Analyse von Ulrich Reitz - Kampf der Taktiker: Nach Solingen zeigt Scholz jetzt Merz, wo der Hammer hängt
Friedrich Merz kauft mit seinen Asyl-Vorschlägen der AfD den Schneid ab. Aber Olaf Scholz demonstriert seine Macht als Experte für Bürokratie. Kann das Wähler besänftigen?
Bevor wir jetzt hier darüber schreiben, was inhaltlich wichtig ist, über islamistischen Terror und Migration, einige Bemerkungen zur Taktik. Denn von der Taktik hängt der Inhalt ab – ob man will oder nicht. Also zur Taktik von CDU-Chef Friedrich Merz und der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Wer ist eigentlich von beiden der schlauere Machtpolitiker?
Aufschlag Friedrich Merz. Der Oppositionsführer wäre gern morgen Kanzler und würde aus diesem Grund gerne schon heute regieren. Regieren geht aber nicht, denn Olaf Scholz führt die Regierung und will davon auch nicht ablassen, darin unterstützt von Grünen und FDP. Das weiß Merz, also macht er Scholz ein süßes, aber vergiftetes Angebot : Herrsche, aber teile!
Es ist eine Offerte, die Scholz nicht ablehnen kann, aber ablehnen muss. Scholz muss Merzens Angebot auf mit ihm geteilte Regentschaft ohne Grüne und FDP ablehnen; täte er es nicht, er könnte auch gleich die grünen und liberalen Minister entlassen – und dann sich selbst.
Scholz kann nicht annehmen, aber auch nicht ablehnen
Andererseits: Den Vorschlag des Oppositionsführers, Mitverantwortung für das aktuell und nach „Solingen“ wichtigste Thema zu übernehmen, kann Scholz auch nicht ablehnen – jedenfalls nicht ein paar Tage vor wichtigen Wahlen. Preisfrage also: Wie kommt man aus so einer Zwickmühle wieder heraus?
Scholz ist doch tatsächlich eine Lösung gelungen – und hier zeigt sich, dass und warum der Kanzler nicht aus Zufall im Kanzleramt sitzt. Scholz hat seinen Machiavelli gelernt. Man sieht das an der Lösung, die er vorschlägt. Zur Erinnerung: Merz wollte mindestens einen Fuß in die Tür zum Kanzleramt bekommen.
Nun kriegt er nur einen dicken Zeh hinein. Denn der Kanzler schlägt eine Lösung vor, die einer alten Machtweisheit entspricht: Wenn du nicht mehr weiterweist, dann gründe einen Arbeitskreis.
Scholz spielt Institutionen-Mikado
Was als schlechter, weil unreiner Reim daherkommt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als machiavellistischer Leckerbissen, denn Scholz hat den Anspruch von Merz aufs alleinige Mitregieren mit dem Florett fein sauber in für ihn verdauliche Häppchen geteilt. Und zwar so geschickt, dass nun wiederum Merz nicht mehr Nein sagen kann.
Scholz Trick: Der Kanzler spielt Institutionen-Mikado. Er will bei dem Gespräch über Terror und Migration folgende Leute dabeihaben:
Einen Vertreter des Vorsitzes der Ministerpräsidentenkonferenz. Den hat gerade der hessische Ministerpräsident Boris Rhein inne – ein CDU-Mann.
Ein Vertreter des Co-Vorsitzes der Ministerpräsidentenkonferenz. Den Co-Vorsitz hat gerade der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil inne – ein SPD-Mann.
Vertreter der größten Oppositionspartei. Die Opposition im Bundestag besteht aus CDU und CSU. Wenn Merz zu Scholz will, muss er Söder mitbringen, das ist die Botschaft von Scholz.
Involvierte Bundesressorts. Die wären: Das Bundesinnenministerium – geführt von der SPD. Das Bundesaußenministerium – geführt von den Grünen. Das Bundesjustizministerium: geführt von der FDP.
Eine Post-Solingen Not-Regierung heißt auch: Scholz bleibt Chef
Unterm Strich hat Olaf Scholz damit eine kleine Allparteienregierung für Terror und Migration begründet. Damit nicht genug: Dieser Ad-Hoc-Koalition, nennen wir sie eine Post-Solingen Not-Regierung, gehören nicht nur Regierung und Opposition an, sondern auch noch alle Bundesländer.
Aber auch damit noch nicht genug: Die für diese Themen zuständigen Ministerien sind auch noch mit dabei – und über die Fach-Ressorts jene Parteien, die nun noch fehlen: Grüne und FDP. Dreimal darf man raten, wer dabei nun die Sitzungsleitung übernimmt. Es bietet sich nur einer an, qua Institution, nämlich der Boss im Kanzleramt. Olaf Scholz bleibt also der Chef.
Merz wäre nur noch einer unter vielen
Zur Erinnerung: Merz war bei Scholz. So sollte es nach seinem Geschmack auch weitergehen: Merz verhandelt mit Scholz. Beziehungsweise: Einer von Scholz und einer von Merz. Der von Scholz wäre dann wohl der Kanzleramtsminister gewesen, Wolfgang Schmidt. Der von Friedrich Merz hatte auch schon einem Namen: Thorsten Frei – als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Merzens Schild und Schwert sozusagen – sein wichtigster Mann.
Merz hatte Scholz eine Große Koalition vorgeschlagen, aus ihm selbst und Scholz. Oder aus Scholzens und Merzens jeweils bestem Mann. Einerlei. Niemand anderer sollte dabei sein. Merzens intendierte Botschaft: „Ich und der Scholz, wir machen das schon.“
Und nun sitzen da plötzlich alle. Und Merz darf entscheiden, ob er persönlich auch hingeht – und dann nur noch einer ist unter vielen, anstatt der Einzige neben dem Alleinigen.
Scholz stellt die Spielregeln auf
Nun zu den Spielregeln, denn auch die hat Scholz gleich noch mit festgelegt. Regel Nummer Eins: Man redet „vertraulich“. Es bleibt also alles unter der Decke, ergo auch jedes Defizit, das diese Runde beim Einwanderungsthema diagnostiziert – wenigstens erst einmal. Gut für Scholz, schlecht für Merz.
Regel Nummer Zwei: Man redet „zielgerichtet“. Damit sind alle Themen aus dem Spiel, bei denen sich diese riesengroße Koalition nicht einigen kann, denn das wäre nicht „zielgerichtet“. Zum Beispiel, weil ihnen Annalena Baerbocks Auswärtiges Amt widersprechen würde. Also alles, wofür man eine Änderung der europäischen Rechtspraxis benötigen würde, etwa: Abschiebungen direkt an der Grenze, zudem von Menschen, die ihren Pass „verloren“ haben. Oder aus Syrien und Afghanistan kommen, weil:
Islamische Rosinenpickerei funktioniert eben so nicht. Was Merz inzwischen selbst offensichtlich so sieht. Der Deutschlandfunk versah ein entsprechendes aktuelles Interview mit dem CDU-Chef mit der – zutreffenden - Schlagzeile: „Merz relativiert Forderung nach Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan.“ Die Relativierung besteht hierin: Merz sagt, sein Vorschlag der Zurückweisung an der Grenze würde zu einem „faktischen Aufnahmestopp“ führen. Nur eben dann von allen, nicht nur von Syrern und Afghanen.
Entscheidend ist, was nicht auf dem Verhandlungsplan steht
Zurück zum Kanzler: Dessen „zielgerichtet“ heißt also: Scholz lässt – nur und ausschließlich – über das reden, was er selbst als ohnehin schon jetzt als sinnvoll oder notwendig definiert hat, nämlich: Abschiebungen, Terror-Bekämpfung, Waffenrecht. Entscheidend ist, was Scholz nicht auf den Verhandlungsplan gesetzt hat:
Die Begrenzung der Migration. Also: Das Bevölkerungs-Dringlichkeitsthema Nummer Eins. Das aber zugleich die Ampelregierung von Scholz an ihrer verletzlichsten Stelle trifft, denn: Zuwanderungs-Begrenzung ist gerade nicht deren Thema, sondern: Zuwanderungs-Erleichterung und die vereinfachte und beschleunigte Deutschwerdung.
Scholz sorgt mit aller Macht dafür, dass sich nichts ändert
Fazit: In seiner Rolle als erfahrener Machttechniker zeigt Scholz gerade Merz, wo der Hammer hängt. Merz hat zudem mit seinem Vorschlag, Syrern und Afghanen die Migration zu verwehren, der AfD den Schneid abgekauft, aber fachlich auch daneben gelangt. Denn so wünschenswert derlei wäre: Asylrecht wie Asylpraxis und Asyl-Rechtsprechung erlauben keine Differenzierung nach Herkunft beim Asyl.
Aber: Die Migration als Ursache von Kriminalität und Terror verschwindet nicht deshalb von der aktuellen Tagesordnung, weil Scholz es geschickt in eine All-Institutionen und All-Parteienrunde wegmoderiert hat.
Womöglich bleibt der Eindruck hängen: Scholz sorgt mit aller Macht dafür, dass sich nichts ändert. Jedenfalls nichts, was seine SPD und die Grünen nicht wollen. Der FDP bleibt – diesmal – nur eine Statistenrolle.