Analyse von Ulrich Reitz - Ampel-Provokateur Lindner lockt den Kanzler in eine fiese Scheidungsfalle

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Christian Lindner hat ein Ampel-Scheidungspapier geschrieben.picture alliance/dpa

Christian Lindner hat ein Ampel-Scheidungspapier geschrieben. Aber: Die Regierung verlassen, das will der Liberale nicht. Und sind sich die Liberalen überhaupt einig, was sie wollen? Schlechte Nachrichten für den Bürger: Vorerst sieht es nicht nach Neuwahlen aus.

Christian Lindner könnte diese Bundesregierung beenden. Inzwischen hätte er sogar den Applaus der Bevölkerung dafür relativ sicher: Mehr als 50 Prozent wünschen sich ein vorzeitiges Ende dieser Regierung. Allein: Der FDP-Chef beendet die Regierung nicht. Jedenfalls noch nicht. Aber auch dieses „Noch“ ist nicht sicher.

Wolfgang Schmidt ist der wichtigste Mann von Olaf Scholz. Der Kanzleramtsminister reagierte auf das angebliche „Scheidungspapier“ des liberalen Bundesfinanzministers mit einem Lob für das Papier eines anderen liberalen Ministers: Volker Wissing erklärte in der „FAZ“, ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän, dem Bürger als Wähler. Es handelt sich um eine sehr grundsätzliche Argumentation, die einen Auszug von Ministern einer Partei aus einer Regierung wegen parteipolitischer Unverträglichkeit quasi zum No Go erklärt.

Während Linder mit dem Ampel hadert, widersprich ihm sein Parteifreund

Wie aber kann der Minister Lindner – mit sehr guten Gründen – ausschließlich liberale Politik zum Maßstab des Funktionierens dieser Regierung machen, wenn der Minister Volker Wissing sagt, man dürfe nicht ausschließlich liberale Politik zum Maßstab des Funktionierens einer Regierung machen? Wissing sagt, der Wähler habe weder eine rote noch eine grüne noch eine liberale Regierung gewählt. Sondern den Kompromiss dieser drei. Diesem souveränen Wählervotum sei die Politik verpflichtet. Wissing sagt noch viel mehr:

Während Lindner über 18 Seiten hinweg, ausgehend von der Dysfunktionalität der Ampelkoalition, einen liberalen Neuanfang in der Wirtschafts- und Sozialpolitik durchdekliniert, sagt sein Parteifreund im Ministeramt: die Ampel funktioniert.

Regieren unter schwierigen Bedingungen: „Der Ampel ist das vielfach sehr gut gelungen.“ Sagt Wissing. Dem Kanzleramtsminister, gefällt das. Es gefällt auch Olaf Scholz damit. Und man kann sagen: Wenn Lindner „seine“ Minister nicht aus dem Kabinett abziehen will, dann hängt die Zukunft der Regierung an – Olaf Scholz. Da mag sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auch noch so sehr eine Intervention des Bundespräsidenten wünschen. Denn: Der Bundespräsident kann nur für Neuwahlen sorgen, wenn der Bundeskanzler im Parlament keine Mehrheit mehr hat. Wie 1982, als Helmut Kohl eine „fingierte“ Vertrauensfrage verlor. Eine Vertrauensfrage allerdings beabsichtigt Scholz nicht zu stellen, allein schon deshalb, weil er sich für den besten Kanzler dieser Zeit hält.

Lindners Papier kommt sehr spät

Söder sagt, die Regierung sei erledigt, „eine Blamage für unser Land“. Jeder Tag länger schade Deutschland – „und wenn es die Ampel-Parteien selber nicht schaffen, sollte der Bundespräsident eingreifen“. Nur: Der Bundespräsident kann von Rechts wegen nicht eingreifen. Nicht, so lange Scholz im Parlament eine Mehrheit hat, also nicht, solange die FDP-Minister am Kabinettstisch sitzen. Politisch mag die Regierung am Ende sein. Rechtlich ist sie es nicht.

Wobei: Genau genommen gäbe es im Bundestag eine Mehrheit für die Vorschläge Lindners – eine ordoliberale Mehrheit aus Union, FDP und – AfD. Aber diese Mehrheit gibt es nur theoretisch, aber nicht tatsächlich. Mit der AfD will weder die Union noch die FDP zusammenarbeiten. Dies wiederum zeigt die Fragwürdigkeit der Argumentation von Wissing, kurz gesagt: Wenn der Wähler über die Koalition entscheidet, so wie der Souverän angeblich über die Ampel entschieden hat, dann hätte er unter mindestens wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten für eine Koalition unter Einschluss der AfD entschieden. Das aber wäre aus Sicht der FDP zu viel Souveränität für den Souverän.

Lindners Papier kommt sehr spät. Zu spät? Ein Beispiel: Der Finanzminister fordert die „komplette Auflösung“ der Subventionen für Intel – zehn Milliarden. Vorher, als Intel selbst sie noch wollte, hat Lindners FDP den Subventionen allerdings zugestimmt. Was ordnungspolitisch, also nach liberalen Grundsätzen, kaum zu rechtfertigen gewesen wäre.

Lindner stellt Scholz fiese Scheidungsfalle

Lindner schlägt die  Senkung der Körperschaftsteuer für Unternehmen vor. Sie soll um zwei Prozent sinken. Wenn man in liberale „Angebotspolitik“ investieren will, was gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Krise geboten wäre, ist es richtig. Nur: Dafür gibt es in der Koalition keine Mehrheit. Weil diese Regierung eben keine liberale ist.

Lindner verlangt ein „sofortiges Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen“ – die Wirtschaft findet es prima. Nur: Die Wirtschaft ist nicht die Regierung. Es gibt auch nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Gewerkschaften. Und denen fühlt sich die SPD verpflichtet. Was bedeutet das etwa für das Tariftreuegesetz?

Will Lindner seinen Kollegen und Sozial-Rivalen, den Arbeitsminister Hubertus Heil, stoppen, kann er zu diesem Gesetz Nein sagen. Der Kanzler könnte von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und das Tariftreuegesetz durchsetzen.

Dann geht es in den Bundestag. Aber dort hätte es, falls die FDP hart bleibt, keine Mehrheit. Das ist, wenn man so will, die Falle, die Lindner „seinem“ Kanzler stellt. Wenn die Liberalen im Bundestag das Tariftreuegesetz scheitern lassen: Wirft dann der Kanzler die FDP-Minister hinaus – oder nimmt er das Ende für ein sozialdemokratisches Kernprojekt in Kauf?

Auch die beiden liberalen Minister Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger haben sich zu Lindners Papier geäußert. Beide sagen unter dem Strich, nun komme es darauf an, gut zu regieren und richtig für Deutschland. Dass man zur Not die Scholz-Regierung verlassen wolle, falls dies nicht geschehe, sagen beide Amtsinhaber nicht.

Raus aus der Regierung oder Bleiben? Die FDP weiß es selber nicht

Und auch von Lindner selbst gibt es eine Interview-Äußerung, aus dem Spiegel, wonach es nicht sein „Plan“ sei, die Regierung zu sprengen. Andererseits weiß Lindner, dass sein Plan keine Chance auf eine Mehrheit hat in der Ampel: SPD und Grüne haben längst abgewunken.

Was also will Lindner? Raus aus der Regierung, die niemand mehr will, weil daran das Überleben der FDP hängt, aber: sich dabei nicht erwischen lassen, weil: die Deutschen den Verrat lieben, nicht aber den Verräter?

In Wahrheit weiß es die FDP selbst nicht. Sie ringt mit sich. Und dürfte damit ihre Schwäche noch einmal verstärken, getreu dem Motto: In. Gefahr und großer Not, bringt der Mittelweg den Tod. Weil gerade oft die Parallele zum „Scheidungsbrief“ von Otto Graf Lambsdorff an Helmut Schmidt von 1982 gezogen wird. Es gibt einen großen, vielleicht entscheidenden Unterschied zwischen damals und heute: Vor gut 40 Jahren konnte die FDP einfach den Kanzler wechseln. Sie konnte Helmut Schmidt gegen Helmut Kohl austauschen, denn damals kam es auf die noch FDP an. Diese Macht hat die FDP eingebüßt. Deutschlands Souverän hat sie den Liberalen längst genommen.

Und vielleicht entspricht es auch dem aktuellen Zeitgeist, dass es für eine durchkomponierte liberale Politik in Deutschland keine – politisch machbare - Mehrheit gibt. Das dürfte sich auch erst einmal nicht ändern. Denn, da hat die konservativ-liberale CDU-Mittelstandspolitikerin Gitta Connemann recht: Weder mit SPD noch mit den Grünen ist eine marktwirtschaftliche Politik machbar. Genau genommen: Schlechte Nachrichten für Friedrich Merz.