Analyse von Ulrich Reitz - Unser Kanzler - keine Lernkurve, kein Neuanfang, keine Perspektive

Kanzler Scholz ist mit der Reaktion der Bundesregierung zufrieden<span class="copyright">Patrick Pleul/dpa</span>
Kanzler Scholz ist mit der Reaktion der Bundesregierung zufriedenPatrick Pleul/dpa

Nach der beispiellosen Wahlniederlage der Ampelparteien bei zwei Wahlen in Ostdeutschland wollen alle unter der Führung von Olaf Scholz weitermachen. Das Einzige, was diese Koalition noch zusammenhält, ist der „Kampf gegen rechts“.

Nach dem Fiasko für die SPD und die von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler geführte Bundesregierung bei zwei Wahlen in Ostdeutschland gibt es von Olaf Scholz und den Genossen:

Keinen Neuanfang. Nicht einmal eine Richtungsänderung. Keine Einsicht, kein: Wir haben verstanden. Und auch keinen Perspektivwechsel. Es gibt nur ein großes Weiter so, also das, was gerade zu einem beispiellosen Vertrauensverlust an den Wahlurnen geführt hat.

Nicht einmal eine tiefergehende Analyse präsentierten Scholz und seine SPD nach der Wahlniederlage der Öffentlichkeit, bei der zum ersten Mal in Deutschlands Nachkriegsgeschichte eine rechtsradikale Partei den ersten Platz bei einer Landtagswahl eroberte – aller Warnungen des Bundesverfassungsschutzes und aller „Demos gegen rechts“ zum Trotz.

Scholz schiebt „Brandmauer“ zur AfD in den Vordergrund

Stattdessen soll diese Politik „gegen rechts“, bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen augenfällig gescheitert, unverdrossen fortgesetzt werden. Sie mag zwar erfolglos sein, aber ist vielleicht das Einzige, was diese Koalition der Ungleichen noch zusammenhält.

Das Erste, was Olaf Scholz im Angesicht der einstelligen Wahlergebnisse seiner Partei einfiel, war, die „Brandmauer“ zur AfD in den Vordergrund zu schieben.

Damit allerdings maßt sich die SPD auch nach einer großen Wahlniederlage noch ein Urteil darüber an, was die einzige in Sachsen und Thüringen verbliebene Volkspartei, die CDU, in Bezug auf die AfD zu tun oder zu unterlassen habe. „Die Brandmauern müssen stehen“, bekräftigte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken an diesem Montag die Vorgabe des Kanzlers.

Die SPD-Chefin sagte, man werde die AfD „mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen“. Das ist allerdings genau die Methode, die bislang schon nicht funktioniert hat, womöglich gar im Gegenteil dazu beitrug, dass jeder dritte Wähler den Rechtsradikalen selbstbewusst seine Stimme gab.

Wichtigstes Politikfeld bei den Ost-Wahlen: Migration

„Sie schwächt die Wirtschaft, spaltet die Gesellschaft und ruiniert den Ruf unseres Landes.“ Nein, das war kein Satz, den der Bundeskanzler reumütig und einsichtig über die Fehlleistungen der Koalition unter seiner Führung verlauten ließ, sondern es war ein Satz, mit dem Scholz die AfD bedachte. So, wie Scholz die AfD beschrieb, hatten allerdings die Wähler im Osten die Regierungskoalition wahrgenommen, deren Zustimmung daher auf rund zehn Prozent zusammenfiel.

Das wichtigste Politikfeld bei den beiden Ost-Wahlen war die Migration, es wurde in allen Wahlanalysen deutlich. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wurde dagegen unter ferner liefen verbucht – jedenfalls von den AfD-Wählern – für weit weniger als zehn Prozent von ihnen war dies bei ihrer Wahlentscheidung ausschlaggebend.

Unmittelbar vor der Wahl hatte die Ampelregierung noch versucht, bei der Migration Tatkraft und Härte zu demonstrieren – mit der Abschiebung von 28 Schwerverbrechern nach Afghanistan.

Aber selbst dies versemmelte die Regierung – in den sozialen Netzwerken dominierte nicht das Lob für die Abschiebung, sondern die Empörung über jene 1000 Euro Handgeld, das man den Schändern mit auf den Weg in ihre Heimat gab, wo es ein kleines Vermögen wert ist.

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Kanzler ließ auch nächste Chance zur Kurskorrektur liegen

In diesem Stil dürfte es nun auch weitergehen. An diesem Dienstag trifft sich auf Einladung von Scholz eine parteiübergreifende Runde, um darüber zu beraten, wie es mit dem völlig aus den Fugen geratenen Migrationssystem weitergehen soll.

Oppositionsführer Friedrich Merz hatte Scholz angeboten, das Mega-Problem, hauptverantwortlich für den Boom von AfD wie, mit leichten Abschlägen, der Wagenknecht-Partei, gemeinsam anzugehen. Merz hatte auch konkrete Vorschläge zur Eindämmung der nach wie vor weitgehend unkontrollierten und immer noch massenhaften Migration nach Deutschland gemacht.

Doch Scholz selbst ließ Merz abtropfen, indem er ihm die Augenhöhe eines Vieraugen-Gesprächs verweigerte, um stattdessen eine große Multiparteien-Runde einzuberufen, von der weitreichende Entscheidungen nicht zu erwarten sind. Ein taktisch geschicktes, in einen Institutionen-Schachzug verpacktes Weiter so – aber eins ohne strategische Perspektive.

Nach der verlorenen Wahl ließ der Kanzler die nächste Chance zur Kurskorrektur liegen. „Seine“ Parteichefin Esken verteidigte die bisherigen Regierungsbeschlüsse, besonders die lange Zeit vor allem von der grünen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock für unmöglich erklärten Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, um damit alle weitergehenden Ideen brüsk abzubürsten.

Merz reagierte auf seine konsequente Art

Was Friedrich Merz vorgeschlagen habe – strikte Kontrollen an der Grenze, verbunden mit Zurückweisungen unter Hinweis auf eine Notlage bei der inneren Sicherheit in Deutschland – sei „mit unserer Verfassung nicht vereinbar“, behauptete Esken, ohne dies näher zu erläutern oder mit irgendeiner Expertise zu belegen.

Die SPD-Chefin sagte, mit ihrer Partei sei es nicht möglich, Deutschlands europarechtliche Verpflichtungen „zu brechen“ – ohne auch hier zu erklären, wo konkret beim Merz-Vorschlag der Bruch europarechtlicher Verpflichtungen liegen soll.

Merz, derart düpiert, reagierte auf seine konsequente Art. Er rechne nicht mit einem Erfolg der von Scholz einberufenen Allparteienrunde. Und wenn dies dann tatsächlich so komme, werde es „keine weiteren Stuhlkreise“ mehr geben.

Man muss allerdings sagen, dass die SPD mit ihrer Weigerung, über weitere Zuzugsbeschränkungen von Migranten auch nur diskutieren zu wollen, nicht alleine dasteht. Noch am Wahlabend wurde die Parteivorsitzende der Grünen im Fernsehen gefragt, ob das verheerende Wahlresultat nicht zeige, dass die Migrationspolitik der Ampelkoalition gescheitert sei.

SPD-Führung erhöht den Druck auf Bundeskanzler

Ricarda Lang antwortete, indem sie alle Erkenntnisse der Wahlforschung konsequent ignorierte: „Nein, das hat die Leute nicht umgetrieben.“ Auch die Grünen machen also weiter mit der gerade bei zwei Wahlen abgestraften Methode, ihre eigene Ideologie vor den Willen der Wähler zu setzen.

Erstaunlich mutet dies an, wenn man auf die Wahlerfolge der AfD bei jüngeren Wählern schaut – einst eine als uneinnehmbar geltende Bastion der Grünen: Im Segment der 18- bis 24-Jährigen schnitt die AfD überdurchschnittlich ab, holte noch einmal bis zu einem Viertel mehr Stimmen als ohnehin schon, etwa in Thüringen. Dort kamen die Grünen auf fünf Prozent. Die AfD brachte es auf achtmal so viele Jungwähler-Stimmen: 39 Prozent.

Was noch auffiel: Die SPD-Führung erhöht den Druck auf den Bundeskanzler. Der Sound ist dabei unspektakulär, aber in der Sache dann doch für Scholz bedrohlich.

Esken sagte, ihrer SPD gelinge es nicht, die Menschen von „unserer Politik“ und „Durchsetzungsfähigkeit“ zu überzeugen. Einzig zuständig für die Durchsetzungsfähigkeit sozialdemokratischer Regierungspolitik ist allerdings nur einer: der Bundeskanzler.

Ein inspirationsloses Weiter so

Eskens Generalsekretär Kevin Kühnert verkündete nach dem Wahlfiasko vollmundig, man werde sich als SPD nun nicht mehr „von den anderen Parteien auf der Nase herumtanzen lassen, die krachend aus dem Landtag geflogen sind“.

Nun – es gibt nur einen, der dafür verantwortlich wäre, sollte der Eindruck entstanden sein, die SPD ließe sich von den Ministern der Grünen und der FDP auf der Nase herumtanzen: der Bundeskanzler.

Nachdem auch Christian Lindner als FDP-Chef erklärte, an der Ampelkoalition festhalten zu wollen, wird diese nun also weitermachen. Es ist allerdings ein inspirationsloses Weiter so, unbeeindruckt von der klaren Botschaft der fünf Millionen zur Wahl aufgerufenen Sachsen und Thüringer. Das einzige Versprechen, das die SPD abgab, war, die Politik unter der Verantwortung ihres Kanzlers besser zu kommunizieren.

Neue Köpfe sind nicht vorgesehen dafür. Neue Botschaften auch nicht. Es gibt erkennbar auch niemanden mehr, der danach rufen würde, die Ampel möge weitermachen.