Eine Analyse von Ulrich Reitz - Wie der Bundespräsident mit kleinen Termin-Rochaden dem Kanzler helfen kann
Der Bundeskanzler will Neuwahlen Mitte März. Der neue US-Präsident Donald Trump wäre dann längst im Amt. Ist es im Sinne Deutschlands, so lange zu warten? Ein Mann kann Scholz durchsichtigen parteipolitischen Plan noch durchkreuzen. Wenn er will.
Das Kanzleramt dürfe nicht zur Wahlkampfzentrale werden. Warnt Christian Lindner. Zu spät – die trutzige Regierungszentrale ist jetzt offensichtlich zur sozialdemokratischen Leitzentrale geworden, von der aus Olaf Scholz seine Wiederwahl plant.
Scholz will beim Zeitplan keinen Kompromiss
Deshalb hat der Kanzler dem Oppositionsführer Friedrich Merz gesagt, er halte an seinem Zeitplan fest: Vertrauensfrage im Januar, Neuwahl Mitte März. Scholz will beim Zeitplan keinen Kompromiss.
Den hatte Merz ihm nach Angaben aus der Union angeboten: Eventuelle Zustimmung der Union zu offenen Ampelgesetzen im Bundestag, wo die Scholz-Minderheitsregierung die eigene Macht verloren hat, gegen eine schnelle Vertrauensfrage. Eine durchaus staatstragende Idee. Sie würde nach dem Scheitern einer Regierung einen schnellen Neuanfang ermöglichen und politischen Stillstand gleichzeitig vermeiden.
Der Scholz-Plan hat dagegen nicht Deutschlands Wohl im Blick, sondern des Kanzlers persönliches Wohlergehen. Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, noch viereinhalb Monate bis zur Wahl zu verschwenden.
Stillstand für Deutschland wäre auch ein Stillstand für Europa
Viereinhalb Monate, in denen in Deutschland nichts mehr geht – mitten in einer Wirtschaftskrise ist das Land praktisch entscheidungsunfähig. Der Stillstand für Deutschland wäre auch ein Stillstand für Europa.
Wie sagt Europas Parlamentspräsidentin, die Italienerin Roberta Metsaola: „Europa ist nicht stark ohne ein starkes Deutschland.“ Deutschland ohne eine starke Regierung ist aber lame duck – eine lahme Ente. Ohne Deutschland könne es in Europa keine Finanzentscheidungen mehr geben, davor warnt Finnlands Regierungschef Peteri Orpo. Und das bei einem Krieg in Europa.
Dessen Finanzierung durch deutsche Hilfe hat letztlich zum Koalitionsbruch in Deutschland geführt. Das ist die Version, die der Bundeskanzler erzählt. Dieses „framing“, dieses „Narrativ“ findet Carlo Masala, der inzwischen zum führenden deutschen Militärexperten geworden ist, mindestens seltsam.
Er hat einen guten Grund dafür: „Ein Bundeskanzler, der keine Taurus liefert, der erst gestern gesagt hat, dass es keine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine geben wird, wirft einen Finanzminister raus, weil der sich u.a. weigert, für die Ukrainehilfe die Schuldenbremse zu lockern? Riecht komisch.“
Deutschland wäre einige Monate praktisch entscheidungsunfähig
Der Stillstand in Deutschland und in Europa ist nicht nur aus Sicht von Deutschlands Nachbarn problematisch, sondern auch wegen der Wahl von Donald Trump zum neuen amerikanischen Präsidenten.
Trump wird nach seiner Wiederwahl am 20. Januar vereidigt – nach dem Plan von Scholz wäre sein deutsches Gegenüber rund drei bis vier Monate praktisch entscheidungsunfähig. Ein Szenario, das man sich nicht wirklich vorstellen möchte.
Dabei ginge es auch anders: Scholz könnte unmittelbar, sofort, noch in dem Moment, in dem Sie, liebe Leser, diese Zeilen lesen, die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Es liegt allein in seiner Hand. Die Voraussetzungen hat Scholz geschaffen.
Wissings Verhalten ist verstörend konsequent
Der Kanzler hat den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als Bundesfinanzminister hinausgeworfen. Zwei weitere liberale Minister – Bettina Stark-Watzinger, Marco Buschmann - sind danach freiwillig gegangen. Ein weiterer, Volker Wissing, hat die Partei verlassen, um sich mit dem Segen des Kanzlers in dessen Übergangsregierung noch zum Superminister für Verkehr und Justiz befördern zu lassen.
Wissings Verhalten ist verstörend konsequent. Kaum jemand war über die unglückliche schwarz-gelbe Koalition unter Kanzlerin Merkel so sauer wie seinerzeit Wissing. Danach hatte er nur noch ein Ziel: Die Liberalen weg von der Union zu führen. In Rheinland-Pfalz betrieb er eine Ampel-Regierung mit SPD und Grünen. In Berlin war er danach schließlich deren Wegbereiter. Noch vor Lindners Reform-Papier warnte Partei-„Freund“ Wissing vehement vor einem Ende der Ampel, deren Architekt er war. Jetzt lässt er sich von Scholz mit einem Doppel-Ministeramt für seine Kanzlertreue belohnen.
Jedenfalls: Der Weg zur Neuwahl über die Vertrauensfrage ist damit frei, denn für hinreichend Misstrauen bei einer Abstimmung hat Scholz gesorgt. Nur fürs Protokoll: Scholz könnte, als Kanzler gescheitert, auch ganz einfach zurücktreten. Er entschied sich, die Vertrauensfrage zu stellen. Und zwar im Januar. Weshalb erst dann?
Kanzleramt kann Wahlkampf-Erzählung steuern
Bis dahin kann er aus dem Kanzleramt das „Framing“ und die „Narrative“ für den SPD-Wahlkampf setzen. Wonach er der Kanzler und Staatsmann ist, dem die FDP angeblich die Loyalität aufgekündigt und ihn daran gehindert hat, zum Wohl Deutschlands Geld auszugeben (was mindestens hart an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit gewesen wäre). Ein Kanzler, so seine weitere Erzählung, dessen „Weisheit“ die Union aus schnöden parteipolitischen Gründen nicht folgt. Das ist der eine Grund für den Termin.
Der zweite: Scholz stammt aus Hamburg, war dort Bürgermeister. Hamburg ist eine SPD-Hochburg, Umfragen sehen dort auch aktuell die SPD weit vorne. Hamburg wählt am 2. März. Ein Erfolg in seiner alten Heimat Hamburg wäre wohl der Rückenwind, den sich Scholz in seinem eigenen Wahlkampfendspurt zunutze machen will.
Die Sache mit dem Zeitplan hat nur einen Haken: Den Termin für die Bundestagswahl legt der Bundespräsident fest. Für Frank Walter Steinmeier ist das heikel, denn er hat durchaus Spielraum.
Nach Vertrauensfrage hat Präsident 21 Tage Zeit
Die Vertrauensfrage will Scholz am 15. Januar stellen. Die wird er – wenn es planmäßig läuft – verlieren. Danach schlägt er dem Bundespräsidenten vor, den Bundestag aufzulösen. Das kann Steinmeier tun. Er muss es aber nicht. Dann bliebe es bei einer Minderheitsregierung – es sei denn, die Union träte, ermuntert durch das Staatsoberhaupt, in die Scholz-Regierung ein. Danach sieht es aber nicht aus.
Also: Jetzt hat der Präsident 21 Tage Zeit, über die Auflösung des Parlaments zu entscheiden. Er kann es aber auch sofort tun. Grund zu warten hat er genaugenommen nicht – Steinmeier ist ein erfahrener Mann, er hat sich mit dem Szenario längst auseinandergesetzt.
Löst Steinmeier den Bundestag auf, muss das neue Parlament innerhalb von 60 Tagen danach gewählt werden. In Grundgesetz-Artikel 39 steht: „innerhalb von 60 Tagen“ – und nicht etwa: „nach“ 60 Tagen. Es liegt also jetzt im Ermessen des Bundespräsidenten, wann Deutschland wählt.
Folgt der Präsident dem Kanzler?
Im Klartext: Steinmeier kann Scholz folgen und am 16. März wählen lassen. Er kann es aber auch bleiben lassen und einen anderen, früheren Termin wählen. Damit steht die heikle Frage im Raum: Folgt der Präsident dem Kanzler, dessen Zeitplan erkennbar partei- und wahltaktisch motiviert ist, oder setzt er sich souverän darüber hinweg, allein schon: Um eine Rufschädigung für das höchste Staatsamt zu vermeiden?
Steinmeier hat die drei FDP-Minister an diesem Donnerstag in angemessener Würde verabschiedet. Er würdigte deren Arbeit so wertschätzend, wie man es von einem Staatsoberhaupt erwarten kann. In Stil und Ton hob sich Steinmeier damit deutlich ab vom Bundeskanzler. Der beschimpfte Lindner nach drei Jahren engster Zusammenarbeit übel und auch persönlich.
Womit er ein schlechtes Beispiel für das abgab, was den Deutschen immer noch wichtig ist: den respektvollen, wenn nicht vorbildlichen Umgang mit staatlichen Institutionen. Es klang wie eine tadelnde Antwort auf den Bundeskanzler, als der Bundespräsident sagte:
„Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel.“