Eine Analyse von Ulrich Reitz - Im Bundestag wird klar, was beim Asyl-Gipfel wirklich passierte

Auch unter Experten umstritten: Zurückweisungen von Migranten an deutschen Grenzen (Archivbild).<span class="copyright">Patrick Pleul/dpa</span>
Auch unter Experten umstritten: Zurückweisungen von Migranten an deutschen Grenzen (Archivbild).Patrick Pleul/dpa

Sündenbock-Suche im Bundestag: Friedrich Merz und Olaf Scholz beschimpfen sich gegenseitig. Derweil wechselt die FDP die Seiten – und stellt sich gegen die Grünen an die Seite der neuen Merz-CDU.

Auf den großen Kladderadatsch in der Migrationspolitik folgte tags darauf das „blame game“ – die Suche nach dem Schuldigen. Der Kanzler sagte, Friedrich Merz und die Unions-Regierungschefs hätten sich, als die den Migrationsgipfel verließen, „in die Büsche geschlagen“. Der CDU-Chef nannte den Vorwurf von Olaf Scholz, die Union habe das Scheitern des Asyl-Gipfeltreffens geplant, „infam“. Nur eine Version kann stimmen. Aber welche?

Debatte enthüllt die Positionen beim Asyl-Gipfel

Die Version, die Thorsten Frei erzählt, geht so. „Wir hatten nie eine Chance.“ Weil zwar die SPD und die Liberalen bereit gewesen wären, die Grenze für illegale Asylbewerber dicht zu machen, nicht aber die Grünen. Die Bundestagsdebatte über den Kanzler-Etat, traditionell die General-Aussprache über die Regierungspolitik, bestätigt die Version der Union. Dafür gibt es nun einen Zeugen.

Denn die Grünen machen klar, was sie in dem Vorschlag von Merz sehen: Den Versuch, die Europäische Union „kaputt“ zu machen. Drastischer geht es kaum. Die Grünen gehen sogar so weit, das Erbe der früheren Kanzlerin Angela Merkel gegen den wahrscheinlichen nächsten Kanzler Friedrich Merz zu verteidigen.

Dann aber lässt die FDP die Katze aus dem Sack – und auf einmal wird sehr klar, wie zerrüttet die Ampelkoalition in Wirklichkeit ist. Es ist wie beim Roulette – rien ne va plus – nichts geht mehr. Es wird aber auch klar, wie isoliert die Grünen in der Migrationsfrage dastehen – von wegen „Alleingang“ der anderen.

Brisante Aussagen des FDP-Generals

Ein Mann ist der Spezialist für Klartext und nun wird er im Bundestag seiner Rolle gerecht. Ob Absicht oder nicht – jedenfalls gibt FDP-Generalsekretär Bijan djir Sarai preis, wie es in dem Asyl-Spitzengespräch gelaufen ist. Damit ist von nun an klar, welche Rechtsauffassung die Liberalen beim Thema Grenzschließungen haben. Das ist brisant, weil die FDP eines der beiden Verfassungsministerien, das für Justiz, besetzt hat.

Djir Sarai schlägt einen ernsten Ton an: Nötig sei ein „grundlegender Neuanfang“ in der Migrationspolitik. Zur Erinnerung: die Ampel regiert seit knapp drei Jahren. Dieser Neuanfang sei eine „Kernfrage der Stabilität unserer Demokratie“ – höher kann man gar nicht in die Schublade greifen. Die Demokratie werde einen „enormen Schaden“ davon tragen, falls sich die Migrationspolitik nicht ändere.

Das klingt wie nach einer Abrechnung mit der Art von Migrationspolitik, für die vor allem die Grünen in dieser Regierung gesorgt haben – möglichst viel zu beschließen, um in die ganze Welt zu signalisieren, dass Deutschland offen für alle sei. Darum glauben die Grünen in völligem Gegensatz zur FDP, dass ein Neuanfang in der Migrationspolitik die Demokratie gefährde.

Der FDP-General verabschiedet sich wie selbstverständlich aus der Einigkeit innerhalb der Regierung, zu der eine Koalition in einer derart zentralen Frage doch eigentlich fähig sein sollte: „Es gibt keine Ampel in der Migrationspolitik.“

FDP rückt zur Merz-CDU

Die FDP stehe der Union weitaus näher als den „geschätzten“ Partnern von SPD und Grünen. Und dann folgt der Satz, der erklärt, wie es in dem vertraulichen Gipfelgespräch abgelaufen sein muss: „Genau so, wie (Marco) Buschmann gestern gesagt hat: Wir sind bereit Eins zu Eins umzusetzen, was die Union gesagt hat.“ Und: Das solle man gleich noch einmal versuchen, in einem weiteren Gespräch, nur die Chefs diesmal, dazu hat Christian Lindner eingeladen. Die FDP werde sich offen an die Seite der größten Oppositionspartei stellen.

Djir Sarai: „Als Generalsekretär der FDP gebe ich Ihnen mein Wort.“ Die Liberalen seien bereit, gemeinsam mit der Union das Migrationsproblem zu lösen. Das ist ein dickes Ding, denn demnach hat sich der Bundesjustizminister beim vertraulichen Asylgipfel den Vorschlag der Union inhaltlich zu eigen gemacht. Das ist nicht nur bedeutsam, weil dann ein Minister sich gegen die anderen Minister und auch den Bundeskanzler stellt.

Sondern: Weil er sich damit auch die Rechtsauffassung der Union zu eigen gemacht hat. Und die sagt: Einer Abweisung irregulärer Migranten direkt an der deutschen Grenze steht nichts im Weg – auch nicht das Europarecht – wie die Grünen mit einer Vehemenz behaupten, als sei dies in Stein gemeißelt.

Grünen stemmen sich gegen Verschärfungen

Gegen die Grenzkontrollen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an allen neun deutschen Außengrenzen verfügt hat, hatten prompt zuerst die österreichische, dann die polnische Regierung protestiert. Daraus leiten die Grünen den Vorwurf ab, wer derlei vorschlage, wolle Europa zerstören. Der FDP ist derlei, nun ja – egal.

Denn dazu sagte der Fraktionsvorsitzende der Liberalen Christian Dürr mit entwaffnender Offenheit dies: Man möge doch gemeinsam den Vorschlag der Union umsetzen „und gemeinsam auch die Rechtskonsequenzen tragen“.

Offenbar wäre auch der Bundeskanzler bereit gewesen, dieses außenpolitische Risiko zu tragen. Olaf Scholz mit bemerkenswert breiter Brust und wenig diplomatisch: „Da müssen wir durch.“ Seine Bundesaußenministerin hatte ganz anders argumentiert, wie in der Generaldebatte auch alle anderen Grünen: jeglicher europäische „Alleingang“ beim Asyl müsse verhindert werden.

Grünen sind zu einer „Asylwende“ nicht bereit

Daraus ergibt sich ein klares Bild der Ampelkoalition in dieser aus Sicht der Bürger entscheidenden Frage: die Grünen sind zu einer „Asylwende“ nicht bereit. Die FDP geht dagegen bei den harten Vorstellungen der Union konsequent mit: „Eins zu eins“... Der sozialdemokratische Kanzler würde wohl dabei mitziehen, er betonte - trotz aller dem Wahlkampf geschuldeten Beschimpfung von Merz -  für den Oppositionschef  bleibe seine Tür stets geöffnet.

Zurück zu den Liberalen. Deren Einstellung gegenüber der Union verändert sich gerade grundlegend – ebenso wie die zu SPD und vor allem den Grünen. Längst ist Wolfgang Kubicki nicht mehr der Einzige, der sich in der Ampelregierung verhält wie die Opposition auf zwei Beinen.

Bisher gehörte der FDP-Fraktionschef Dürr zu den schärfsten Kritikern von Merz. Das ist vorbei. Offenkundig hat der FDP-Parteichef Christian Lindner die Parole ausgegeben, mit der Nach-Merkel-Union wieder den Schulterschluss zu suchen. Damit sind die Weichen für die nächste Bundestagswahl wohl ganz neu gestellt.

„Ich fand das sehr glaubwürdig“

Die FDP war, solange Merkel oder ihre Getreuen, wozu auch der letzte Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet gehörte, Ton und Richtung angaben, auf maximale Distanz zur CDU gegangen. Nun hat aber Merz vor einigen Tagen ganz offiziell als CDU-Chef den Bruch mit der Migrationspolitik Merkels vollzogen. Der liberale Dürr würdigte dies in der Bundestags-Generaldebatte ausdrücklich: „Ich fand das sehr glaubwürdig.“

Die Liberalen stellen sich nun wieder, obwohl - noch – in der Regierung mit SPD und Grünen, eindeutig an die Seite der Union. Die Abkehr von den anderen beiden Ampelparteien in der Migrationspolitik ist dabei sogar nur der kleinere Teil.

FDP--Generalsekretär Djir-Sarai verlangte im Bundestag eine „Wirtschaftswende“ – inklusive Steuersenkungen für Unternehmen. Und eine Eindämmung der grassierenden Sozialkosten. Die Schuldenbremse, die Grüne und Sozialdemokraten für so etwas halten wie den Fetisch des Bundesfinanzministers, nannte Djir-Sarai „einen Segen“.

Das Geld des Staates sei keine „beliebige Verteilungsmasse“ – sondern: das „Geld des Steuerzahlers“. Da applaudierten die Liberalen, von den Sozialdemokraten und Grünen hob sich nicht eine Hand zum Beifall für den Vertreter des Koalitionspartners.

In der ersten Reihe saßen weiter rechts Friedrich Merz und Thorsten Frei. Sie schauten sich an. Und nickten zufrieden.