Eine Analyse von Ulrich Reitz - Baerbocks Asyl-Plan für Syrer macht den deutschen Staat faktisch willenlos

Auf ein Neues: Außenministerin Annalena Baerbock am Samstag bei der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Cottbus.<span class="copyright">Foto: dpa/Patrick Pleul</span>
Auf ein Neues: Außenministerin Annalena Baerbock am Samstag bei der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Cottbus.Foto: dpa/Patrick Pleul

Außenministerin Annalena Baerbock denkt sich Syrien als Demokratie. Und sie verknüpft eine Rückkehr der Migranten mit "Freiwilligkeit" und „Würde“. Wie realistisch ist das alles?

Annalena Baerbock möchte aus Syrien ein demokratisches Land machen: „Am Ende des Weges müssen freie Wahlen in Syrien stehen.“ Ein souveränes Land, das „nicht zum Spielball ausländischer Mächte“ wird. Ein Land, das „Frauenrechte achtet“. Ein Land, frei von Chemiewaffen, bei deren Vernichtung Deutschland helfen könne. Die Bundesregierung wolle helfen, „unsere Präsenz in Syrien“ ausbauen, „unsere Gesprächskanäle in die syrische Gesellschaft“ nutzen. Und dann kommt der bemerkenswert urgrüne Punkt Acht in diesem sogenannten 8-Punkte-Plan Baerbocks. Dazu später mehr.

Syrien: Spielball der Mächte

Wobei man schon fragen kann: Ist diese Auflistung wirklich mehr als ein Praktikantenpapier?

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Was ist Syrien überhaupt?

Syrien ist kein gewachsener Staat, sondern eine Erfindung der europäischen Kolonialmächte. Die Grenzen wurden im Sykes-Picot-Abkommen festgelegt, ein Diktat auf dem Reißbrett. Franzosen und Briten haben die Araber belogen und betrogen, sie haben ihre Versprechen auf arabische Selbstbestimmung nie gehalten.

Die Franzosen haben - seit 1922, auch noch mit einem Mandat des UN-Vorläufers, des Völkerbunds - die religiösen Minderheiten unterstützt: Drusen, Maroniten, Alawiten. Ziel waren nicht Religionsfreiheit und Toleranz, sondern die Sicherung ihrer Kolonialmacht. Zu diesem Zweck mussten die Sunniten, die die Mehrheit in der Bevölkerung stellen, eben möglichst kleingehalten werden.

Deutschland hatte in diesem Land noch nie eine politische Rolle, mal wurden Hilfen gegeben, in den achtziger Jahren, das versandete schnell wieder. Der deutsche Einfluss dort ist gleich Null, weshalb sich die Frage stellt: Weshalb werden von der Bundesregierung überhaupt zu Syrien Papiere verfasst, die bedeutungsschwanger von der Ministerin verkauft werden, dazu in mahnendem Ton? Nimmt man nur die Forderung, Syrien dürfe nicht Spielball von Mächten werden – nun: Syrien war nie etwas anderes als das.

, Vor allem war Syrien Spielball der Russen, ein bitterarmes Land, hochgerüstet von Moskau als das noch die Hauptstadt des Sowjetreichs war. Der Verteidigungsetat war zeitweise so hoch wie die Hälfte des Volkseinkommens.

Dreimal hat Syrien Israel überfallen

Damit führten die Machthaber ausgiebig Krieg. Syrien hat nie in seiner Geschichte zu irgendwelchen friedlichen Prozessen beigetragen, im Gegenteil, und das war schon vor den beiden Assads so, dem Vater wie dem Sohn.

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Dreimal hat Syrien Israel überfallen, das erste Mal 1948, dann im Sechstageskrieg 1967, dann im Jom-Kippur-Krieg 1973. Dreimal hat Syrien verloren, insofern ist die indirekte Ermahnung Baerbocks an Israel, man möge sich aktuell zurückhalten, mindestens übergriffig. Vor allem aber ist sie völlig unangebracht, angesichts der fortgesetzten Versuche Syriens, Israel von der Landkarte zu tilgen – und der Unklarheit, ob es die Israelis in ihrer direkten Nachbarkeit nicht doch wieder mit genozidalen Islamisten zu tun bekommen.

Oberschlau verweisen jetzt Juristen darauf, Israels Angriff auf dem Golan seien völkerrechtswidrig, weil es sich um syrisches Gebiet handle. Das allerdings Syrien zu was noch einmal genutzt hat? Das ist überhaupt das Problem mit dem Völkerrecht: Gerne wird es beschworen, wenn es gegen Israel geht. Welchen Beitrag hat eigentlich das Völkerrecht zum Schutz Israels geleistet: Im Fall Syriens jedenfalls: Keinen. Auch in der Resolution 2254, die Baerbock als Richtschnur zitiert, sucht man den Schutz Israels vergebens.

Die Rolle, die die Sowjets im nahöstlichen Friedensprozess gespielt haben, war zeitweise sogar konstruktiver als die seines Verbündeten Syrien – militärische Gewalt anzuwenden, das ist Teil der syrischen Landesgeschichte.

Baerbocks Plan: Doch Deutschland kann nichts bieten

Ebenso wie Gewalt im Innern gegen seine Bürger, was ebenfalls schon lange der Fall war, bevor die Assads kamen. Syrien war bis zum Untergang Assads, in den ungeschminkten Worten des israelischen Ex-Generals Yadlin, eine „Drogenfabrik in einer korrupten Diktatur“.

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Am Ende müssten freie Wahlen stehen, sagt Baerbock. Das klingt couragiert,   ist aber wohlfeile Sofa-Rhetorik. Einmal ganz abgesehen davon, dass Deutschland nichts hat, womit es einen Demokratisierungsprozess in Syrien beeinflussen könnte.

Wir wissen nicht einmal, ob die syrische Bevölkerung freie Wahlen will. Freie Wahlen, eine pluralistische Demokratie, Religionsfreiheit, Frauenrechte – das alles ist ein westliches Ideal. Andere Länder denken und handeln anders. Und im Nahen Osten hat nur ein einziges Land diese Vorstellungen verwirklicht: Israel.

Syrien war nie eine Demokratie. In seiner gesamten kurzen Geschichte nicht – und seine Besatzer haben auch nichts getan, um eine Demokratie daraus zu machen. Die meiste Zeit war Syrien ein Ein-Parteien-Staat, regiert von der Baath-Partei – eine arabisch-nationalistische Veranstaltung, mal mehr, mal weniger sozialistisch.

Was wollen die neuen Machthaber in Damaskus?

Im Übrigen permanent in religiös motivierte harte, blutige Konflikte verstrickt, mal mit Christen, mal mit Moslems. Und jahrelang unter dem religiös-imperialistischen Druck anderer Mächte, Ägyptens etwa, wo die Muslimbruderschaft herkommt, die auch in Syrien ihr Unwesen trieb.

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Syrien war (ist?) ein Hort des Kalifat-Terrorismus. Mal war man verbündet mit den Arafat-Terroristen, mal bekämpfte man sie. In der Region planten palästinensische Terroristen, die sich auch auf deutschen Fahndungsplakaten als Verbündete der RAF wiederfanden, internationale Anschläge.

Syrien war (ist?) korrupt, so war es auch die Armee. Dort verdienten Soldaten zwischen fünf und zehn Dollar – pro Monat. Kein Wunder, dass sie ihr Land nicht gegen die anrennenden Horden verteidigen wollten, die jetzt gerne, auch von Baerbock, „Rebellen“ genannt werden. Um wen es sich genau handelt, wissen wir nicht, es heißt jedenfalls, viele von ihnen orientierten sich an den afghanischen Islamofaschisten von der Taliban.

Frau Baerbock hat jetzt einmal acht Millionen Euro überwiesen. Wem eigentlich? Der Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Landes dürfte, so sagt es der Ex-Geheimdienstgeneral Yadlin, zwischen 200 und 400 Milliarden Euro verschlingen, was nur die Scheichtümer finanzieren könnten, Katar vorweg. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung, so sagen es die Vereinten Nationen, gestalteten ihr Leben nicht aus eigener Kraft. Sie seien auf Hilfe von außen angewiesen.

Falls man in diesem Land, das die Demokratie nicht kennt, dafür aber die Korruption in allen staatlichen Bereichen, investieren will als Bundesrepublik, dann nur, wenn dafür klare, harte und nachvollziehbare Bedingungen der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung formuliert werden. Gutgemeinte, aber schlecht gemachte Hilfe dürfte am Ende bei den Falschen ankommen.

Baerbocks urgrüner Plan für die syrischen Flüchtlinge

Schließlich der letzte Punkt aus Baerbocks insgesamt luftigem Papier. Der nun wieder ist überhaupt nicht luftig, sondern konkret und hart und grün:  „Wir sind überzeugt, dass eine Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien nur möglich ist, wenn sie freiwillig, sicher und in Würde erfolgen kann.“

Baerbock durchkreuzt als Außenministerin damit ein zentrales Versprechen ihres Bundeskanzlers, der „Abschiebungen im großen Stil“ versprochen hat. Von „freiwillig, sicher und in Würde“ hat Olaf Scholz nie geredet. Was ist das überhaupt – Rückkehr „in Würde“?

Und was ist mit der Würde der angestammten Deutschen, die mehr als eine Millionen Syrer hierzulande aufgenommen haben, bei hohen Kosten und unter Inkaufnahme einer deshalb wachsenden inneren Unsicherheit?

Asylrecht ist auch eine Rechtsangelegenheit, daher Asyl-„Recht“. Entfällt ein Asylgrund, entfällt das Aufenthaltsrecht. Wenn man nicht Recht, sondern „Würde“ als Maßstab annimmt, kann man sich das Recht auch gleich sparen. Was eine alte grüne Idee ist.

Botschaft der Ministerin: Der deutsche Staat ist raus, er hat keinen Willen

„Würde“ statt Recht als Maßstab bedeutet auch, dass man die – in wohl allen europäischen Staaten – verfügte Aussetzung der Asylverfahren auch besser gleich zurücknehmen sollte.  Vor allem gibt sie damit die Entscheidung, wer im Land bleiben kann, faktisch ab. „Lasst die Syrer selbst entscheiden“, so lautet Baerbocks Botschaft. Und: Der deutsche Staat ist raus, er hat keinen Willen.

Sollte Baerbock darauf warten wollen, bis in Syrien die Demokratie eingeführt ist, wird bis zu Rückführungen „im großen Stil‘“ noch lange Zeit vergehen – falls sie überhaupt jemals stattfinden.

Andere europäische Länder – Österreich etwa – arbeiten als konkreten Plänen für die Rückkehr von syrischen Migranten nach Syrien. Baerbock hält wohl allein schon eine solche Planung für würdelos.