Analyse von Ulrich Reitz - Von der Leyens Kampf gegen Orban löst Mega-Konflikt aus - Deutschland ist mittendrin

Ungarns Premier Viktor Orban und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen<span class="copyright">picture-alliance/AA/D. Aydemir</span>
Ungarns Premier Viktor Orban und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyenpicture-alliance/AA/D. Aydemir

Von der Leyen gegen Orban. Trump für Orban. Daraus entwickelt sich gerade ein Konflikt, in dessen Mittelpunkt die Ampelregierung rückt. Aber nicht nur die.

Bei den Grünen fiel der Jubel über Europas mächtigste „Schwarze“, die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, am heftigsten aus – in Straßburg wie in Berlin. Eine „echte Herzenseuropäerin“, sagte Deutschlands grüne Außenministerin Annalena Baerbock, nachdem die umstrittene CDU-Politikerin mit den Stimmen der Grünen wieder ins europäische Spitzenamt gewählt wurde.

„Grüne sind ihrer europapolitischen Verantwortung gerecht geworden“

Bei den Schwarzen war wiederum die Freude über die Grünen groß. Dort wurde es sogleich als allgemeines schwarz-grünes Signal einsortiert. So der sozialpolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion, Dennis Radtke: „Wer immer gegen Schwarz-Grün polemisiert, sollte heute nach Straßburg schauen: Grüne sind ihrer europapolitischen Verantwortung gerecht geworden.“

Radtke und Hendrik Wüst (CDU) kennen und schätzen sich seit vielen Jahren, Radtke kommt aus Nordrhein-Westfalen, aus dem Ruhrgebiet, wo Wüst in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland eine Koalition mit den Grünen anführt.

Zurück zu den Grünen – Baerbock hat allen Grund zur Freude. Denn von der Leyens außenpolitische Agenda für die Europäische Union ist beim wichtigsten Thema, dem Ukraine-Krieg, nahezu deckungsgleich. Hier gibt es eine klare und harte schwarz-grüne Koalition, die sogar enger ist als die zwischen den Grünen und dem sozialdemokratischen Bundeskanzler. Man braucht dafür nur einen Satz, den beide mächtigen Frauen, die Schwarze von der Leyen wie die Grüne Baerbock, im Unterschied zu Olaf Scholz, sagen: Die Ukraine „muss siegen“.

Für andere Ansichten lässt Damentrio keinen Spielraum

Von jetzt an beginnt von der Leyens nächstes Rennen – nach der eigenen Wiederwahl die um ihre Mannschaft. Eine Spitzenpersonalie steht schon so gut wie fest – neue Außenkommissarin wird Estlands Premierministerin Kaja Kallas – eine kompromisslose Unterstützerin der Ukraine. Von der Leyen, Baerbock und Kallas treten nicht nur für fortgesetzte und intensivierte Waffenlieferungen ein an das überfallene Land, sondern auch für dessen Aufnahme in die westliche Verteidigungs- und die Wirtschaftsgemeinschaft.

Für andere Ansichten lässt dieses Damentrio keinen Spielraum. Aktuell wurde das klar in der Bewertung der „Friedensmission“ des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Der wurde für seinen Trip als selbsternannter Friedensvermittler von Baerbock mit hörbarem Missfallen begleitet – und von von der Leyen sogar mit diplomatischen Sanktionen – das nächste EU-Außenministertreffen soll darum nicht im Gastland der europäischen Ratspräsidentschaft stattfinden, eben Ungarn.

Ungarn, ohnehin der Lieblingsfeind des europäischen Establishments, soll bestraft werden von Brüssel für Orbans Mission, die er nicht vorab mit den Europäern abstimmte. Woraufhin die verstimmt reagierten mit dem Hinweis, Orban habe bei seinen Gesprächen – zuerst mit Ukraines Selenskyj, anschließend mit Russlands Putin, dann mit Chinas Xi, darauf mit Biden und schließlich mit Trump – kein europäisches Mandat.

Formal stimmt das, aber von der Leyens Bestrafaktion findet noch nicht einmal in ihrer eigenen Partei ungeteilten Beifall. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn, der gerade in Milwaukee den US-Republikaner-Parteitag beobachtet, sprach von einer „Überreaktion“ seiner Parteifreundin.

Ein Vorwurf, der einer Beleidigung gleichkommt

Bevor sie von einer Mehrheit aus Christ-, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Repräsentanten von Italiens rechter Meloni-Partei gewählt wurde, kanzelte von der Leyen Orban öffentlich ab. Seine Reise sei keineswegs eine „Friedensmission“ gewesen, sondern: „Appeasement“. Ein Vorwurf, der einer Beleidigung gleichkommt. Denn Orban ist ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, er amtiert in seiner fünften Amtszeit, und Teil seiner Biographie ist die Befreiung der Ungarn aus dem von den Russen dominierten damaligen Warschauer Pakt.

Gleichwohl: Damit folgte die CDU-Chefeuropäerin einer Sprachregelung des Berliner Chef-CDU-Politikers: Im Zusammenhang mit Orban erinnerte Friedrich Merz an die gescheiterte Appeasement-Politik des britischen Premierministers Chamberlain, der 1938 glaubte, Hitler besänftigen zu können, bevor der weniger als ein Jahr später in Polen einmarschierte.

Deutliche Kritik übte Merz nicht nur an Orban, sondern auch am möglichen nächsten US-Präsidenten Trump, über den Orban nach seinem Treffen mit ihm gesagt hatte, dieser werde den Ukraine-Konflikt lösen. Merz dazu: „Beide, Trump und Orban, lassen die Welt im Ungewissen darüber, wie sie beide oder wenigstens einer von ihnen den Frieden denn nun herbeiführen wollen.“

Konflikt über die Zukunft der Ukraine

Im Vergleich dazu fällt auf, dass sich der Bundeskanzler mit kritischen Äußerungen über Trump oder dessen Vize-Kandidaten J.D. Vance zurückhält – bisher verkneift er sie sich ganz. Olaf Scholz bestätigte aber in einem Interview, er und seine Regierung seien auf einen Regierungswechsel in den USA vorbereitet. Folge eines Wechsels zu Trump könnte ein europäisch-amerikanischer Konflikt über die Zukunft der Ukraine sein, denn Trump und sein Team sind weit entfernt von der kompromisslosen europäischen Haupt-Linie.

Dies umso mehr, als die Europäer bisher keine Alternative zu Waffenlieferungen zu bieten haben – wobei diese militärischen Leistungen für die Ukraine zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel sind. Präsident Selenskyj beklagt dies permanent. Bei den Trump-Leuten fällt die Analyse des Ukraine Konflikts auch darum ernüchternd aus.

Unter Selenskyj sei die Ukraine von ihrem Ziel einer Rückeroberung der von den Russen völkerrechtswidrig besetzten Gebiete weit entfernt. Dort hat man auch die Erkenntnisse, die Ungarns Orban Trump vermittelte, aufmerksam registriert. Orban analysiert, bis zur US-Wahl werde der Krieg noch blutiger werden als er jetzt schon ist.

Von der Leyen, Baerbock, Merz – sie beurteilen Orban als Blender

Zwei Tage später bombardierte Putins Soldateska ein Kinderkrankenhaus in der Ukraine. Orban nimmt das als Bestätigung seiner Warnungen, im Pro-Ukraine-Lager wird das praktisch als Gegenteil bewertet – eine Bestätigung für die Annahme, mit Putin lasse sich nicht verhandeln, weil der es nicht wolle, weil er an seinen Maximalzielen festhalte. So sagt es auch Friedrich Merz.

Von der Leyen, Baerbock, Merz – sie beurteilen Orban mehr oder weniger als Blender. Ganz anders sieht es beim aktuellen Präsidentschafts-Favoriten aus. Die Trump-Leute, allen voran der Ex-Präsident, schätzen Orban. Trumps Vize-Kandidat Vance ist ein ausgesprochener Fan des Ungarn – und überdies gut informiert über die Konflikte zwischen dem Ober-Ungarn und der Europäischen Kommission plus der deutschen Bundesregierung. Die EU habe Milliarden von an Ungarn versprochenen Geldern nicht ausgezahlt und damit ein Versprechen gebrochen. Das sei „keine Ordnung des Rechts“. Sondern eine Form von europäischem, liberal-wokem Imperialismus, urteilt Vance.

Aktuell eskaliert der Konflikt wegen der Ukraine mit Ungarn immer mehr: Kiew hat nach Darstellung des ungarischen Außenministers Peter Szijjarto dem Land die Zufuhr russischen Öls über eine ukrainische Pipeline abgedreht. Was in Budapest selbstredend zu empörten Reaktionen führt.

Konflikt mit Orban ist ein Vorbote

Der Konflikt mit Orban ist ein Vorbote dafür, wie von der Leyen ihre zweite Amtszeit in Bezug auf die Nationalstaaten gestalten will. Sie legte ein flammendes Plädoyer gegen jeglichen Extremismus und für demokratische Werte ab, dem ihr am lautesten die Grünen im europäischen Parlament applaudierten. Die Wahl von der Leyens – ohne die Stimmen der Grünen nicht denkbar – habe einer Präsidentin gegolten, die sich zum Klimaschutz, zur Ukraine und zur Demokratie bekenne, hieß es von etlichen Grünen hinterher. „Für die Demokratie“ ist eine Chiffre, man muss sie übersetzen mit: Gegen Orban.

Von der Leyen kündigte zum ersten Mal an, sich für ein bezahlbares Leben einzusetzen – eine Forderung der Grünen. In diesem Zusammenhang: Sie werde einen Kommissar für günstiges Wohnen ernennen. Europas Grüne haben schon konkrete Vorstellungen, wie das umgesetzt werden könnte, ihr Sprecher Rasmus Andreesen legte sogleich für von der Leyen die Latte hoch: Nötig sei eine „harte Finanzmarktregulierung“ und: „Ein Renditedeckel“. Abgesehen davon, dass dies auf das Gegenteil der auch vom Bundeskanzler versprochenen „Entbürokratisierung“ hinausläuft: Private Wohnungs-Investoren wird man damit kaum zum Bauen gewinnen können – es sei denn, Brüssel zahlt ihnen die Chose.

Brüssel hat allerdings kein eigenes Porte­mon­naie. Dort lebt man vom Geld anderer. Größter Zahlmeister Brüssels ist mit großem Abstand: Deutschland.