Analyse von Ulrich Reitz - Es hätte sein Solingen-Moment werden können - aber Scholz blieb Scholz
Der Kanzler kommt an den Ort des Attentats, nach Solingen. Es ist für Olaf Scholz ein wichtiger Tag. Eine Asylwende liegt in der Luft, nachdem ein abgelehnter Asylbewerber, der gar nicht hätte hier sein dürfen, hier zum Messermörder wurde. Nutzte der Regierungschef seine Chance, Trost und Sicherheit zu spenden?
Die Routine ist die Leitplanke des Staatsmanns. Am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und zum richtigen Anlass vorgeführt, stiftet sie Ruhe und Frieden und Zuversicht für die Bevölkerung. Aber heute in Solingen war es nicht der richtige Zeitpunkt für staatsmännische Routine.
Manche hatten gehofft, der Regierungschef werde sich nach dem Terror-Anschlag in dieser rheinischen Mittelstadt, zwischen Düsseldorf und Köln gelegen, zu einer Zeitenwende, Teil II, ein- und bereitfinden. Sie wurden enttäuscht.
In Solingen hat Scholz gemacht, was man von ihm erwarten konnte
Denn Olaf Scholz hat gemacht, was man von ihm erwarten konnte, wenn man die Latte niedrig legte. Er hat seine Regierung gelobt und seinen Zuhörern in Solingen und daheim an den Bildschirmen erklärt, dass seine Bundesregierung alles im Griff hat, weil sie Verschärfungen im Waffenrecht plant und daran arbeitet, Abschiebungen von Straftätern nach Syrien und Afghanistan zu ermöglichen.
Dass alles auf gutem Weg ist, weil man an einer „Taskforce“ werkelt, die „das genau studiert“. Die also genau studiert, was man seit Jahren weiß, was sich nicht gehört, nicht vereinbart war und so auch nicht im Grundgesetz steht, weil dort das Gegenteil steht: dass die meisten Migranten in Europa nach Deutschland kommen, obwohl sie anderswo, wo sie schon sicher waren, schon durchgereist sind.
Beispielsweise durch Bulgarien, wie der Messermörder von Solingen, den man, weil noch nicht verurteilt, „mutmaßlich“ nennen soll.
Der Kanzler, der von sich sagt, er sei zornig, sieht aus wie immer
Olaf Scholz hat am Tatort in Solingen gesagt, er sei „wütend“ und er sei „zornig“. Seinen „Zorn“ auf Islamisten hat er später noch einmal wiederholt. Nur – wenn der Kanzler sagt, er sei zornig, dann sieht man es nicht. Der Kanzler, der von sich sagt, er sei zornig, sieht dann aus wie immer, wenn er nicht zornig ist.
Geht Scholz nicht nur die Fähigkeit für das rechte Wort zur rechten Zeit ab, oder auch die Empathie, die Verzweifelte von ihm erwarten?
Man weiß es nicht. Man sieht es nur nicht und man hört es auch nicht. Was man indes sieht und hört, ist die Routine. Die stiftet Sicherheit – allerdings nur dort, wo gerade Unsicherheit kein Thema ist. Wo Unsicherheit Thema ist, stiftet staatsmännische Routine nur eins: Ratlosigkeit.
Wie war das noch mal mit Schröder und Stoiber beim Oder-Hochwasser?
Man konnte an diesem Montagmittag in Solingen studieren, dies als Beobachtung nur nebenbei, weshalb Hendrik Wüst, obwohl er noch viel zu Solingen zu erklären hat, es mit seiner CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland gerade auf 40 Prozent bringt und der Kanzler bei weitem keine 20 Prozent erreicht mit seiner SPD. Es hat viel mit der Kommunikation zu tun.
Wüst ist ganz sicher kein ciceronischer Rhetoriker – aber er trifft eben doch den Ton, redet ganz anders von den Gefühlen dieser jungen Menschen, die sich als erste am Tatort um die Toten und die verletzten kümmerten – und dem Ministerpräsidenten schon am Samstag sagten, „so was möchte ich nie wieder erleben“.
Da war der Täter noch nicht gefasst. Aber Scholz war auch noch nicht in Solingen, dorthin kam er erst zwei Tage später. Wie war das noch mal mit Gerhard Schröder und Edmund Stoiber und dem Deich beim Oder-Hochwasser damals?
Scholz betreibt „Knäckebrot-Kommunikation“
Es gibt in Deutschland kaum einen Politikwissenschaftler, der um originelle, aber treffende Sprachbilder so wenig verlegen ist wie Karl-Rudolf Korte aus Duisburg. Korte ist der Regierungs- und Kommunikationserklärer – auch jetzt zuverlässig wieder. Er nennt die Art, in der Olaf Scholz sich an die Menschen wendet, „Knäckebrot-Kommunikation“. Man hört es förmlich mürbe knistern und knacken beim Bundeskanzler.
Und auch das, was Scholz konkret sagt, folgt der Routine, in der der Machtinhaber sich seit vielen Jahren eingerichtet hat. Das „Notwendige“ soll getan werden, darum das Waffenrecht verschärft werden, jetzt auch sehr schnell. Was ein kleiner Hinweis darauf ist, dass dies bisher eben nicht geschah, nicht nur sehr langsam – sondern eben gar nicht.
Aber sei es drum: Das deutsche Waffengesetz verbietet in seinem Paragraphen 42 in Absatz 1 das Mitführen von Waffen „an öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen“. Paragraph 42 a führt aus, dass Messer verboten sind „mit einer Klingenlänge von über 12 cm“.
Das Messer, das der abgelehnte syrische Asylbewerber nutzte, um drei Menschen in Solingen zu ermorden und acht schwer zu verletzen, hatte eine 15 Zentimeter lange Klinge.
Migranten gar nicht erst nach Deutschland zu lassen, davon redet Scholz nicht
Das liebenswürdigste, das man zum von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser angekündigten Plan sagen kann, die Klingenlänge auf sechs Zentimeter zu begrenzen, ist, dass diese enorme Verschärfung (Ironie aus) den Täter ebenso wenig abgehalten hätte, wie ihn die erlaubten 12 Zentimeter vom Mitführen einer 20 Zentimeter langen Klinge abgehalten haben.
Die Zahl der „irregulären“ Migranten, sagt Olaf Scholz, „muss zurückgehen“. Der Kanzler lässt das Wort Grenzkontrollen fallen. Migranten gar nicht erst hereinzulassen nach Deutschland, davon redet Scholz nicht.
Hendrik Wüst übrigens schon – bei den Abschiebungen gehe es um Menschen, die „dauerhaft kein Recht haben“ – hier zu leben. Und „die am besten gar nicht erst kommen“.
Die rote Linie des Kanzlers und seiner Partei
Das ist sozusagen die rote Linie, die Olaf Scholz nicht überschreitet. Denn es handelt sich um die rote Linie, die die SPD nicht überschreitet, die Kanzlerpartei. Und die rote Linie, die die Ampelkoalition nicht überschreitet. Da mag Friedrich Merz bei seinem noch für diese Woche anberaumten Treffen mit seinem Kanzler-Rivalen Scholz noch so sehr eindringlich gucken und vehement fordern – Menschen aus Syrien und Afghanistan die Einreise als Migranten zu verwehren, dazu wird es nicht kommen.
Dann wäre das ja nun auch geklärt, ein paar Tage, bevor fünf Millionen Menschen in zwei Bundesländern zur Wahl gehen. Allerdings, dies zum beinahe zynischen Trost von Olaf Scholz: Weder in Thüringen noch in Sachsen hat ausweislich aller Umfragen die SPD eine nennenswerte Kompetenz bei der inneren Sicherheit. Will sagen: Viel kaputtgehen kann für die Sozialdemokratie diesbezüglich am kommenden Sonntag ohnehin nicht.
Eskens Worte klingen nach Entschlossenheit, bringen aber nichts
Während Olaf Scholz den möglicherweise für ihn selbst wichtigen, manche meinen, entscheidenden Tag in Solingen routiniert verbrachte, erklärte der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, wie seine Partei die Asyl-Vorschläge des CDU-Vorsitzenden bewerte. Man solle jetzt keine Vorschläge machen – mit „Schaum vor dem Mund“.
Damit ist hinsichtlich der SPD und dem Migrationsthema im Angesicht der Ereignisse von Solingen beinahe alles gesagt.
Vielleicht dies noch: Die Anregung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, schwere Straftäter nun endlich doch nach Syrien oder Afghanistan abzuschieben, mag nach Schärfe und Entschlossenheit klingen. Den dreifachen Messermörder von Solingen hätte es vom Messermorden auch nicht abgehalten. Denn als Straftäter war der junge Mann noch gar nicht in Erscheinung getreten, bevor er seine tödliche Mission begann - im Namen seiner zu allem entschlossenen IS-Glaubensbrüder.