Analyse: Tsipras vollzieht Kehrtwende

Der griechische Ministerpräsident Tsipras sucht nach Wegen, eine mögliche Einigung mit den Geldgebern über ein Hilfspaket durch das Parlament zu bringen. Foto: Laurent Dubrule

und Reformvorschläge vor, die zu einem großen Teil mit den Maßnahmen identisch sind, die die Griechen vier Tage zuvor in einer Volksabstimmung abgelehnt hatten. Und das Besondere daran ist: Tsipras hatte die Bevölkerung selbst dazu aufgerufen, beim Referendum mit Nein zu stimmen.

Seine Kehrtwende erklärt der Regierungschef nicht. Stattdessen argumentiert er, das Nein in der Volksabstimmung sei nicht als Nein zum Euro zu werten. Und er wendet sich energisch gegen den Vorwurf, insgeheim auf eine Wiedereinführung der Drachme hinzuarbeiten. «Ich habe keine geheimen Pläne, das Land aus der Euro-Zone herauszuführen», stellte er schon im Europaparlament klar. «Wir wollen nur bessere Bedingungen (für ein Hilfspaket) aushandeln.»

Bisher war Tsipras als Gegner der von Brüssel geforderten Strukturreformen in Erscheinung getreten. Jetzt scheint er fest dazu entschlossen zu sein, mit den internationalen Geldgebern ein Übereinkommen zu schließen. Dazu überschritt er gleich mehrere rote Linien und machte Zugeständnisse in Punkten, die bisher ein Tabu für ihn und sein Linksbündnis Syriza gewesen waren.

Das in Brüssel präsentierte Reformpaket sieht Einschnitte bei den Renten, höhere Mehrwertsteuern und eine höhere steuerliche Belastung der Tourismusbranche vor, der wichtigsten Stütze der Wirtschaft. All dies hatte die Regierung bis vor kurzem noch ausgeschlossen.

Manche Griechen stellen sich nun die Frage: Was sollte das Referendum überhaupt? «Griechenland hat fünf Monate lang verhandelt, aber die Lage ist immer schlechter geworden», wunderte sich ein Kioskbesitzer in Athen. «Anfang des Jahres war noch von zusätzlichen Einsparungen von 1,0 bis 1,5 Milliarden Euro die Rede gewesen, jetzt wird der Fehlbetrag auf zwölf Milliarden Euro beziffert.»

Dennoch nehmen die Griechen die Kehrtwende ihres Premiers ohne nennenswerte Proteste hin. «Wenn die frühere konservative Regierung unter Antonis Samaras ein solches Sparprogramm vorgelegt hätte wie das von Tsipras, stünde Athen jetzt in Flammen», sagte ein Kommentator im Radiosender Vima FM. Dass Proteste nun ausbleiben, dürfte damit zu tun haben, dass das Referendum eine schwere Niederlage der Opposition bedeutete und Tsipras den Ausgang zur Festigung seiner Macht nutzte.

Außerdem hat die Lage der Wirtschaft und der Finanzen sich dramatisch verschlechtert. Die Banken sind geschlossen, für den Kapitalverkehr wurden drastische Einschränkungen erlassen, ganze Branchen der Wirtschaft stehen am Rande des Zusammenbruchs. Wegen der Zuspitzung der Krise sehen viele Griechen in einer Einigung mit den Geldgebern nun die letzte Möglichkeit zu einer Rettung. Ohne ein Übereinkommen drohen dem Land ein Absturz ins Wirtschaftschaos, eine Beschneidung der Bankguthaben und ein Ausscheiden aus der Euro-Zone.

Widerstand schlägt Tsipras vor allem in der eigenen Partei entgegen. «Das Sparprogramm ist selbstmörderisch», sagte Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linken Syriza-Flügel. «Es steht nicht im Einklang mit dem, was unsere Partei den Wählern versprochen hat. Wir haben in der Vergangenheit nicht gegen zwei Reformprogramme gekämpft, damit wir jetzt ein drittes verabschieden.»

Dennoch kann Tsipras auf eine Mehrheit im Parlament für die Sparvorschläge bauen. Drei Oppositionsparteien - Konservative, Sozialisten und Liberale – wollen das Reformprogramm in jedem Fall unterstützen. Die Gefahr für Tsipras liegt anderswo: Wenn eine größere Anzahl Abweichler in der eigenen Partei gegen die Vorschlagsliste stimmt, bedeutete dies einen offenen Bruch im Regierungslager. Das würde die politische Konstellation in Griechenland von Grund auf ändern. Die Folgen wären nicht absehbar.

ESM-Antrag

Mitteilung der Kommission mit Textdokument, 28.6.

Dossier des ESM zu Griechenland

Vorschlagsliste