Analyse von Ulrich Reitz - Nun macht auch Polen für Migranten dicht - das ist hochbrisant für Scholz
Vordergründig geht es um die Abwehr einer russisch-belarussischen Aggression – offiziell macht Polens Regierung deshalb seine Ostgrenze dicht. Tatsächlich aber schafft Warschau Fakten gegen die Brüsseler Asyl-Regeln. Das ist brisant – auch für die die Regierung von Olaf Scholz.
Polen hat die Grenze zu seinem Nachbarn Belarus dichtgemacht, mit Beton und Stacheldraht, mehrere Meter hoch. Schwerbewaffnete Polizisten laufen dort Streife. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich diesen Anti-Migrantenzaun gerade angeschaut in Polen, 22 Kilometer östlich von Warschau. Sie fand ihn gut und sagte das auch: „Polen leistet hier an der Außengrenze der Europäischen Union einen wichtigen Beitrag für mehr Sicherheit und zur Reduzierung der irregulären Migration nach Europa.“
Viktor Orbans Schutzwall findet Berlin nicht so gut wie den der Polen
Der wichtige Beitrag produziert des öfteren martialische Bilder, beinahe jeden Tag laufen sie über die sozialen Netzwerke, wenn Migranten versuchen, den Zaun zu zerschneiden, um die Sperrmauer zu überwinden. Es sind genau jene Bilder, die zu produzieren 2015ff die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückscheute.
So einen Grenzzaun wie seit drei Jahren in Polen gibt es auch anderswo, gleichfalls an einer Außengrenze der Europäischen Union, zu Serbien. Nur hat den Viktor Orban hochgezogen, vor Jahren schon – und damit auch Deutschland einen Gefallen getan.
Trotzdem finden sie den Schutzwall von Orban in Berlin nicht so gut, sondern vielmehr anti-europäisch. Merke: Wenn zwei osteuropäische Länder das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.
Viktor Orban möchte sein Land vor muslimischen Einwanderern schützen, deshalb muss er Millionenstrafen zahlen, die ihm die Europäische Kommission aufgebrummt hat. Donald Tusk möchte sein Land gleichfalls vor muslimischen Migranten schützen, nur: Er sagt es nicht und hat sich eine andere Begründung ausgedacht, die den Vorzug hat, auch noch zu stimmen:
Polen will Recht auf Asyl aussetzen - das ist in mehrfacher Hinsicht brisant
Der Regierungschef Polens wehrt sich nicht gegen Flüchtlinge wie Orban, sondern gegen Invasoren, die Belarus geschickt hat zwecks Destabilisierung seines Landes und des gesamten Westens. Das finden sie in Brüssel zwar auch nicht so toll, aber auf jeden Fall nicht so schlimm wie das, was Orban treibt. Auch wenn Zaun eigentlich gleich Zaun ist.
Polen will das Recht auf Asyl aussetzen. Das ist in mehrfacher Hinsicht brisant. Ausgerechnet Tusk, den sie – auch in Deutschland – stets als Vorzeige-Europäer gefeiert haben, verabschiedet sich jetzt von einem Kernstück der europäischen Integrationspolitik.
Was für Brüssel doppelt ärgerlich ist, denn dort hat man gerade erste Geas auf dem mühseligen Weg gebracht, eine Gemeinsame Europäische Asylpolitik. Zehn Jahre haben die Verhandlungen gedauert, herausgekommen ist ein Minimalkonsens, der dennoch gefeiert wird wie ein historischer Durchbruch, auch von der deutschen Bundesregierung, von Nancy Faeser und von Annalena Baerbock, der Bundesaußenministerin.
Minimale Folgen wird dieser europäische Konsens haben, weil Geflüchtete ohne Flüchtlings-Anspruch nun zwar an der Grenze festgehalten werden können, aber dies nur die geringste Zahl der Migranten überhaupt betrifft.
Dringt Warschau in Brüssel durch, hat Berlin ein Mega-Problem
Jedenfalls sind die aus den Hauptherkunftsländern Afghanistan und Syrien von der europäischen Regelung gar nicht erfasst. Trotzdem sehen die Grünen auf europäischer Ebene darin einen unerwünschten Dammbruch, genau wie die vielen NGO’s, die wie die Seenotretter, den Transfer von Migranten nach Europa zu ihrem Daseinszweck gemacht haben.
Tusk sagt, er wolle „die Anerkennung dieser Entscheidung in Europa einfordern“. Polens Regierungschef mildert die Härte seiner Entscheidung dadurch ab, dass er angibt, das sei nicht für immer.
Allerdings: Sollte Warschau damit in Brüssel durchdringen, hat Berlin ein Mega-Problem, das sich in einer Frage formulieren lässt:
Wenn Polen aus nationalem Interesse das europäische Asylrecht außer Kraft setzen kann, weshalb sollte Deutschland dies nicht können? Denn:
Der russische Präsident Wladimir Putin und dessen belarussischer Schergenbruder Alexander Lukaschenko schleusen die Migranten zwar über die belarussische Westgrenze nach Polen, aber dort bleiben die meisten nicht – sie wollen weiter nach Deutschland, wie die meisten der Migranten.
Deutschland müsste Polens Motiv teilen - doch das würde den nächsten Großkonflikt auslösen
Ergo: Das polnische Motiv, Europas Asylrecht auszusetzen, könnten, müssten womöglich sogar, die Deutschen teilen. Eigentlich – denn genau davon ist bislang nicht die Rede in der Bundesregierung. Es würde auch den nächsten innenpolitischen Großkonflikt in der an Konflikten ohnehin nicht armen Ampelregierung heraufbeschwören.
Bemerkenswert ist Tusks Begründung für den polnischen Schritt deshalb, weil Polens Regierungschef beansprucht, was auch Deutschlands Regierungschef beansprucht.
Olaf Scholz hat es schon mehrfach öffentlich gesagt: Deutschland müsse sich seine Migranten „aussuchen“ können. Das nennt Scholz selbstverständlich – was es nicht ist, weil die meisten von ihnen unkontrolliert nach Deutschland kommen. Tusk sagt, sein Staat müsse die 100-prozentige Kontrolle darüber zurückgewinnen, wer in den EU-Mitgliedsstaat einreise.
Polen begeht einen doppelten Tabubruch
Polen werde keine europäische Idee respektieren, die die Sicherheit seines Landes gefährde, sagte Tusk. Nun sind die von Putin und Lukaschenko mit dem Ziel, Unruhe zu stiften, über Polens Grenze geschleusten Migranten sicherlich eine Gefährdung der inneren Sicherheit des osteuropäischen Landes.
In Deutschland wird die innere Sicherheit durch kriminelle Migranten schon lange gefährdet, sie sind in der Kriminalstatistik vor allem in Körperverletzungsdelikten im Vergleich zum Ausländeranteil stark überrepräsentiert.
Was macht also Polen? Es definiert offen seine nationalen Sicherheitsinteressen – und stellt sie über etwaige humanitäre Verpflichtungen. Damit nicht genug: Es definiert seine nationale Interessen – und stellt sie über die europäischen Verpflichtungen, über Verträge und über die Rechtsprechung.
Es ist gleich ein doppelter Tabubruch – zudem begangen auch noch von einem ausgewiesenen Europäer. Tusk sagt auch, seine Maßnahmen lägen im europäischen Interesse. Das Europa bislang allerdings anders definiert.
Deutschland wird allmählich zur Asylinsel in Europa
Der doppelte polnische Tabubruch ist für das große westliche Nachbarland eine Herausforderung. Denn nun gibt es zwei Flächenländer, die sich nicht mehr von Brüssel oder dem Europäischen Gerichtshof oder der Genfer Flüchtlingskonvention diktieren lassen wollen, wie sie in ihrem Land mit Migranten umgehen sollen:
Dänemark im Norden und Polen im Osten. Und im Westen Deutschlands dominiert in den Niederlanden in Geert Wilders ein Politiker, der den Islam an sich zum grundlegenden Problem für eine tolerante, westliche, demokratische und religionsfreie Gesellschaft erklärt. Schaut man inzwischen auf Europas politische Migrationslandkarte, sieht es mehr und mehr so aus:
Allmählich wird Deutschland zur umstrittenen Asylinsel in Europa.