Eine Analyse von Ulrich Reitz - FDP hängt in der Todeszone - nun kursiert eine ziemlich unangenehme Frage

Parteivorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister Christian Lindner beim Wahlkampf in Brandenburg (Symbolbild).<span class="copyright">Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler</span>
Parteivorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister Christian Lindner beim Wahlkampf in Brandenburg (Symbolbild).Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

Drinbleiben? Rausgehen? Wegschauen? Bei den Liberalen macht sich Existenzangst breit. Und Hilfe naht von nirgendwo, nicht von der SPD und auch nicht von der Union. Jetzt ist jeder nur noch sich selbst der nächste.

Die SPD macht schon jetzt ihre Machtrechnung ohne die FDP auf, die noch ihr Regierungspartner ist und ohne die Olaf Scholz nicht Bundeskanzler hätte werden können. SPD-Chef Lars Klingbeil: „Nach der Bundestagswahl wird es eine andere Finanzpolitik geben müssen.“

Ein Statement, das sich liest wie eine Ohrfeige für den Bundesfinanzminister von der FDP. Und so ist es offensichtlich auch gemeint. Die SPD baut vor, sie fängt schon jetzt an, ein Leben ohne die Liberalen zu thematisieren. Die FDP wird zwar noch gebraucht, aber nur noch ein Jahr lang.

Entsprechend überheblich fällt die Tonlage der Sozialdemokraten nach dem einzigen Wahlerfolg der drei ostdeutschen Landtagswahlen in Brandenburg aus „Ich hoffe, dass niemand auf die Idee kommt, vor der Verantwortung wegzulaufen“, sagt Klingbeil – und meint die FDP. Bei den Liberalen hat längst eine Debatte über ihre Zukunft begonnen – auch wenn Christian Lindner versucht, den Deckel auf dem immer stärker brodelnden Topf zu halten.

Niemand in der FDP stellt Lindner infrage: „Er ist der Zampano“

Der FDP-Parteivorsitzende sagte im Parteipräsidium, was er auch in Interviews öffentlich sagt: Es sei der „Herbst der Entscheidungen“. Am Sonntagnachmittag saßen die Liberalen in vertraulicher Runde zusammen, um, noch bevor die ersten offiziellen, desaströsen Zahlen der Brandenburg-Wahl die Runde machten, darüber zu beraten, wie es weiter geht. Niemand in der Runde stellte Lindners Autorität infrage. „Alle schauen auf ihn, er ist der Zampano“, sagte einer der Teilnehmer zu FOCUS online.

Keine Illusion herrscht bei führenden Liberalen in den FDP-Landesverbänden über die Stimmung der Mitglieder an der Parteibasis: „In der Partei ist das durch“, sagte einer aus der Parteiführung im vertraulichen Gespräch: „Keiner glaubt mehr an den Fortbestand der Ampel.“

Würde es heute noch einmal eine Mitgliederbefragung zum Verbleib der Liberalen in der Ampel geben, sie fiele wohl klar dagegen aus. Vor neun Monaten spracht sich eine knappe Mehrheit für den Fortbestand der Ampel aus, mit dünnen 52,24 zu 47,76 Prozentpunkten.

FDP hängt in der Todeszone fest - jetzt kursiert eine ziemlich unangenehme Frage

In der FDP macht inzwischen die, für die Liberalen, unangenehme Frage die Runde, ob sie es überhaupt noch selbst in der Hand hat, über ihr Schicksal zu entscheiden. Ist es nicht inzwischen schon zu spät für einen Ausstieg, wird gefragt, nachdem mehrere „Chancen ungenutzt“ geblieben seien.

Denn nicht nur die SPD macht ihre Rechnung inzwischen ohne die Liberalen. In der Union, traditionell eher FDP-nah, sieht es kaum anders aus. Der Ton wird immer respektloser. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, der Christian Lindner persönlich schätzt, stellte mit kühler Mine fest, bei der Wahl in Brandenburg habe die FDP weniger Stimmen geschafft „als die Hälfte der Tierschutzpartei“.

Söder und Merz reiben neues Salz in die liberalen Wunden

Friedrich Merz schloss die rhetorische Frage an: „Wie weit will man als FDP noch sinken?“ Eine Frage, die es in sich hat. Sie verweist nicht nur auf die desaströsen Wahlresultate der FDP, sondern ist auch ein versteckter Appell an ihren Stolz. Dahinter steckt eine Analyse, die die Union schon länger über die FDP getroffen hat. Sie lautet:

Die Liberalen zerbröselten sich in der Ampel unter dem Druck der beiden linken Parteien quasi selbst. Der zweite Unions-Chef, der CSU-Parteivorsitzende Markus Söder, rieb neues Salz in liberale Wunden: Es sei ein Fehler der FDP gewesen, überhaupt in die Koalition mit SPD und Grünen einzutreten, obwohl damals auch eine Regierung von Union, Grünen und Liberalen machbar gewesen wäre. (Unter einem Bundeskanzler Armin Laschet, den Söder heute für den „falschen Kandidaten” hält – ernsthaft?)

Wenn nun die FDP daran denke, so Söder, die Ampelregierung zu verlassen, handle es sich um „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“. Wer in der FDP öffentlich daran denkt, ist allerdings schon den parlamentarischen Tod gestorben, wie die bayerische FDP, deren Landeschef Martin Hagen den Ausstieg in Berlin empfiehlt.

„Wenn die FDP nicht mehr in den Bundestag kommt, sind wir weg“

Aber denkt die FDP in der Breite an Ausstieg, den „Ampelexit“? Wer sich bei führenden Liberalen in den Landesverbänden umhört, bekommt eindeutige Antworten.

Hier deren Quintessenz:

Die große Mehrheit der Parteimitglieder befürworte den Ausstieg aus der von Olaf Scholz geführten Koalition. „Die Ampel ist toxisch für uns“, sagte der Chef eines Landesverbands zu FOCUS online. „Wir nehmen immer mehr Schaden.“

In den West-Landesverbänden – hier und nirgendwo sonst hat die FDP ihre Bataillone – ist die Befürchtung groß, die FDP könne im kommenden Jahr ans dem Bundestag fliegen, dann allerdings unter Führung des Vorsitzenden, der sie einst gerettet hat.

Das, der erfolgreiche Einsatz für die Rückkehr der FDP aus bedrohlicher Lage auf Bundesebene und zuvor in Nordrhein-Westfalen, ist auch der Grund, weshalb Lindner aktuell niemand aus dem Parteipräsidium öffentlich infrage stellt.

Ein Ende der FDP als Bundestagspartei werde sie allerdings diesmal ihre Existenz auf Landes- und kommunaler Ebene kosten, lautet inzwischen die Einschätzung maßgeblicher Repräsentanten: „Wenn die FDP nicht mehr in den Bundestag kommt, sind wir weg.“

In der FDP trägt ein Teil die „woken“ Teile der Ampelpolitik mit

In den Landesverbänden können sie die Ampel-„Sünden“ der FDP – mitgehangen, mitgefangen – nachts um vier aufsagen. Vom Atom-Ausstieg, dem Staatsbürgerschaftsrecht, den Denunziationsstellen, der Wahl der linken Ferda Ataman zur Antidiskriminierungs-Beauftragten bis hin zum für Jäger bedrohlichen Waffengesetz und dem Selbstbestimmungsgesetz inklusive drastischer Strafen für jene, die selbsternannte Frauen mit Penis für Männer halten und dies auch sagen wollen – und so weiter.

Es sind, auch dies muss man sagen, die Einwände von konservativer FDP-Seite gegen die Ampel-Beteiligung. Die FDP aber ist eine komplizierte Partei, es gibt dort auch einen starken sozialliberalen Flügel, der die „woken“ Teile der Ampelpolitik durchaus mit Überzeugung mitträgt. Die aktuellen Sorgen und Nöte der FDP entspringen also auch einem Hadern mit sich selbst. Die „Sozialliberalen“ seien dafür, in der Scholz-Regierung zu bleiben, ebenso die Minister, die es kaum ein weiteres Mal würden, ebenso ein großer Teil der Parlamentarier inklusive des Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr. Ihre Mandate stünden bei einer Neuwahl infrage.

In der „Aussteiger“-Fraktion der Liberalen wird auch darauf verwiesen, dass Christian Lindners Kernstück, der Erhalt der Schuldenbremse, die Liberalen bei Wahlen nicht vor dem Absturz bewahren konnte. Wobei: Niemand stellt hier die Schuldenbremse infrage, sie gilt als segensreich und gut durchargumentiert, nur eben: mit Finanzpolitik ließen sich eben offensichtlich keine Wahlen gewinnen.

Umfragen nahe der Todesgrenze: In der FDP grassiert die Existenzangst

Die Zeiten werden unruhiger, in der FDP grassiert die Existenzangst. Das unterscheidet sie von den anderen beiden Ampelparteien, auch den Grünen, die immer noch bei gut zehn Prozent gemessen werden. Die Liberalen hingegen krebsen hingegen inzwischen in Umfragen an der Todesgrenze.

Und so diskutieren sie über gehen und bleiben. Darüber, ob Scholz sie herauswirft, ob man dies provozieren solle oder besser nicht. Sie denken nach über den Bundespräsidenten, der die Union in die Pflicht nehmen könnte, beim Regieren nach einem FDP-Ausstieg mitzumachen. Und an Neuwahlen, und was dies für jeden von ihnen bedeuten würde.

Und kaum jemand scheint noch an ein gutes Ende zu glauben. Allerdings, um konstruktiv zu enden: Keine Partei hat mit dem eigenen Endzeit-Management so viel Erfahrung wie die FDP.