Eine Analyse von Ulrich Reitz - FDP vor dem Ausstieg? Die nächsten 48 Stunden entscheiden die Kanzlerschaft von Scholz

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterhalten sich im Bundestag.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterhalten sich im Bundestag.Kay Nietfeld/dpa

Die FDP ist erkennbar am Ende. Ist der dramatische Flop bei der Brandenburg-Wahl ihr letzter Sargnagel? Oder wagt Christian Lindner jetzt den liberalen Befreiungsschlag – und beendet die Kanzlerschaft von Olaf Scholz. Es wäre womöglich seine letzte Chance.

Die unwichtigste Partei hat bei der Landtagswahl in Brandenburg das wichtigste Ergebnis eingefahren. Die FDP ist Koalitionspartner in der Ampelregierung von Olaf Scholz – und beides zusammen hat sie an die Wahrnehmungsschwelle geführt, im Klartext: an die Todesgrenze. Ihr ergeht es in der Koalition nach dem Motto: Mitgehangen – mitgefangen.

Bei den Liberalen glühen jetzt die Drähte – hätte man früher geschrieben, wo es noch Drähte zum Glühen gab. Aber man telefoniert sich zusammen, digital und drahtlos also, alles wartet darauf, wie eine Schaltkonferenz noch an diesem Sonntagabend ausgeht mit dem Parteivorsitzenden.

FDP steht vor der Frage aller Fragen

Aus einem wichtigen Landesverband wurde FOCUS online das digitale Krisentreffen der FDP-Führung mit Christian Lindner bestätigt – und tatsächlich könnte die Lage für die FDP dramatischer nicht sein. Denn sie steht jetzt vor der Frage aller Fragen, die eigene Existenz betreffend:  Sollte sie besser gar nicht als schlecht regieren? Raus aus der Ampel, die niemand mehr will, als letzte Rettung für die FDP? Das sinkende Schiff verlassen, bevor man mit ihm untergeht?

Die Ampel hat fertig – ihre Zustimmung liegt bei Null bis drei Prozent – so tief ist noch nie eine Bundesregierung in der deutschen Nachkriegsgeschichte gefallen. Das ist aus der Sicht der Liberalen schon schlimm genug. Noch schlimmer ist aber die Aussichtslosigkeit für sie: Was könnte der FDP überhaupt noch einfallen, um ihr drohendes Ende bei der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch abzuwenden?

Die Lage für die Liberalen erscheint ausweglos – macht sie bei Roten und Grünen loyal mit, hält ihnen ihre bürgerliche Wählerschaft genau dies vor. Denn wohl niemand wählt die Liberalen wegen der allgemeinen deutschen Kiffererlaubnis. Oder weil sie sich für Transsexuelle einsetzt – auf Kosten von Frauen, die seit Monaten die Verletzung ihrer Schutzräume beklagen – also ein Maximum an geopferter Entfaltungsfreiheit. Ihr einziger großer Erfolg aus Sicht liberaler Wähler ist die Schuldenbremse – aber das reicht eben offenkundig nicht – nicht einmal fürs Überleben.

Schicksal der Koalition von Olaf Scholz entscheidet sich jetzt schnell

Die deutsche Wirtschaft schmiert ab, zum ersten Mal seit langer Zeit wächst die Arbeitslosigkeit wieder, immer mehr Menschen haben Angst um ihre – auch bürgerliche – Existenz. Aber die FDP kann in der Ampel – als kleinster Partner – für eine Trendumkehr nicht sorgen.

Denn: Die Grünen wollen genau dies nicht. Was sie wollen, ist das Gegenteil von dem, wofür die FDP steht und was deren Wähler von ihr erwarten: Der Staat soll gerade nicht zum großen Wirtschaftsplayer werden, zu dem Robert Habeck ihn auf Kosten der Steuerzahler machen will.

Das Schicksal der Koalition von Olaf Scholz entscheidet sich jetzt schnell – und es entscheidet sich an der FDP. Für die Liberalen sind die nächsten 48 Stunden die letzte Chance, aus dieser Regierung gesichtswahrend wieder herauszukommen.

Für die SPD ist diese Situation einigermaßen paradox, denn: Sie hat die letzte der drei Ost-Wahlen in diesem Jahr gewonnen. Aber halt – der Satz ist falsch: nicht die SPD hat die Brandenburg-Wahl gewonnen. Sie fand nämlich gar nicht statt. Ein einziger Mann hat diese Wahl für sich entschieden, die SPD kann froh und dankbar sein, dass Dietmar Woidke ein rotes Parteibuch hat. Aus beinahe aussichtsloser Lage hat Woidke alles auf eine Karte gesetzt – und offensichtlich gewonnen. Toll für ihn – aber was heißt das für Olaf Scholz, den Bundeskanzler?

Woidke hat sich als Anti-Scholz inszeniert

Wäre Woidkes Sieg sein Sieg, Olaf Scholz hätte sich wohl kaum abgesetzt nach New York, wo unter dem Vorsitz  von Deutschland und Namibia die vereinten Nationen eine Versammlung über die „Zukunft“ veranstalten. Vor allem über die Zukunft der UN, kurzum: Was daran im deutschen Interesse liegen soll, müsste man erst noch herausfinden.

Woidke hat sich als Anti-Scholz inszeniert. Der brandenburgische Regierungschef hat den brandenburgischen Wahlkreisabgeordneten und Bundeskanzler aus seinem Wahlkampf ausgeladen. Also hat am Ende eben auch Woidke als Anti-Scholz diese Wahl gewonnen.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert war an diesem Abend ehrlich genug, um gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, den Applaus auf den Kanzler umzulenken. Man weiß gar nicht, ob man die SPD zum Wahlsieg von Woidke beglückwünschen soll oder nicht, denn: Die Brandenburg-Wahl war die letzte Chance, den erfolglosen und mit Rekord-Minuswerten auch unbeliebten Kanzler zu ersetzen durch einen anderen Sozialdemokraten mit weitaus größeren Chancen bei den Wählern.

Brandenburg-Wahl enthält eine Lehre auch für die SPD

Aber Boris Pistorius dürfte jetzt keine Chance mehr haben, Scholz als Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl abzulösen. Hätte Woidke gegen die AfD verloren, wäre es womöglich noch ganz anders gekommen.

Aber die Brandenburg-Wahl enthält eine Lehre auch für die SPD: Auch ein Sozialdemokrat kann eine Mehrheit der Wähler von sich überzeugen und Wahlen gewinnen. Die SPD ist also keineswegs dem Untergang geweiht. Im Gegenteil – die Sozialdemokraten werden gebraucht, falls sie mit einem überzeugenden Spitzenkandidaten antreten. Den hatten sie in Brandenburg. Den aber haben sie nicht in Berlin. Das Fazit in Bezug auf Olaf Scholz lautet jetzt so: Die SPD wird die unglückliche Kanzlerschaft ihres Parteigenossen nicht mehr beenden. Falls diese doch noch vor der Zeit zu Ende geht, dann wegen der FDP. Das war übrigens schon einmal so, als 1982 die Liberalen (in einer unfreiwilligen Koalition mit den SPD-Linken wie Oskar Lafontaine) die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt beendeten.

Sollte es auch dieses Mal so kommen, dann müsste man urteilen: Manchmal wiederholt sich Geschichte eben doch.