Analyse von Ulrich Reitz - Was Baerbock an Trumps erstem Tag macht, kann sich Deutschland gar nicht leisten

Annalena Baerbock hat bei Caren Miosga über die anstehende Amtszeit von US-Präsident Donald Trump gesprochen.<span class="copyright">NDR/Thomas Ernst</span>
Annalena Baerbock hat bei Caren Miosga über die anstehende Amtszeit von US-Präsident Donald Trump gesprochen.NDR/Thomas Ernst

Die deutsche Politik beginnt die Amtseinführung Donald Trumps als Abwehrkampf. Annalena Baerbock und Olaf Scholz setzen den Ton – aus Furcht und Trotz. Liegt das in Deutschlands Interesse?

Es fängt schon mit den Köpfen an. Die Bundesregierung wird bei den Feierlichkeiten offiziell vertreten – nicht vom Bundespräsidenten, nicht vom Bundeskanzler, nicht von der Bundestagspräsidentin. Sondern vom amerikanischen Botschafter. Andreas Michaelis ist ein Grüner.

Das Außenamt argumentiert mit Blick auf die Nicht-Einladungen von Vertretern der Bundesregierung, bei US-Inaugurationen seien stets nur Botschafter dabei. Nun ja – Georgia Meloni, Italiens Regierungschefin, ist eingeladen. Viktor Orban, der Ungarn-Rebell, ist es auch.

Michaelis ist 65 Jahre alt. Womöglich denkt er, persönlich nicht mehr viel verlieren zu können. Jedenfalls kabelte er von seinem schmucken Amtssitz in Washington aus nach Berlin an seine Chefin unverhohlene Warnungen vor einem Ende der Demokratie in den Vereinigten Staaten.

Baerbock hätte sich von ihrem grünen Botschafter distanzieren müssen

Seine Depesche wurde absichtsvoll durchgestochen, gleich an eine Nachrichtenagentur, womit breitestmögliche Rezeption gesichert war. Der Schaden ist groß. Ein außenpolitischer Trump-Berater, Weinstein, markierte die Depesche des ranghohen deutschen Regierungsbeamten im deutschen TV als Post aus dem Feindesland. Sie sei „empörend“.

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Annalena Baerbock hätte sich von ihrem Parteifreund auch elegant distanzieren können, allein schon, um patriotisch im deutschen Interesse ein loderndes Feuer auszutreten. Sie tat – bei Miosga – das Gegenteil . Und schob fleißig Scheite ins Feuer. So als ob es nicht die vornehmste Aufgabe von Demokratie wäre, seine Gegner zu pflegen. Freunde pflegen kann schließlich jeder.

Zumal die Amerikaner am deutlich längeren Hebel sitzen. Deutschland ist vom Wohlwollen jeder amerikanischen Regierung abhängig, ergo auch der von Trump.

Die Bundesrepublik ist weit davon entfernt, sich gegen russische Aggressionen , vor denen sie doch permanent warnt, selbst verteidigen zu können. Im „Handling“ des Ukraine-Kriegs könnte es für Deutschland so richtig schlecht laufen – falls Trump für einen „Frieden“ dort sorgt, den die Europäer in Euro und Cent zu bezahlen haben. Und mit Soldaten zur Friedenssicherung – die sie nicht haben.

Der deutschen Außenpolitik steht sehr teurer Realitätsschock bevor

Das alles kann noch sehr bitter werden. Der deutschen Außenpolitik steht möglicherweise ein großer – und sehr teurer – Realitätsschock bevor.

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In der Abwehr von Terror, der ausschließlich ein islamistischer Terror ist, geht ohne die Amerikaner so gut wie gar nichts. Die deutschen Geheimdienste sind angewiesen auf die Warnungen durch ihre amerikanischen Freunde. Nicht auszudenken, was in Deutschland passieren könnte, würde die neue US-Regierung den Informationsfluss drosseln.

Baerbock scheint das alles nicht zu beeindrucken. „Wir haben den Sturm aufs Kapitol gesehen. Wir haben die Diskussion der Trump-Administration auf die Frage, was bedeutet das rechtsstaatlich, gesehen. Wir haben die Vorschläge zum Justizminister gesehen“, zählte Baerbock bei Caren Miosga im Stakkato-Ton auf.  „Wir haben an etlichen Punkten unterschiedliche Sichtweisen darauf.“

Ist Baerbocks Kratzbürstigkeit im deutschen Interesse

Das mag alles sein – aber Baerbocks offenkundiges Verständnis von Diplomatie provoziert dann doch einige Fragen:

  • Ist es im deutschen Interesse, gegenüber der neuen US-Regierung, dazu wenige Stunden vor deren Amtseinführung, mitten in die dortige Feierlaune hinein derart kratzbürstig aufzutreten? Dazu in moralisch belehrendem Ton und auch noch öffentlich?

  • Und was sollte das bringen? Wo könnte Deutschland von einem derart nassforschen Auftritt profitieren? Wird Trump etwa aus Furcht vor Baerbocks Moralkeule auf die Erhöhung der US-Zölle für deutsche Waren und Dienstleistungen verzichten? Oder auf seine Forderung nach einem höheren Militärbeitrag zur Nato?

  • Und welche Druckmittel hätte das kleine Deutschland, um gegen die großen Amerikaner auch nur Augenhöhe herzustellen?

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Man muss gewiss nicht in Sack und Asche gehen. Baerbock braucht Trump nicht im Büßerhemd gegenüberzutreten. Aber weshalb wählte sie stattdessen eine Ritterrüstung – zumal sie, um im Bild zu bleiben, weder über Schwert, noch Hellebarde oder Morgenstern verfügt und die Rüstung auch schon von. Flugrost befallen ist?

Baerbocks Amtsverständnis wirkt wie aus der Zeit gefallen

Plötzlich wirkt Baerbocks Amtsverständnis – alt. Aus der Zeit gefallen. Die „Ordnung des Rechts“, die die Frau „vom Völkerrecht“ stets propagiert, ist allerspätestens mit Trumps zweiter Präsidentschaft an ihr – vorläufiges? – Ende gelangt.

Plötzlich zählen Macht und Einflusszonen und nationale Interessen. Das gilt nicht nur für Amerikaner. Sondern auch für Chinesen und Russen. Im Verhältnis zu Russland hat sich die deutsche Politik, angeführt von den Grünen, unter dem Applaus der Union, für ein umfassendes „Decoupling“ entschieden.

Kühl betrachtet: Es war jedenfalls teuer, den Vorrang einer höheren Moral vor ökonomische Interessen zu stellen. Man kann das richtig finden, wirkungsstark war es eher nicht.

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Richtig ist aber auch, dass Einigkeit von Scholz bis Merz darüber herrscht, dass sich Deutschland ein zweites „Decoupling“, diesmal von China, nicht wird leisten können.

Weshalb musste Scholz bei Grönland derart die Backen aufblasen?

Was ein Dilemma bedeutet: Wie glaubwürdig kann eine Moral sein, deren Anwendungsgebiete selektiv sind?

Bundeskanzler Olaf Scholz gefiel es, Donald Trump öffentlich zu maßregeln und auf das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen hinzuweisen. Das war, nachdem Trump Appetit auf Grönland zeigte, das zu Dänemark gehört.

Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt, keine Frage, auch für die USA. Aber weshalb musste Scholz derart die Backen aufblasen? Als Gerhard Schröder und Joschka Fischer sich damals gegen die US-Administration wandten, im Irak-Krieg, da ging es noch um etwas. Bei Grönland geht es – erst einmal – bloß um deutsche Symbolpolitik und parteipolitische Vorteilssuche.

Zumal man bei der Gelegenheit zwei Dinge lernen konnte: Das erste Mal streckten die USA ihre Hände nach Grönland, damals schon aus strategischen Gründen, schon vor mehr als 150 Jahren aus: 1863. Es handelt sich ergo nicht um eine Trump-Marotte.

Und: Die Grönländer sind mehrheitlich unzufrieden mit Dänemark, das kaum etwas anderes ist als eine Kolonialmacht und offenbar auch so empfunden wird dort.

Die Europäer sind sowohl ökonomisch als vor allem auch militärisch schwach

Auch wurde offenbar, dass die Russen und Chinesen längst ihre gierigen Finger nach dem nordischen Eiland im Atlantik ausgestreckt haben – und die Europäer dies offenbar in seiner Tragweite noch gar nicht begriffen haben.

Trumps Vorstoß war strategisch konsequent. Und er resultierte auch aus europäischer Schwäche.

Womit Friedrich Merz ins Spiel kommt. Der CDU-Kanzlerkandidat schrieb zur Trump-Vereidigung dies: „Für uns ist das kein Grund zur Sorge. Wir sind 450 Millionen Europäer – mehr als die USA und Kanada zusammen. Wenn wir geschlossen sind und unsere Interessen selbstbewusst vertreten, können wir optimistisch in die Zukunft blicken.“

Klingt das nach Optimismus – oder klingt es nach Furcht und Abwehr?

Die Europäer sind sowohl ökonomisch als vor allem auch militärisch schwach. Und sie sind uneins. Merz ist, ganz Helmut Kohl, ein Durch-und-Durch-Europäer, der seine politische Karriere im Europaparlament startete. Aber Europa ist heute größer und gespaltener als damals.

Offenbar überlegt gerade die Kommissionspräsidentin, Friedrich Merz´ Parteifreundin Ursula von der Leyen, wie sich Trumps Zoll-Drohung irgendwie noch abwenden lassen könnte. Vielleicht durch ein „Aussetzen“ der harschen europäischen Digitalgesetzgebung, die Trumps Tech-Verbündetem Elon Musk so auf den Wecker geht?

So gut wie alles, was Trump vorhat und wie er auf die Welt blickt, entspricht der Weltsicht der AfD

Um die Spaltung Europas zu verstehen, reicht ein Blick auf die Verteidigungsbudgets. Die Polen bringen es demnächst auf fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. Deutschland schafft gerade und auch nur für die nächsten beiden Jahre: zwei Prozent. Die Italiener bringen es auf anderthalb Prozent.

Die Europäer haben keine Antwort auf Russlands Bedrohung – jedenfalls keine, die ohne amerikanischen Beistand auskäme.

Es ist kein Zufall, dass der einzige Parteivorsitzende aus Deutschland, der Trumps Amtseinführung beiwohnt, der AfD-Chef ist, Tino Chrupalla. So gut wie alles, was Trump vorhat und wie er auf die Welt blickt, entspricht der Weltsicht der AfD.

Das Nationale, das Anti-Woke, der Abschied vom Klimaschutz als teure und wenig klimaverbessernde Subventions-Veranstaltung. Das Verständnis von weitgehend staatlich unbeeinflusstem „free speech“.

Im Kanzleramt heißt es selbstgewiss, man sei auf Donald Trump vorbereitet. Zweifel sind erlaubt. Es klingt jedenfalls trotzig.

Festzustehen scheint, dass Donald Trump auf Deutschland vorbereitet ist. Und das klingt eher bedrohlich.