Eine Analyse von Ulrich Reitz - Freie Bahn für Habeck - seine grüne Herrschaft beginnt aber mit krassem Geburtsfehler

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Robert Habeck (Grüne)Anna Ross/dpa

Robert Habecks Plan, die Grünen als Kanzlerkandidat anzuführen, stößt auf parteiinterne Kritik und könnte die basisdemokratischen Werte der Partei zerstören. Sein „Neustart“ beginnt mit einem Geburtsfehler.

Robert Habecks grüner „Neustart“ beginnt mit einem Geburtsfehler. Und wohin will der Demnächst-Kanzlerkandidat seine Grünen überhaupt führen?

Es ist ein etwas seltsamer „Neustart“ bei den Grünen. Er besteht jedenfalls darin, die beiden wichtigsten Repräsentanten der Partei, Robert Habeck und Annalena Baerbock, auf gar keinen Fall anzutasten, mit Kritik zu belegen oder gar infrage zu stellen.

Dabei zweifelt niemand daran, dass die Reihe der verlorenen Landtagswahlen in Kombination mit mitleiderregenden Umfragewerten ausschließlich auf die Bundespolitik zurückgeht. Habeck gibt das auch zu: „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich.“ Hat diese getragene Verantwortung Folgen für ihn?

Habeck will der Sturz-Gewinner sein

Nein, so „unbarmherzig“ wie Habeck das politische Geschäft findet, ist es nicht – jedenfalls nicht für ihn selbst. Er will ganz im Gegenteil der Sturz-Gewinner sein, Habeck will befördert werden , vom Minister zum Kanzlerkandidaten der Grünen. Mitte November soll das der Grünen-Parteitag beschließen.

Was genau betrachtet auch schon ein Geburtsfehler der Neu-Grünen ist: Diejenigen, die für die „Krise der Grünen“, wie Ricarda Lang es formulierte, hauptverantwortlich sind, dürfen im Amt bleiben. Dies auch noch mit der größten Selbstverständlichkeit. Die Nebenverantwortlichen hingegen müssen gehen.

Was die vorgeblich neu gestarteten Grünen danach sind? BSW-Frechdachs Fabio de Masi, der schon dem Cum-Ex-Kanzler Olaf Scholz schwer auf den Wecker ging, hat schon eine neue Bezeichnung parat. Sie tut den Grünen weh. Und heißt:

„Bündnis Robert Habeck.“ Das ist nicht nur gut, weil es im Hinblick auf die eigene Partei, die bislang vor allem eine „One-Woman-Show“ ist, selbstironisch daherkommt. Sondern, weil der neue Name ein neues elitäre Selbstverständnis der Grünen thematisiert, einen Bruch mit der egalitären Herkunft.

Grüne, basisdemokratische Erzählung gerät an ihr Ende

Diese grüne, basisdemokratische Erzählung gerät nun an ihr Ende – und falls Habeck sich durchsetzt, dann werden die Grünen so aussehen wie die Schwarzen und wie die Gelben. Aber kann er sich überhaupt durchsetzen? Denn, würde er es, dann gäbe es:

Einen, auf den alles zugeschnitten ist, so wie bei Christian Lindner. So wie der als Finanzminister die liberale Partei steuert, deren Vorsitzender er ist, müsste es dann auch Habeck halten.

Als Bundeswirtschafts- und Klimaminister würde er dann die Grüne Partei lenken, an deren Spitze seine engste Vertraute stünde, Franziska Brantner , so etwas wie Habecks Strohfrau. Es wäre eine grüne Revolution, an der Parteisatzung vorbei, die eine Trennung von Amt und Mandat seit alters her vorsieht.

Brantners Aufgabe: Fehler zu vermeiden, die Lang und Nouripour gemacht haben

Brantners Aufgabe soll es dann sein, die Fehler zu vermeiden, die Ricarda Lang und Omid Nouripour bei der Steuerung der Grünen gemacht haben – besonders bei der Nicht-Steuerung der grünen Wahlkämpfe. Das ist ein Hinweis, den die grüne Bundesaußenministerin Baerbock in einer Talkshow gab – mit den bisherigen Wahlkämpfen habe man die Menschen „nicht erreichen“ können. Gemessen an den Ergebnissen stimmt das. Und doch:

Wie hätten grüne Straßenwahlkämpfer in den Ländern den über die arrogante Selbstverständlichkeit der Berliner Regierungs-Grünen empörten Menschen begegnen sollen? Denn das war in den vergangenen drei Jahren das Hauptproblem grünen Regierens:

Das Selbstverständnis der Regierenden, die aus ihrem von gerade einmal einem Sechstel der Wähler auf Zeit verliehenen Mandat den Anspruch ableiten, das Leben von 100 Prozent der Menschen einschneidend verändern zu dürfen.

Man wundert sich, wie sich die Grünen darüber wundern können, dass ihnen gerade in Ostdeutschland ihre Staatsarroganz auf die Füße gefallen ist. Wohin der Allmachtanspruch des Staates führt, hat man gerade dort noch nicht vergessen.

Baerbock bewegt sich „gouvernantenhaft“

Der Allmachtanspruch lässt sich besonders beiden wichtigsten beiden Ministern besichtigen. Baerbock vermittelt den Eindruck, sie könne, sich die „Finger wund telefonierend“, den Nahost-Konflikt lösen. Durch persönliche Angriffe auf den Kindesentführer Wladimir Putin in den Vereinten Nationen irgendetwas für die Ukraine erreichen. Oder die chinesischen Staatsleute, die stets auf Etikette und höflichen Umgang achten, besonders in der Öffentlichkeit, dortselbst – neokolonialistisch – belehren.

Dem Welt-Kollegen Robin Alexander ist die schöne Formulierung gelungen, Baerbock bewege sich „gouvernantenhaft“ durch ihr Leben. In all den Ländern, die sie besucht, um sie nicht zu überzeugen.

Baerbocks Fehler: sie lässt ganz offensichtlich die andere, in Ostdeutschland weit verbreitete Lesart über den Ukraine-Krieg und die Wege zum Frieden gar nicht an sich heran, so überzeugt ist sie von ihrer Version, dass nur immer mehr Waffen Selenskij und Co. helfen.

Aber selbst, wenn sie recht hätte damit – was, wenn sie Wähler davon nicht überzeugen kann? Und zwar eine Mehrheit der Wähler – in Ostdeutschland knapp die Hälfte von ihnen, die für AfD und BSW votierten. Demokratie heißt nicht, recht haben, sondern recht bekommen. Und der Politiker-Job besteht darin, das zu schaffen. Ihr Kompagnon weiß das:

„Wieder dicht an die Menschen“ herankommen

Habeck sagt, das Ziel dieses grünen Neuanfangs sei, „wieder dicht an die Menschen“ heranzukommen. Was die Frage aufwirft, weshalb man sich seitens der Grünen so weit von den Menschen entfernt hat, dass die einen partout nicht mehr wählen wollen?

Auch provoziert Habecks Formulierung die Frage, welchen Menschen er „wieder“ nahekommen will? Sollten etwa Autobauer gemeint sein, denen Habeck versprach, sich in Brüssel gegen die neuen Flottengrenzwerte zu stemmen, mit denen Ursula von der Leyen („Green Deal“) die Existenz der deutschen Autoindustrie aufs Spiel setzt?

Dann allerdings hätte sich das Habecksche Mantra noch nicht herumgesprochen bis zum grünen Verkehrsminister von Baden-Württemberg, der den Autofahrern schon einmal versprach, diese Art von Mobilität (die gerade immer weniger Menschen haben wollen) werde auf jeden Fall teurer. Oder:

„Klimaschutz ist für die Menschen da“, sagt Habeck und lässt es klingen wie eine Fehlerkorrektur. Nur, auch hier: Für welche Menschen – jene, die mit Freude und viel Geld ihre Häuser renovieren oder jene, die fürchten, es werde sie um ihre Altersversorgung bringen? Kurzum:

Wo soll sie sein, diese neue Mitte, die das Bündnis Robert Habeck nun angeblich ansteuern will? Was soll es bedeuten, wenn die Umweltministerin Steffi Lemke sagt: „Wir haben verstanden?“ Baut sie jetzt etwa wieder Atomkraftwerke?

Das ist das eine, ungelöste Problem der Grünen

Das ist das eine, ungelöste Problem der Grünen: Ihr Selbstverständnis, von dem ihre Aussichten abhängen, wieder dem Anspruch von früher gerecht zu werden, als sie Volkspartei werden wollten. Das andere Problem:

Die inneren Strukturen. Wenn es um die Macht geht, hat die Union nur kleinere Probleme damit, wenn dann nur einer reden darf, selbst wenn der Friedrich Merz heißt. Bei den Liberalen ist es auch so, selbst bei den Sozialdemokraten, wenn auch sozusagen mit Abstrichen in der B-Note. Wie anders bei den Grünen:

Dort wollen alle mitreden, was ein Grund dafür ist, dass Abstimmungen in der Ampelkoalition so ein mühsames Geschäft geworden sind. Die Regierungsrechten brauchen die Zustimmung der Parteilinken, das Stimmengewicht von Habeck-Baerbock ist austariert mit dem der beiden Fraktionsvorsitzenden Dröge-Hasselmann und der Parteichefs Lang-Nouripour. Woran sich nur etwas ändern würde, gäben die Grünen einen ihrer ehernen Grundsätze auf – die rechts-links und die männlich-weiblich-Balance.

Und deshalb hat Fabio di Masi einstweilen auch unrecht, so schön böse seine Formulierung auch ist. Von der Machtfülle, die Sahra Wagenknecht im Bündnis Sahra Wagenknecht hat, sind die Grünen weit entfernt. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass aus den Grünen ein Bündnis Robert Habeck wird.

Zumal eben der Habeck von 2024/25 nicht mehr aussieht wie der Habeck 2021/22. Das „unbarmherzige Geschäft“ hat aus dem Strahlemann längst einen Beulenmann gemacht.