Eine Analyse von Ulrich Reitz - Das Land ist Zeuge! Im Asylstreit passiert mit den Grünen plötzlich etwas Erstaunliches
Die Grünen beziehen im Asylstreit Stellung: Es gibt eine neue CDU, und der kündigt die Partei die Freundschaft. Einem Mann geben sie die Schuld. Dabei ist ihr Problem viel größer.
Deutschland kann gerade live und in Farbe Schwarz-Grün beim Scheitern zuschauen. Und diesmal sind es die Grünen, die die Brücken sprengen. Ganz anders macht es die SPD: sie sucht demonstrativ die Nähe zur Union, der anderen pragmatischen Macht-Partei. In diesen Tagen ordnet sich die politische Landschaft neu, das zeigt die Debatte aller Debatten.
Den Grünen geht es nicht mehr um die Sache
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, greift CDU-Chef Friedrich Merz persönlich an. So macht das auch ihr Vize, Andreas Audretsch. Oder der Innenpolitiker Konstantin von Notz. Und die Parlamentsgeschäftsführerin Mihalic.
Längst geht es den Grünen nicht mehr um die Sache. Um die Details der Migrationspolitik. Das ist jetzt nur noch der Aufhänger. Längst geht es um mehr. Schuld ist die Lage, die ist neu: Zuerst sind ihnen die Wähler übers Regieren abhandengekommen, nun verlieren sie auch noch eine große Machtperspektive. Eine, auf die sie gebaut hatten – jahrelang, eine ganze Politikergeneration lang.
Und dafür geben sie nun einem einzigen Mann die Schuld: Friedrich Merz. Der CDU-Vorsitzende, man merkt es als Chronist in fast jeder Debatte im Bundestag, ist zum personifizierten Feindbild der Grünen geworden. Denn Merz hat aus der CDU, die den Grünen in den Merkel-Jahren so vertraut war und auch so lieb, aus „ihrer“ grünen CDU, etwas anderes gemacht. Etwas, das sie kalt finden, unerbittlich. Und männlich.
Die Migrationsdebatte beherrscht alles
Merz hat inzwischen mit der Merkel-CDU gebrochen. Lange hat er es weggeschwiemelt, inzwischen sagt er es offen. Macht damit sogar offensiv Politik. Sagt dem Bundeskanzler von der Sozialdemokratie, so wie er eine ganze Partei verändert hat, müsse nun auch der Regierungschef seine Regierung verändern.
Anlass ist die Migrationsdebatte , es ist die Debatte aller Debatten. Keine Frage beschäftigt die Deutschen und die deutsche Politik so lange und so intensiv wie die, wie man mit der Asyl-Einwanderung umzugehen hat.
Der Streit um die grundlegende sozial-ökonomische Ausrichtung Deutschlands nach dem Krieg, die Marktwirtschaft: Sie dauerte allenfalls 20 Jahre, so lange brauchte die Sozialdemokratie, um sich vom „Plan“ als Alternative zu Angebot und Nachfrage, dem freien Spiel der Kräfte, zu verabschieden.
Bei der Westbindung, der großen geostrategischen Frage Deutschlands, ging es noch schneller. Das war nach wenigen, vielleicht fünf Jahren durch. Als das Thema mit der Wiedervereinigung noch einmal aufkam, entschied Helmut Kohl es – ohne nennenswerte Gegenwehr, quasi im Alleingang.
Dagegen läuft die Asyl- und Einwanderungsdebatte als gesellschaftliche Kontroverse jetzt seit rund 40 Jahren. In der historischen Perspektive wird der Bruch von Merz mit Merkel eine Etappe sein, die sich aber gerade auch koalitionspolitisch auflädt – als Widerstand der Grünen dagegen.
Es sind Machtwechsel-Zeiten
Die Partei, die Merz nach seinem Bild geformt hat, will grün nicht mehr sein. Die Grünen spüren es schon länger. Die Migrationsdebatte, das ist jetzt der eine Tropfen zu viel. Und ihre Reaktion ist heftig. In diesen Tagen besonders – es sind Machtwechsel-Zeiten.
Merz will Kanzler werden, er ist der Favorit, auch gegen Markus Söder. Und im Vergleich mit Olaf Scholz liegt Merz weit vorne. Vielleicht hat sich Deutschlands Kanzlerschaft inzwischen Friedrich Merz so weit genähert, wie sie sich von Olaf Scholz entfernt hat.
Die Grünen könnten sich ergo mit der Frage beschäftigen, wie es gehen könnte, mit dieser neuen, der Merz-CDU, zu koalieren. So wie die FDP. Oder die SPD. Aber das machen sie nicht. Sie fremdeln. Sie stoßen sich ab. Man hört das am Sound. Der ist neu – und aggressiv.
Wie bei Andreas Audretsch. Der sagt Merz von der Kanzel herab ins Gesicht: „Offensichtlich sind sie nicht der Charakter dafür, mehr Verantwortung zu übernehmen.“
Es ist der zweite Tag infolge, an dem Andreas Audretsch Merz die „charakterliche“ Eignung für die Führung Deutschlands abspricht. Es ist also kein Ausrutscher. Der Grüne meint es ernst. Er sagt, was die Grünen denken. Der Applaus seiner Fraktion ist Audretsch gewiss.
Die Grünen und ihren heftigen Angriffe
Für eine Partei, die landauf, landab gegen „Hass und Hetze“ demonstriert, die für den „Konsens der Demokraten“ wirbt, ist so eine – menschlich verletzende - Argumentation schon sehr besonders. Was will man noch sagen, nachdem man einmal einen solchen Satz gesagt hat?
Der letzte, der einer CDU-Führungsfigur die charakterliche Eigenschaft abgesprochen hat, Deutschland zu führen, war Franz Josef Strauß – das war vor bald 50 Jahren. Es war, was man heute „friendly fire“ nennt – Beschuss aus den eigenen Reihen, gegen Helmut Kohl nämlich. Die Sätze, die jetzt die Grünen sagen, sagt kein Sozialdemokrat über Friedrich Merz.
Merz lege die „Axt an die Errungenschaften der Europäischen Union“. Das sagt Konstantin von Notz, der über den Migrationsstreit die Merz-CDU in Stellung bringt gegen Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel.
Das hat vor ihm schon die Fraktionsvorsitzende gemacht, Katharina Dröge. Sie lässt es so klingen, als ob jetzt die Grünen das Erbe der alten CDU, die für sie eine gute, alte CDU ist, die Vor-Merz-Partei eben, verteidigen müssten.
Im O-Ton: „Sie verabschieden sich nicht nur von der Politik von Angela Merkel, sie verabschieden sich von der Politik von Helmut Kohl und Konrad Adenauer – zumindest wir werden das nicht zulassen.“ Die Grünen als militante Erben der Kohl-CDU – so absurd es klingen mag, erst recht aus der Perspektive der achtziger Jahre, als Grüne Kohl zu ihrem Systemgegner machten – heute meinen sie es ernst damit.
Von Putin direkt zu Merz
Audretsch sagt, es sei das Ziel von Wladimir Putin, die EU „kaputt zu machen“. Von hier aus braucht er nur einen Satz bis zu Friedrich Merz: „Sie machen das Drehbuch von Wladimir Putin. Sie betreiben bewusst oder unbewusst das Geschäft dieses Diktators.“ Bewusst oder unbewusst – beleidigend ist beides. „Bewusst“ macht aus Merz einen Landesverräter, „unbewusst“ einen Triebtäter. Geht’s noch?
Die Beleidigungsreichweite der Grünen fängt bei Putin allerdings erst an. Um sodann Merz auf die Ebene von Donald Trump zu heben. Den haben sie aus Annalena Baerbocks Auswärtigem Amt nach dem Duell mit Kamala Harris gleich mal verspottet – und sich dabei auch noch lächerlich gemacht. Ein diplomatisch zwar unmöglicher, aber nicht einmal einmaliger Vorgang aus Baerbocks Amtszeit. Jedenfalls hat Trumps möglicher Außenminister Richard Grenell der Grünen schon Rache geschworen.
Von den alten Zeiten mit Adenauer (da waren die Grünen noch 20 Jahre weit weg), Kohl und Merkel schwärmt auch Irene Mihalic. Die Frau mochten sie, in der CDU einmal, schon weil sie bei der Polizei war. Die Zeiten sind vorbei, das gilt gegenseitig.
Mihalic sagt jetzt zu Merz, der CDU-Chef bringe das christdemokratische, europäische Aufbauwerk für „eine kurzsichtige Germany-first-politik ins Wanken“. Mihalic schiebt nach: „Da freut sich Putin.“ Merz-Trump-Putin, das ist jetzt das neue Trio-Infernale, wie die Grünen es sich zusammengebastelt haben.
Der Zeitgeist dreht sich nach rechts
Was ist los mit den Grünen? Woher kommt diese Aggressivität? Blanke Nerven alleine können es nicht sein. Es ist mehr: Es ist der Zeitgeist.
Und der dreht sich, nicht nur in Deutschland, vielleicht hier noch am langsamsten. Die vergangenen 25 Jahren wehte der Zeitgeist links, jetzt hat er begonnen, auf rechts zu drehen. Zu viel Europa, zu viel Multikulti, zu viel Islamismus, zu viel Kriminalität – um Deutschland herum: überall dasselbe Leiden an linker Übertreibung.
Die Grünen sind die Vertreter der alten Zeit. Sie werden gerade zu einer Partei des Gestern. Verantwortlich dafür sind zwei Spitzenleute, und beide haben ihre Heimat-Parteien aufs Altenteil geschickt: Eine linke Renegatin, die früh erkannt hat, dass „Anti-Grün“ das Zeug zur neuen Volksbewegung hat: Sahra Wagenknecht. Und ein CDU-Mann, der mit seiner Partei und auch mit Politik-Deutschland noch eine Rechnung offen hat. Er ist – ausgerechnet - ein alter, weißer Mann:
Friedrich Merz.