Eine Analyse von Ulrich Reitz - „Das geht“: Zwei Scholz-Worte offenbaren das neue Gift in der Koalition
Aus dem Urlaub greift der Bundeskanzler ein in den heftigen Haushaltsstreit seiner eigenen Regierung. Er löst damit nicht ein einziges Problem. Dafür geht er aber eine riskante Wette ein.
„Das geht.“
Mit diesen zwei Worten geht der Bundeskanzler aus seinem Urlaub heraus eine erstaunliche Wette ein. Denn, zum einen: Das Wesen einer Wette besteht darin, dass man nicht weiß, wie es ausgeht und wer gewinnt. Zum anderen: Über den Ausgang der Wette dürfte weder der Regierungschef noch der Bundesfinanzminister, und auch nicht der Oppositionschef, sondern eine höhere Macht mit der Lizenz zum letzten Wort entscheiden: das Bundesverfassungsgericht.
Bevor wir dazu kommen: Mit seinem „Das geht“ hat Olaf Scholz erst einmal eine zusätzliche Portion Gift in die ohnehin vergiftete Koalition geträufelt. Denn: Dieses „Das geht“ des Inhabers der Richtlinienkompetenz steht gegen ein „Geht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht“ des einzigen Inhabers mit Veto-Macht in der Regierung, des Finanzministers.
Kanzler Scholz geht Risiko ein
Es ist wie ein Spiel: Zocker gegen Zauderer. Scholz ist der Zocker, eine Rolle, die zwar wenig hanseatisch ist, aber die der Kanzler schon kennt. Jedenfalls: Scholz sagt, das Risiko, mit dem Haushalt 2025 vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern, ist gering – also: Riskieren wir’s!
Das ist seine Interpretation von zwei Gutachten, die beide Wissenschaftlichkeit für sich beanspruchen. Das ist auch wieder bemerkenswert und zeigt die Grenzen der Wissenschaft. Von wegen „Follow The Science“! Weder Volkswirtschaft noch Juristerei sind exakte Wissenschaften, wenn sich ihre Ergebnisse von zwei Ministern gegensätzlich interpretieren lassen.
Jedenfalls: Beide Gutachten hat die Regierung selbst in Auftrag gegeben. Christian Lindner hatte das auch lange angekündigt. Das muss man wissen, um die – künstliche – Aufregung der SPD-Führung darüber („Rücksichtslos“, Saskia Esken) richtig einordnen zu können. Pikant an dem Vorgang ist zudem, dass Scholz die Etat-Tricks, die er nun gegen die Bedenken der Gutachter stoisch verteidigt, auch noch selbst erfunden hat. Es geht also um seine Glaubwürdig- und Kreditfähigkeit.
Einigen sich Scholz und Lindner nicht, ist die Koalition am Ende
Christian Lindner ist der Zauderer im Spiel – Angela Merkel hätte vielleicht gesagt: der „schwäbische Hausmann“. Schon einmal haben ihm Richter seinen Haushalt für rechtswidrig erklärt, ein zweites Mal will der liberale Kassenwart eine derartig rufschädigende Blamage nicht riskieren.
Zocker gegen Zauderer heißt auch, ins Machiavellistische übersetzt: Macht gegen Veto-Macht – so sieht es jetzt aus: Einigen sich Olaf Scholz und Christian Lindner nicht, ist die Koalition am Ende.
Diese Showdown-Konstellation hat bisher stets dazu geführt, dass sie sich dann doch geeinigt haben. Danach sieht es auch jetzt wieder aus – allem rhetorischen Theaterdonner zum Trotz. Denn: Komplett gescheitert in Neuwahlen zu gehen ist so ziemlich das Dümmste, was ein Spitzenpolitiker veranstalten kann.
Nur: Würde die gesamte Regierung nun dem Das-geht-Diktum des Kanzlers folgen, lieferte sie damit der Opposition die perfekte Vorlage für eine Verfassungsklage. Und wie schon beim Etat 2023, würde sich die Union die Chance auch dieses Mal nicht entgehen lassen.
Es wird getrickst, um die Schuldenbremse zu umgehen
Denn CDU und CSU können dabei nur gewinnen. Dies umso mehr, weil die Konstellation beim Etat 2025 verblüffend der Konstellation beim Etat 2023 ähnelt: Die Regierung trickst so lange mit Zahlen herum, aus Zuschüssen etwa werden Darlehen, um die Schuldenbremse zu umgehen, bis es aus Richter-Sicht der eine Trick zu viel war.
Wobei die parteipolitische Ausgangslage stets dieselbe ist: Zwei Drittel der Regierung, deren roter und grüner Teil, will mehr Geld ausgeben als sie hat. Das restliche, liberale Drittel, will mit dem auskommen, was da ist, was jeder vernünftige Privatmann ebenso machen würde.
Nur: Man muss dann eben umverteilen, oder wie es im Koalitionsdeutsch heißt: Priorisieren. Die FDP will Autobahnen bauen und dafür bei den Renten sparen. Die Sozialdemokraten wollen Autobahnen bauen, höhere Renten zahlen und nirgendwo sparen. Die Grünen wollen Deutschland nicht „Kaputtsparen““– zur Erinnerung: Der Etat 2025 hat ein Rekord-Volumen von historisch einmaligen 481 Milliarden Euro.
SPD und Grüne wollen neue Wohltaten
Was in den Etat-Debatten regelmäßig zu kurz kommt, ist diese Wahrheit: Selbst die Linke aus Sozialdemokraten und Grünen, die stets neue Wohltaten (er)findet, hantiert mit Geld, das sie selbst nicht erwirtschaftet hat. Geld, das aus Unternehmensgewinnen stammt – und die sind eine materielle Prämie auf ökonomische Risiken, die Politiker selbst nicht eingehen (müssen). Der andere Teil sind die – sehr hohen - Steuern, die die Bürger zahlen.
Daraus sollte eine Bringschuld resultieren: Vor dem Ausgeben von frischem, von den Bürgern zur Verfügung gestelltem Geld, sollte der Nachweis stehen, dass mit dem alten Geld der Bürger verantwortungsvoll umgegangen wurde.
Dieser Nachweis aber findet in der Regel nicht statt: Man betrachte nur die blumigen Erläuterungen der Ministerin Svenja Schulze (SPD) über „ihren“ Entwicklungshilfe-Etat. Oder die Hartnäckigkeit, mit der die „Hilfsgelder“ für Gaza aus dem Auswärtigen Amt der Grünen Annalenas Baerbocks verteidigt werden, obwohl sie durch die blutigen Hände der Hamas gehen. Oder die bald schon unbezahlbare Rentenversicherung, deren Unantastbarkeit Hubertus Heil (SPD) wikingergleich verteidigt.
Das Bundesverfassungsgericht schaut Lindner auf die Finger
Aber zurück in die garstige Gegenwart: Weckt der Haushalt 2025 auch nur leiseste Zweifel an Seriosität und Rechtssicherheit, käme das Bundesverfassungsgericht ins Spiel. Es käme dann wohl zu einem Eilverfahren und damit zu einer wahrscheinlichen Entscheidung noch vor Weihnachten. Acht bis neun Monate vor der regulären Bundestagswahl, je nachdem, wäre diese Regierung dann nicht mehr zu halten.
Es sei denn, Scholz, Robert Habeck und Lindner fänden als Koalitionsspitzen tatsächlich keine Lösung. Dafür haben sie sogar noch Zeit, Lindner hat schon schlau darauf aufmerksam gemacht. Je nachdem, wie man die Sache betrachtet, fehlen zwischen ein und zwei Prozent, gemessen am Volumen des 25er Etats. Darum geht es jetzt.
Und ganz gleich, wo man diese fünf bis acht Milliarden Euro am Ende hereinholt – es wäre wohl kaum der Untergang des Abendlandes.