Analyse von Ulrich Reitz - An diesem Scholz-Bild ist alles falsch – er spielt ein doppeltes Spiel
Olaf Scholz gibt in der Ukraine den Kriegshelfer und in Deutschland den Friedenskanzler. Der Kanzler hat eine Wette abgeschlossen, ähnlich wie damals Schröder. Kommt er damit durch?
Im deutschen Wahlkampf der besonnene Friedenskanzler, in der Ukraine der verlässliche Kriegsalliierte. Olaf Scholz legt binnen weniger Tage einen aufregenden Polit-Stunt hin . Der Noch-Kanzler hat mit seiner Doppelstrategie eine riskante Wette abgeschlossen: Die Wähler sollen ihm seine zwischen Pazifismus und Militarismus mäandernden Doppelrolle abnehmen, damit Scholz mit seinen Rollen zugleich seinen Stimmenanteil verdoppeln kann.
Das kann sogar funktionieren, Gerhard Schröder hat es vorgemacht: Sieben Wochen vor der Bundestagswahl 2002 schleuderte Schröder ein donnerndes Nein zu einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg – und rettete damit seine rot-grüne Koalition vor der Machtablösung durch den Unions-Kandidaten Edmund Stoiber von der CSU.
Mit Deutschlands Friedenssehnsucht kann man es als Wahlkämpfer weit bringen
Im Afghanistan-Feldzug der Amerikaner nach 9/11 war Schröder dabei, im zweiten „War-on-terror“-Feldzug nicht: dem Irak-Krieg. Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer lagen damals scheinbar uneinholbar in den Umfragen zurück. Schröders Nein drehte die Lage komplett und zeigte. Mit Deutschlands Friedenssehnsucht kann man es als sozialdemokratischer Wahlkämpfer weit bringen.
Und doch: An diesem Bild, das nun von dem Treffen von Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj verbreitet wird, in einem Krankenhaus, in tröstender Nähe zu einem schwer Kriegsversehrten, will fast gar nichts stimmen. Es ist eine Pose, bei der ein Kriegsopfer der Ukraine zum Teil einer Wahlkampf-Inszenierung in Deutschland gemacht wird, allein das ist eher beschämend.
Damit nicht genug: Das Foto symbolisiert eine trotzige Waffenbrüderschaft, eine, die stärker ist als der von den Russen zerschossene ukrainische Soldat. Nur – diese Waffenbrüderschaft gibt es so gar nicht.
Scholz habe „die Büchse der Pandora“ geöffnet attackierte ihn Selenskyj
Es ist nur wenige Tage her, da ging Selenskyj den deutschen Kanzler mächtig an. Das war, als Scholz mit Wladimir Putin telefonierte – und dem Kriegsaggressor nichts Neues zu bieten hatte, keinen Deal, keine Drohung, nichts. Und tags darauf ließ Putin dann die verheerendsten Angriffe seit Langem auf die Ukraine fliegen.
Scholz habe „die Büchse der Pandora“ geöffnet, attackierte ihn Selenskyj – mit einigem Recht. Denn bislang galt unter westlichen Verbündeten die Linie, Putin international zu isolieren. Was mit einem Telefonat, nicht eingebettet in europäisch-amerikanisches Handeln, nur schlecht in Einklang zu bringen ist.
Schon sein Telefonat mit Putin fügte sich ein in die Scholz-Erzählung, in sein Wiederwahl-Narrativ aus Intelligenz und Geschick, aus Besonnenheit und Staatsmann und Kriseninstinkt.
Man muss nicht groß spekulieren, um zu wissen, wem sie in Kiew den Wahlerfolg gönnen
Und nun die Zugfahrt zu Selenskyj, erkennbar mit dem Ziel, Friedrich Merz zuvorzukommen, den die Ukrainer gleichfalls eingeladen haben. Man muss nicht einmal groß spekulieren, um zu wissen, wem sie dort in Kiew den Wahlerfolg am 23. Februar gönnen.
In den Nationalfarben der Ukraine: Blau-Gelb wünscht sich Schwarz-Grün. Gerne auch mit Gelb dabei. Nur eins wünscht man sich in der Ukraine sicher nicht: Einen Wahlsieg von Scholz und dessen für Russland-Romantik anfälliger SPD mit ihrem Zauder-Kurs des „Stets zu spät und nie genug“.
Diese Renaissance würde sich die Ukraine gerne ersparen: einen Kanzler, der in Kiew lieb Kind tut und sich in Deutschland zur selben Zeit profiliert als Friedenskanzler zulasten der Ukraine.
Auf die Frage, was die Grünen mit Friedrich Merz besser machen könnten als mit Olaf Scholz, antwortete die Grünen-Chefin Franziska Brantner in der „Bild“: „Klar an der Seite der Ukrainer stehen.“ Brantners Vorgängerin Ricarda Lang hieb in dieselbe Kerbe, richtig lag auch sie:
„Ich finde, es ist nicht gerade Ausdruck eines kühlen Kopfes, als Bundeskanzler bewusst Ängste zu schüren, um sich dann im, Wahlkampf als einzige Antwort auf die Angst präsentieren zu können – was dann noch nicht einmal funktionieren, sondern nur dem BSW in die Hände spielen wird.“
Scholz hatte die Atomangst schon kurz nach Kriegsbeginn heraufbeschworen
Der Wahlkampf mit der Angst vor Putin, vor dessen Atom-Raketen, ist mittlerweile zu einem zentralen Wahlkampf-Argument von Scholz geworden. Es ist allerdings eins, das auf das schlechte Gedächtnis des Wahlvolks setzt.
Scholz hatte die Atomangst schon kurz nach Kriegsbeginn heraufbeschworen – um sich dann zu rühmen, den russischen Grund dafür mit Hilfe des chinesischen Staatschefs Xi beseitigt zu haben. Scholz hatte sich selbst dafür gelobt, Xi dazu gebracht zu haben, Putin dazu gebracht zu haben, die Atomdrohungen sein zu lassen.
Stimmen kann allerdings nur eine Version: Entweder haben die Chinesen auf Drängen von Scholz Putin von der Drohung mit Atomraketen abgebracht – dann bräuchten allerdings die Deutschen auch keine Angst davor zu haben. Oder: Die Deutschen müssen doch Putins Atom-Arsenal fürchten, dann allerdings war der riesengroße Scholz-Erfolg bei den Chinesen erheblich kleiner als von ihm verkauft.
Und auch eine zweite Scholz-Geschichte stimmt so nicht, was auch wieder die Grünen aufdecken: „Gut, dass der Bundeskanzler nach Kiew fährt“, lobt der Grünen-Haushälter Sebastian Schäfer. „Leider beginnt er die Reise wieder mit seiner Lüge vom stärksten Unterstützer in Europa. Als kühl kalkulierender Haushälter muss ich feststellen: Platz 14, ehrlich gemessen am BIP-Anteil.“
Selenskyj hat schon länger einen ungeschminkten Blick auf Scholz
Und auch Scholz „Mitbringsel“, die Rüstungsgüter für 650 Millionen Euro, lassen die Grünen nicht durchgehen, an ihrer Seite hier Union und FDP: Es gebe weder neues Geld noch neue Waffen. Sondern nur die Umsetzung einer älteren Ankündigung.
Selenskyj und seine Leute haben schon länger einen ungeschminkten Blick auf Scholz und dessen Doppeltaktik. Das Nein des deutschen Kanzlers zur Lieferung deutscher Taurus-Mittelstreckenraketen nennt Kiews Deutschland-Botschafter Oleksij Makejew, wenn er nicht gerade bei Staatsbesuchen neben Scholz steht, einen „Blankoscheck für die Russen“.
Scholz nimmt es als Wahlkämpfer mit der Wahrheit auch nicht mehr ganz so genau. So verbreitet Scholz – wenig Kanzler-like – über Merz Aussagen hart an der Grenze zu Fake News. Etwa diese hier:
„Friedrich Merz will der Nuklearmacht Russland ein Ultimatum stellen. Ich kann nur sagen: In Fragen von Krieg und Frieden braucht es keinen unberechenbaren Oppositionsführer, sondern einen klugen Kopf.“
Olaf Scholz und ein guter alter Bekannter
Tatsächlich hat Merz Putin – für den Fall weiterer Angriffe auf zivile ukrainische Ziele, etwa Krankenhäuser, was ein Kriegsverbrechen ist – die Freigabe deutscher Verteidigungswaffen für Angriff auf russischem Territorium plus die Lieferung von Taurus angedroht. Aber: erstens als Deal, ein „Wenn-dann-Geschäft“ mit dem Ziel, die Angriffe Russlands auf Hospitäler zu stoppen. Und zweitens: nur nach Rücksprache mit den Partnern in Europa. Die allerdings, wie Frankreich und Großbritannien, bereits Taurus´entsprechende Waffen liefern.
Im Übrigen: Wie sinnvoll es sein kann, auch einer Nuklearmacht zu drohen, hat ein sozialdemokratischer Vorgänger von Olaf Scholz bewiesen – Helmut Schmidt als Kanzler in der Nachrüstung der Nato für atomare Mittelstreckenraketen.
Einer war – neben Oskar Lafontaine, dem Gründer der Links-Partei – damals schon dagegen; und stand damit auf der falschen Seite der Geschichte: Olaf Scholz.