Analyse von Ulrich Reitz - Mit General Miersch triumphiert bei der SPD das alte - für viele wird das teuer

Matthias Miersch wird auf einer Pressekonferenz in der Parteizentrale als neuer SPD-Generalsekretär vorgestellt.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Matthias Miersch wird auf einer Pressekonferenz in der Parteizentrale als neuer SPD-Generalsekretär vorgestellt.Kay Nietfeld/dpa

Der neue SPD-Generalsekretär stellt sich vor. Und siehe da: es triumphiert das alte. Für die SPD kann das durchaus eine Chance sein – ihre letzte.

Nun, da fast alle Welt schreibt oder sendet, Matthias Miersch, der „Neue“, komme vom linken Flügel seiner Partei: Das ist aus mindestens drei Gründen egal. Hier sind sie:

Erstens: Den entscheidenden Satz sagt Miersch bei seiner Vorstellung in der neuen Funktion nach rund fünf Minuten. Er lautet: „Olaf Scholz kann sich zu 100 Prozent auf mich verlassen.“

Im Verhältnis zwischen dem nunmehr zweithöchsten sozialdemokratischen Parteifunktionär und dem ranghöchsten sozialdemokratischen Regierungsmitglied sind die Machtverhältnisse völlig klar:

Der Generalsekretär ist keineswegs ein General, sondern vielmehr ein Sekretär. Zugegeben, dieser Kalauer ist alt, aber deshalb noch lange nicht falsch. Von jetzt an zählt nur eins: „Olaf first.“

Miersch ist schon jetzt Kanzlererklärer

Zweitens: Bei Kevin Kühnert war es doch auch nicht anders: Mierschs Vorgänger wandelte sich, kaum hatte er Verantwortung fürs Ganze, schneller als der Schall vom „linken Rebellen“, der einst versuchte, Scholz zu verhindern, zum handzahm-gealterten Kanzlererklärer.

Das ist bei Miersch schon jetzt so, da ist er noch gar nicht offiziell im Amt. Der Grund ist nicht freiwilliger, sondern rollenkonformer Opportunismus, also: der politische Kalender. Noch ein Jahr ist es bis zur Bundestagswahl, es herrscht jetzt Wahlkampf und ergo gelten dessen Gesetze:

Der SPD-Generalsekretär verschmilzt mit der SPD und die mit dem Kanzler und dem SPD-Teil der Regierung. Es ist nicht die Zeit der sophistischen Diskussionen, sondern: der eingängigen Parolen.

Miersch ist eine gute Wahl, wenn man einen loyalen Frontoffizier braucht

Darauf versteht sich Miersch gut, das hat er gleich bei seiner Vorstellung demonstriert, man kennt es auch schon von seinen leidenschaftlich sozialdemokratischen Auftritten im Bundestag. Miersch ist eine gute Wahl, wenn man einen loyalen Frontoffizier und verlässlichen Bannerträger für die Fernseh-Talkshows braucht. Denn:  Die Glotze ist mehr ein Emotions- denn ein Diskursmedium. Hier kommt es weniger darauf an, was man sagt, sondern vielmehr: wie man es sagt. Die heiße Emphase schlägt die kühle Ratio. Und: Das analoge Öffentlich-Rechtliche ist ein Medium für die Alten. Das hilft der SPD, denn alt ist sie auch.

SPD ist von jetzt an Kampagnenpartei

Drittens: Die SPD ist von jetzt an nicht mehr Regierungs-, sondern Kampagnenpartei. Was sie will und was sie sagt und wann und weshalb, ist völlig klar. Ebenso wie das Feindbild, das einem umso mehr hilft, je schwächer man ist.

Es gibt einen Bösewicht, der kommt aus dem Sauerland, und zwar mit einem Privatflieger. Er heißt schon nicht mehr Friedrich, sondern ist schon ganz entpersonalisiert und zum Phänomen geworden.

Das Phänomen ist das Anti-Sozialdemokratische an sich und heißt nicht: Friedrich Merz. Sondern: „die Merz-CDU“. Die Merz-CDU, das ist der Rückfall in die siebziger Jahre. Casinokapitalistisch, sozialausbeuterisch und in jedem Fall der Feind aller Rentner, jetzt und immerdar.

An der SPD ist jetzt alles alt

Das ist zwar ein wenig holzschnittartig, kann aber durchaus ankommen beim Wahlvolk. Überhaupt: Scholz und die Seinen sind chancenreicher, als man heute denkt. Zur Erinnerung: Vor knapp 20 Jahren wäre Angela Merkel auch fast an Gerhard Schröder gescheitert, weil sie freiheitlicher sein wollte als die sicherheitsverliebten Deutschen gut fanden.

An der SPD ist jetzt alles alt, vor allem aber alles, was sich schon einmal bewährt hat: Die Rente ist sicher, die Löhne sollten steigen, die Arbeiter sich in Gewerkschaften organisieren, das Geld für die per se gerechten sozialdemokratischen Ideen kommt von den „Besserverdienern“ und den Vermögenden. Und für den Frieden sorgt der Kanzler von der SPD.

Die SPD wandelt sich pünktlich zum Wahlkampfauftakt zum pharmazeutischen Produkt, sie wird zur Beruhigungspille. Das muss nicht schlecht sein, wenn die Zeiten wild sind und der Schlaf schlecht.

Jetzt gilt bei der SPD: keine Experimente

Ob da der Generalsekretär der SPD links ist oder nicht, spielt keine Rolle, solange klar ist, wer die sozialdemokratische Zeche zahlt: die Besserverdiener-Freunde von Christian Lindner und die Raffkes von der „Merz-CDU“. Es ist eine geordnete, wenn auch ein wenig kleinkarierte Welt aus Pils und Korn.

Lars Klingbeil und Saskia Esken als Parteichefs, Olaf Scholz als Kanzler, Matthias Miersch als Generalsekretär, diese sozialdemokratische Truppe hält jetzt ein Jahr ein Schild hoch, auf dem steht:

Keine Experimente!

Es ist, by the way, auch ein Generationswechsel und man kann sagen: Er ist zeitgemäß. Miersch ist 20 Jahre älter als Kühnert, das passt zur Anhängerschaft der SPD, die sogar noch älter ist als der deutsche Durchschnitt.

Im Bundestag war die SPD noch nie so jung, es gibt 49 Abgeordnete im Juso-Alter, das ist rund jeder Vierte. Aber wenn es um den Wahlkampf geht, gilt, zumal nach den Flops, die der junge Kühnert als Wahlkämpfer zu verantworten hat, etwa die vergeigte Europawahl, umso mehr: Die Jugend hat noch Zeit, die Jugend kann warten, besser, wie gesagt: keine Experimente.

Die SPD und der „Kampf gegen rechts“

Das gilt nicht nur für die Sozialthemen. Sondern auch für ein Thema, das den Wählern zwar offensichtlich gleichgültig ist, den SPD-Funktionären dafür umso wichtiger erscheint:  Der „Kampf gegen rechts“. Miersch leitet diese Aufgabe aus dem Umstand ab, dass er aus Wennigsen stammt, wo – was bisher niemand wusste – die SPD „vor fast 80 Jahren wieder gegründet wurde“.

Nun waren allerdings die „Rechten“, also die AfD, noch nie so stark wie heute. Bei der SPD will allerdings niemand auf den Gedanken kommen, dass dies eventuell gerade und ausgerechnet auf den „Kampf gegen rechts“ zurückzuführen wäre.

Dass die AfD so stark wurde, weil die vom Sozialdemokraten Scholz geführte Regierung sich aufgrund ihrer Taten so geringer Zustimmung erfreut, ist ein Gedanke, der weit entfernt ist von Matthias Miersch. Der Mann hat ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, darin Scholz und Co. vergleichbar, Motto: Selbstkritik ist Zeitverschwendung und schadet auch nur.

Mit Miersch kehrt die SPD in hoher Geschwindigkeit zur linken Orthodoxie zurück. Starker Staat, Schuldenbremse weg, Reiche stärker besteuern, dazu noch ein wenig Klimaschutz, wenn der nur sozial verträglich ist – die SPD wird wieder, was sie gerne war:  Berechenbar, solide, strukturkonservativ, und: teuer. Beinahe könnte man sagen, die eigentliche Partei der Besserverdienenden, denn: von denen lebt sie.