprechend geplant gewesen. Doch in den kommenden Tagen wird eine Dynamik entstehen, der sich niemand entziehen kann: Die Aufgeregtheit wird zunehmen, in der Partei, aber auch in der Öffentlichkeit. Man will nun endlich wissen, wer…

…und damit werden Kramp-Karrenbauer die Zügel bei der Kandidatensuche entgleiten. Leises Sondieren ist nicht mehr. Schaulaufen wird angesagt sein. Casting unter Rampenlicht. Eine Neuauflage von „Deutschland sucht den Superstar“ unter politischen Vorzeichen.

Die Zeit des Aufplusterns ist gekommen

Völlig offen ist der Ausgang. Vielleicht ebnet Röttgen, der trotz all seiner Kritik an Merkel ein bewusster Politiker der Mitte ist, dem weitaus rechteren Merz den Weg. Denn in der offenen Auseinandersetzung wird es darauf ankommen, Anhänger zu mobilisieren – und von denen hat Merz bisher die meisten, jedenfalls auf den ersten Blick.

Norbert Röttgen: Die Jacke lieber gleich richtig knöpfen

Wie werden also die nächsten Tage aussehen? Merz wird sich aktiv wie staatstragend geben, wird versuchen, freundlicher zu wirken. Spahn wird Initiative zeigen, ein Profil entwerfen und sich als der „bessere“ oder „nettere“ Konservative präsentieren. Und Laschet wird seine eigene Nettigkeit abschütteln und bestimmter auftreten, irgendetwas fordern, das auffällt.

Und Kramp-Karrenbauer? Die Saarländerin wird sich aufs Regieren konzentrieren, ebenso wie Merkel. Denn Deutschland ist kein Hühnerstall. Nur die CDU.