Kommentar von Ulrich Reitz - Frau Baerbock, sagen Sie endlich die harte Wahrheit zum Nahost-Konflikt

Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), AußenministerinMichael Kappeler/dpa

Heute jährt sich der 7. Oktober, der palästinensische Blutrausch gegen Israel. Es wäre Zeit, die ideologischen Ursachen der Gewalt zu thematisieren. Finden wenigstens Steinmeier und Scholz die richtige Sprache dafür?

Die Deutschen haben aus dem Holocaust eine Schlussfolgerung gezogen und zur Staatsräson verdichtet. Sie lautet: Nie wieder . Dieses Nie wieder heißt: Nie wieder Täter.

Die Juden haben aus dem Holocaust eine Schlussfolgerung gezogen und zur Staatsräson verdichtet. Sie lautet: Nie wieder . Dieses Nie wieder heißt: Nie wieder Opfer.

Das ist die Wunde des 7. Oktober, es ist auch eine Wunde Netanjahus – Israel konnte seine Bürger nicht schützen. Netanjahus wütende Kriegführung seitdem, in Israel selbst hochumstritten, lässt sich auch als Wiedergutmachung dieser Schmach lesen.

Wenn sich das Ex-Opfer wehrt, verrutschen beim Ex-Täter die Maßstäbe

Zwischen diesen Perspektiven, dem Nie wieder Täter und dem Nie wieder Opfer, verlaufen kommunizierende Röhren. Sie lauten: Wenn das Ex-Opfer sich wehrt, verrutschen beim Ex-Täter die Maßstäbe. Das führt zu dem, was sich gegenwärtig auf deutschen Straßen beobachten lässt.

„From the river to the sea“, ist eine genozidale Parole. Ebenso wie „Decolonize Palestine“, was die Auslöschung des von Linken als Kolonialstaat schuldig gesprochenen Israel meint.  Wenn nun aber Angehörige des Volkes, das Nie wieder Täter sein wollte, zur Vernichtung des Opfers von Ehedem aufrufen, so hat dies etwas Verstörendes.

Als Täter-Opfer-Umkehr ist es ein Rückfall. Das Phänomen ist links, und es ist jetzt fast 60 Jahre alt. Der Sechstageskrieg 1967, das war die Wende im Verhältnis vulgär-linker Kräfte im Verhältnis zu Israel. Kurz gesagt:

In den Jahren davor waren die Juden die Opfer. Dann kam 1967 – in diesem Moment, „als Israel seine Muskeln ausgepackt hatte, ohne die Welt um Erlaubnis zu fragen, meinten plötzlich viele Linke, in diesem Land einen Hort imperialistischer Sklavenhalterei erkennen zu können“, hielt die linksalternative taz vor knapp 20 Jahren fest. Mit diesem Ereignis – Juden wollten nicht mehr Opfer sein – wurde zugleich die palästinensische Fatah zum Hoffnungsträger sozialrevolutionärer Sehnsüchte. Dass ihr Spitzen-Repräsentant Abbas ein Holocaust-Leugner ist – geschenkt – oder doch kein Zufall?

Linke Aufwallung auf den Straßen Berlins

Die linke Aufwallung auf den Straßen Berlins kommt also nicht aus dem Nichts, sie hat eine Geschichte, genauer: eine deutsch-palästinensische Vergangenheit. Deren ikonografischer Höhepunkt trug sich zu am vierten Tag der Entführung einer Air France Maschine nach Entebbe zu – durch Terroristen der Volksfront für die Befreiung Palästinas, gemeinsam mit der Roten Armee Fraktion. Das war 1976.

An diesem vierten Tag „selektierten“ die deutschen Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kullmann mithilfe ihrer Blutgenossen von der PFLP an Bord die Juden von den Nicht-Juden. Die Nicht-Juden durften die entführte Maschine verlassen, die Juden mussten als Geiseln an Bord bleiben.

Dann stürmte eine israelische Anti-Terroreinheit die Maschine. Dabei starb Oberstleutnant Yonathan Netanjahu. Der ältere Bruder von Benjamin Netanjahu, des israelischen Premierministers.

Belehrungen einer deutschen Außenministerin

Wer diese Geschichte kennt, muss die Belehrungen ausgerechnet einer deutschen Außenministerin darüber, was im Interesse der Sicherheit Israels sei, als besonders peinlich empfinden. Netanjahu hat sie in seinem persönlichen Gepäck, wenn er die Grüne trifft – was hat eigentlich sie im Gepäck?

Man kann sich nur für die gnädige Eleganz bedanken, mit der Israels Botschafter Ron Prosor (dessen Großeltern Preußen waren) darauf in der NZZ reagierte: „Wir haben es nicht so gern, wenn man uns erklärt, wie wir unser Volk zu verteidigen haben; wir haben darin viel Erfahrung. Israel ist seit seiner Gründung ständig im Krieg.“

Den führt es inzwischen an sieben Fronten gegen sieben Gegner. Der Hauptgegner ist der Iran, eine islamofaschistische Diktatur. Gotteskrieger im Namen Allahs führen Krieg gegen die einzige Demokratie im Nahen Osten.

Baerbock bleiben viele Fragen erspart

Was treibt diese offenkundigen akademischen, deutschen Wohlstandskinder an, die auf den Straßen für die Islamisten von Hamas und Hisbollah Partei ergreifen? Es sind unter ihnen viele Frauen, man sieht es auf den Videos. Was man über sie sagen kann ist, dass ihre Wut über den angeblichen Kolonialismus Israels die Furcht vor islamischer Frauenfeindlichkeit bei weitem überwiegt.

Leider hat Caren Miosga der Frau Baerbock in einem gänzlich aufklärungsfreien Gespräch allzu viele Fragen erspart. Was etwa „feministische Außenpolitik“ im Verhältnis zu Iran und dessen totalitären „Proxies“, Frauenfeinde allesamt, bedeute, so ganz praktisch?

Oder mit welchen Israelfeinden genau die Außenministerin da auf Staatskosten dinierte? Und weshalb überhaupt – so im Verborgenen?

Und ist es nicht Israel, das hier die westlichen Werte verteidigt? Und wenn das so ist, weshalb hat sich Baerbock in der UN bei den Forderungen nach einem Stopp von Waffenlieferungen in diesen Staat, dessen Sicherheit Deutschlands Staatsräson angeblich ist, denn enthalten?

Überhaupt, weshalb sind der grünen Außenministerin, nicht der einzigen Grünen, die Maßstäbe so verrückt? Im Ukraine-Krieg ist Russland für Baerbock der einzige Böse, mit seiner autoritär-imperialistischen, der Ukraine gegenüber genozidalen Ideologie. Weshalb findet Baerbock nicht bei Israel zu diesem Maßstab?

Skandalös ehrlicher ist da Lisa Paus

Skandalös ehrlicher ist da Lisa Paus. Die Familienministerin nimmt den 7. Oktober 2023 gleich zum Anlass, um im selben Atemzug vor dem Antimuslimischen hierzulande zu warnen. Sie gedenkt der israelischen Opfer, unmittelbar lässt sie den Satz folgen:

„Die Zahl der antisemitischen und antimuslimischen Vorfälle ist auch in Deutschland seitdem massiv angestiegen.“ Zur Erinnerung: In Israel gab es einen aus einer totalitären, religiös fundierten Ideologie geborenen Massenmord. Der auf Deutschlands Straßen von arabischen Einwanderern gemeinsam mit deutschen Linken frenetisch gefeiert wurde. Und das soll auf derselben Stufe stehen wie irgendwelche „antimuslimischen Vorfälle“?

Mit Blick auf Vorgänge an deutschen Universitäten, die sich schwertun mit eindeutigen Urteilen zu eindeutigem Antisemitismus: Man sollte sich Sorgen um die Jüngeren machen. Für die allermeisten Älteren – die allerwenigsten waren ja Sympathisanten der RAF – gab es noch einen antitotalitären Konsens. Der geht allmählich verloren.

Warum sagt uns Baerbock nicht die Wahrheit?

Das ist schlimm – in der Konsequenz wird dann auf Deutsche nicht mehr so Verlass sein wie früher. Weiß die nächste Generation noch, wer gut und wer böse ist? Ketzerisch gefragt: Ist die Totalitarismus-vergessene Werte-Relativität auf der Linken wirklich ungefährlicher als die AfD? Und: Wie viel Faschismus steckt im Antifaschismus?

Warum sagt uns Baerbock nicht die Wahrheit: Solange es Hamas und Hisbollah gibt, wird es Frieden zwischen Juden und Palästinensern nicht geben. Es ist die Schuld der Palästinenser: sie lassen sich von totalitären, von Religionsfanatikern repräsentieren. Wissen sie wirklich nicht, was sie da tun?

Und zur Staatengemeinschaft und der angeblichen „Ordnung des Rechts“: Wollen die Vereinten Nationen im Ernst einen Staat zulassen, der seine einzige Existenzberechtigung darin sieht, seinen Nachbarn zu lynchen?

Israel kämpft auch unseren Kampf

An diesem Montagabend nehmen der Bundeskanzler und der Bundespräsident Stellung zum israelischen 7. Oktober. Man wünscht sich von Frank-Walter Steinmeier und von Olaf Scholz ein Hinauswachsen über das Tagesgeschäft, hinter dem es sich so leicht verstecken lässt. Und:

Eine Auseinandersetzung mit den wahren Ursachen der Gewalt – den gefährlichsten totalitären Ideologien unserer Zeit: dem globalen Islamismus und dem nationalen Imperialismus.

Israel kämpft, dies nicht nur nebenbei, auch unseren Kampf. Muslimische Religionskrieger wollen nicht nur den Juden sprichwörtlich an den Kragen. Sondern die vielen Terroranschläge sprechen eine eindeutige Sprache: auch uns.