Analyse von Ulrich Reitz - Frankreich zeigt, wie uns der „Kampf gegen Rechts“ die Sinne vernebelt
In Frankreich stoppt eine linke Volksfront den Durchmarsch von Le Pens Rechtsradikalen. Darüber freuen sich Grüne, SPD und CDU. Dabei handelt es sich um einen linken Pyrrhussieg.
Ein monatlicher Mindestlohn von 1600 Euro – nach Steuern. Ein Preisstopp für Lebensmittel – und gleich noch einer für Energie. Eine Ablehnung der europäischen Defizitregeln, also der EU-Schuldenbremse. Eine Absenkung des Renten-Eintrittsalters – von aktuell 64 auf 60 Jahre. Eine Vermögenssteuer. Eine Übergewinnsteuer für die Gewinne von Unternehmen.
Ergo: Diese neue französische Regierung, wer auch immer sie als Premierminister denn eines Tages führen mag , ist der Traum aller Linken. Vieles von dem, was sich in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne wünschen, aber wegen der FDP kaum noch zu sagen wagen, dürfte schon bald beim größten deutschen Nachbarn Frankreich Wirklichkeit werden.
Im Video: Wie es nach dem Wahl-Beben mit Macron, Le Pen und Frankreich weitergeht
Die Bürgerlichen zahlen einen hohen Preis für ihren Sieg gegen die Rechtsradikalen
In Frankreich haben viele bürgerliche Wähler links gewählt, um einen Durchmarsch der Rechtsradikalen von Marine Le Pen zu verhindern. Nach der Champagnernacht über diesen geglückten politischen Coup dürften die Bürgerlichen mit einem gewaltigen Kater aufwachen. Rechtsradikal verhindert zu haben, kommt sie teuer zu stehen.
Einmal ganz abgesehen von der Außenpolitik. In dem Programm, das sich die Parteien gegeben haben, aus denen diese neue „Volksfront“ gebastelt wurde – in Anlehnung an Leon Blum 1936 – ist die Rede von der sofortigen Anerkennung eines palästinensischen Staates. Den es allerdings nicht gibt. Wo Palästinenser regieren, im Gaza-Streifen und im Westjordanland, handelt es sich um terroristische Marionetten-Regierungen der islamofaschistischen iranischen Theokratie.
Es ist schon bemerkenswert, dass jene in Deutschland, die das französische Wahlergebnis feiern, etwa die Grünen-Chefin Ricarda Lang („Merci, France!“) der Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet von der CDU und die Erste Parlamentsgeschäftsführerin der SPD, Katja Mast, diesen Aspekt ausblenden. Laschet hat in Berlin eine Versöhnungs-Initiative für die arabischen Staaten und Israel gegründet. Die Hamas und die Fatah, die beiden palästinensischen Organisationen, hintertreiben genau diesen Versuch. Der Grund: Sie wollen Israel auslöschen. Es sind eliminatorische Antisemiten.
Auf die linke Volksfront ist beim Schutz der Juden kein Verlass
Das ist auch der Grund für einen aufsehenerregenden „Seitenwechsel“ in Frankreich vor dieser Wahl. Die beiden Nazi-Jäger Beate und Serge Klarsfeld hatten erklärt, im ersten Wahlgang die liberale Regierung der Partei von Präsident Emmanuel Macron zu unterstützten – im zweiten und entscheidenden Wahlgang aber Le Pen und deren Rassemblement National. Auf Le Pen sei in Bezug auf die Sicherheit der Juden Verlass, auf die linke Volksfront allerdings nicht, erklärten die beiden, die in Frankreich politischen Legenden-Status besitzen.
Der linke Antisemitismus sei in Frankreich inzwischen weitaus gefährlicher als der rechte. Es war ein Paukenschlag – die beiden Klarsfelds sind Nazi-Jäger seit Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts-ihr ganzes Leben lang. Frau Klarsfeld hatte einst den deutschen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger von der CDU geohrfeigt, wegen dessen – stets verharmloster – Verstrickung in das Nazi-Regime.
Der „Kampf gegen rechts“ vernebelt die Sinne
Der französische Fall zeigt auch, wie bei linken Eliten der „Kampf gegen rechts“ die Sinne dominiert (vernebelt?). Zu den ersten Gratulanten zählte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman, mit den jauchzenden Worten: „Vive la France“. Krugman ist Nobelpreisträger, er lehrte am Massachusetts Institute of Technology, in Princeton und an der London School of Economics. Er ist Kolumnist der New York Times, einer der einflussreichsten Ökonomen der Welt.
Während Katja Mast dies schrieb: „Es hat keinen Durchmarsch der Rechten in Frankreich gegeben. Es ist gut, dass das verhindert werden konnte. Ein guter Abend für Europa. Zusammenhalt statt Hetze“, kommt der langjährige sozialdemokratische Außenpolitiker Michael Roth zu einem ganz anderen Ergebnis.
Vor allem mit Blick auf den Wahlsieger und harten Sozialisten Jean-Luc Melenchon, der Teil der Volksfront ist. Roth ungeschminkt: „Melenchon ist ein Anti-Deutscher durch und durch. Er unterscheidet sich in seinen anti-deutschen und anti-europäischen Tiraden nicht substanziell von Frau Le Pen. Es gibt keinen Grund, Melenchon zu vertrauen. Er ist ein anti-europäischer Ideologe, ein Hasardeur.“
Macron ist gescheitert, die Flügel dominieren
Die Hoffnung der gemäßigten Linken, auch in Deutschland, richtet sich nun auf Raphael Glucksmann, Autor, Filmemacher, Mitglied des Europäischen Parlaments. Der 44-jährige Sohn des bekannten und einflussreichen Autoren Andre Glucksmann war als Spitzenkandidat der sozialistischen Partei angetreten. Die Hoffnung ist, dass Glucksmann für eine gemäßigt links-ökologische, pro europäische Regierung in Frankreich sorgen kann.
Das steht erst einmal in den Sternen. Denn an dem Hauptbefund der Wahlen in Frankreich führt erst einmal kein Weg vorbei, auch wenn das von der etablierten Politik in Deutschland nicht thematisiert wird: Macron und sein Versuch, ein liberal-bürgerliches Lager hinter sich und seiner Bewegung zu versammeln, ist gründlich gescheitert. Bei der Wahl dominierten die extremen Flügel links wie rechts.
Le Pen gehört, das wird bei aller Freude über deren verhinderten Durchmarsch gerne übersehen, zu den Wahlsiegern. Vor zwölf Jahren holte ihre Partei bei den französischen Nationalwahlen zwei Sitze, jetzt sind es 143. Macrons Partei brachte es auf 160, die linke Volksfront auf 181 der insgesamt 577 Sitze in der Nationalversammlung.
Frankreich wird sich durchwurschteln müssen
Damit scheint festzustehen: Das Regieren wird für Macron als Präsidenten weitaus schwieriger, und nun wird auch noch die Regierung selbst unter ihm instabiler. Denn keine der Formationen verfügt über eine absolute Mehrheit. Und Neuwahlen sind von jetzt an für ein Jahr nach der französischen Verfassung ausgeschlossen. Frankreich wird sich also in der nächsten Zeit irgendwie durchwurschteln müssen – mit erheblichen Folgen für Europa und auch die Rolle der Deutschen in dem Staatenbündnis.
Als europäische Führungsfigur fällt der französische Präsident jedenfalls aus. Falls er es denn je war – jenseits der eigenen Behauptung. Jedenfalls ließen die beiden deutschen Kanzler Angelas Merkel und Olaf Scholz bislang noch jeden ambitionierten französischen Vorschlag für die Weiterentwicklung Europas in den Mühlen der deutschen Regierungsbürokratie bis zur Belanglosigkeit schreddern – weshalb das deutsch-französische Verhältnis eine Großbaustelle ist.
Scholz wiederum hat bislang nicht erkennen lassen, ob er überhaupt eine Führungsfigur in Europa sein will. In der wichtigsten außenpolitischen Frage, die die Europäer bewegt, dem Krieg in der Ukraine, machte Scholz stets das, was der amerikanische Präsident vorgegeben hatte. Und dort, wo eine amerikanische Vorgabe fehlte, nötigte er den Präsidenten Joe Biden dazu, um sich anschließend hinter ihm zu verstecken – wie bei der Lieferung von deutschen Kampfpanzern. Von einer „europäischen Souveränität“, das war bislang die Strategie Macrons in der Denkschule de Gaulles, wollte Scholz – als Atlantiker – jedenfalls nichts wissen.
Europa ist in einem traurigen Zustand
An dieser Grundkonstellation dürfte sich auch nichts ändern in der nächsten Zeit. Was Folgen hat: Im Ukraine-Konflikt entscheiden fünf Parteien – Ukrainer und Russen als unmittelbar Kriegsbeteiligte, die USA als wichtigster Waffenlieferant des Westens, und China als wichtigster Verbündeter Russlands.
Die Europäer sind – allenfalls – fünftes Rad am Wagen. Ökonomisch längst kein Riese mehr, aber politisch umso mehr ein Zwerg. Zuletzt sagte Scholz, für die Vertretung der EU nach Außen sei der Belgier Charles Michel verantwortlich. Dessen Namen dürfte allenfalls im Polit-Establishment geläufig sein: als derjenige, der sich stets mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen um internationalen Einfluss streitet. Zu sagen hat der Ratspräsident so gut wie nichts.
Europa ist insgesamt als Akteur in der Weltpolitik eher in einem traurigen Zustand. Ein Befund, der nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl Anfang November dieses Jahres noch an negativer Wucht gewinnen könnte.