Analyse von Ulrich Reitz - Plötzlich steht ein neuer Verdacht gegen Scholz im Raum

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) winkt nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten auf dem SPD-Sonderparteitag.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) winkt nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten auf dem SPD-Sonderparteitag.Kay Nietfeld/dpa

Der Kanzler muss sich unangenehmen Fragen stellen. Ukraine-Hilfen und Atom-Ausstieg – hat Olaf Scholz in zwei entscheidenden Punkten nicht nur seine Koalitionspartner, sondern auch die Öffentlichkeit hinters Licht geführt?

Der Kanzler hofft auf das Wunder von Berlin wie Deutschlands Fußballnationalelf auf das Wunder von Bern, damals, vor 70 Jahren. Mit ihm als Zugpferd soll auch die Sozialdemokratie wieder sagen können: Wir sind wieder wer.

Als Saskia Esken am Sonntagabend im Fernsehen treuherzig versicherte, Scholz sei „ein Kämpfertyp“, da lachte das TV-Publikum. „Doch, ehrlich“, setzte die SPD-Chefin trotzig nach.

Auf dieses „ehrlich“ kommen wir gleich noch. Aktuell sieht es so aus, dass die Sepp Herberger Truppe es 1954 leichter hatte, Fußball-Weltmeister zu werden, als Scholz 2025, Regierungschef zu bleiben. Das liegt vor allem an ihm selbst.

Ist der Kanzler ehrlich?

Denn Scholz müsste nicht nur das Kunststück fertigbringen, seine Zahlen und die seiner Partei mindestens zu verdoppeln. Er müsste auch noch jemanden finden, der ihn dann zum Bundeskanzler wählt. Und hier kommt das Thema Glaubwürdigkeit ins Spiel.

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Ist der Kanzler ehrlich? Kann man sich – als Koalitionspartner – auf ihn verlassen? Hat er persönlichen Kredit?

Bisher fragen Politiker und Medien permanent danach, wer dem Unionskandidaten Friedrich Merz zur Kanzlermacht verhelfen soll. Markus Söder ist partout gegen die Grünen als Steigbügelhalter, und die FDP erscheint zu schwachbrüstig, um Schwarz-Gelb möglich zu machen – die Kombination, die am ehesten für jenen „Neuanfang“ steht, den Friedrich Merz und Christian Lindner sich für Deutschland wünschen.

Für Scholz hat sich die Lage grundlegend verändert

Sieht man von der AfD ab, mit der Merz auch aus ganz persönlichen Gründen kein Bündnis eingehen will. Unter seiner Führung hat die Union die „Brandmauer“ weiter zementiert, obwohl die ihr Ziel drastisch verfehlt hat, die AfD klein zu machen. Für Merz ist das ein schmerzliches Dilemma.

Bei Scholz indes geht man davon aus, er werde wieder im Parlament zum Kanzler gewählt, läge er nur vor Merz am Abend des 23. Februar, des Tags der Bundestagswahl. Das ist so seltsam wie fragwürdig, denn:

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Die Lage hat sich verändert, für Scholz sogar grundlegend. Den FDP-Chef hat er aus dem Kabinett geworfen und es wird immer klarer, dass dies unter fadenscheinigen Gründen geschah. Die Liberalen hat er auch noch beim Atomausstieg augenscheinlich über den Tisch gezogen, genau wie die Öffentlichkeit.

Jetzt sieht es wieder nach „fake news“ aus

Liberale gingen davon aus, Scholz habe als Kanzler beim Weiterlaufen von drei Meilern gegen die Grünen von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Dabei sieht es nach einem abgekarteten Spiel aus – von Scholz und Robert Habeck gegen Lindner. Es wäre ein Vertrauensbruch gewesen, lange vor dem eigentlichen Koalitionsbruch.

Vielleicht wird man eines Tages noch einmal die Geschichte dieses Koalitionsendes neu schreiben müssen. Erinnerungen werden wach: Schon Helmut Schmidt versuchte damals, den Koalitionsbruch 1982 der FDP in die Schuhe zu schieben, um sie parlamentarisch zu vernichten. In der Sprache von heute würde man sagen: „Fake news“ war das damals. Und auch jetzt sieht es wieder nach „fake news“ aus.

Dabei geht es nicht um Geschichtsschreibung, nicht um rückwärtsgewandte Interpretation eines Regierungsendspiels. Sondern um eine zentrale Frage, die in die Zukunft gerichtet ist:

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Kann man Scholz überhaupt vertrauen?

Grüne sind sauer

Die Grünen sind sauer auf ihn. Es geht um eine wesentliche Frage seiner Regierungspolitik, die Ukraine-Hilfen. Grüne erheben den Vorwurf gegen Scholz, beim Koalitionsbruch gezinkt zu haben. Die Koalition von SPD, Grünen und FDP über die Ukraine-Hilfen platzen lassen und heute behaupten, diese Hilfen für das angegriffene Land seien doch eigentlich unnötig.

Die Grünen reden von Blockade und von Verantwortlungslosigkeit – der Ukraine gegenüber, deren Überlebensinteressen der noch regierende Kanzler seinem verzweifelten Wahlkampf opfere. In drei Worten von Agnieszka Brugger, der grünen Fraktionsvize:

„Verantwortungslos, zynisch, unglaubwürdig.“ Mehr geht kaum, schon gar nicht, wenn es um den Chef einer Regierung geht, an der die Grünen mit einem Vizekanzler beteiligt waren – und nach wie vor sind.

Debatte geht längst über die alte Koalition hinaus

Der Ukraine jetzt mit deutschen Waffen im Gegenwert von drei Milliarden Euro zu helfen, das funktioniere auch ohne Sozialkürzungen, anders als der Kanzler behaupte, sagt der grüne Ausschuss-Chef Toni Hofreiter. Es handle sich um eine „plumpe Ausrede“ von Scholz. Und das sei:

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„Umso beschämender, weil es genau um die drei Milliarden geht, die einer der vier Gründe sind, warum der Kanzler den (…) Finanzminister Lindner entlassen hat.“ Was diese Frage aufwirft: Fand diese Entlassung Lindners aus dem Amt des Bundesfinanzministers und der der Koalitionsbruch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen statt?

Längst geht die Debatte über die alte Koalition hinaus. Mit diesen drei Milliarden Euro für die Ukraine, daran erinnert die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, wollte der Kanzler Scholz seinen liberalen Finanzminister dazu bringen, die Schuldenbremse zu schleifen. Und nun das, aus dem Kanzleramt heißt es nun auf einmal, die Hilfe für die Ukraine sei aktuell unnötig  – Grimm:

„Was für ein Wahnsinn – und wie entlarvend.“

Ukraine nur ein „Mittel zum Zweck“?

FDP-Fraktionschef Christian Dürr war „dabei als Scholz ultimativ von uns verlangt hat die Schuldenbremse auszusetzen, um angeblich die Ukraine zu unterstützen“. Und nun stelle sich heraus, dass die Ukraine „nur ein Mittel zum Zweck war“, die FDP hinauszuwerfen. Dürr: „Unwürdig.“

Die Liberalen haben nicht vergessen, wie Scholz Lindner persönlich nach dessen Rauswurf anging, wie er seinen Partner charakterlich anging, von missbrauchtem Vertrauen sprach.

Sie werden es auch die nächsten mindestens zehn Jahre nicht mehr vergessen. Nach Helmut Schmidts Versuch, den Liberalen nach dem Koalitionsbruch 1982 die Schuld dafür anzulasten, war es ebenso – jegliches sozialliberale Denken hatte sich für die FDP sogar für die nächsten 40 Jahre erledigt.

Scholz-Blockade „enttarnt sein Manöver vom November“

Die Sozialdemokraten haben sich längst entlarvt. Während der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius rundheraus abstritt, dass es die Scholz-Blockade überhaupt gebe – ebenso wie Parteigenosse Ralf Stegner, hatte der Fraktionschef Rolf Mützenich für ebendiese Blockade noch am Wochenende eine Begründung gegeben, und zwar diese hier:

„So kurz vor der Bundestagswahl nun zusätzliche Haushaltsmittel durch das Parlament zu binden und damit die nächste Bundesregierung vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist für unsere Demokratie nicht in Ordnung, rechtlich und politisch kaum zu verantworten.“

Die Scholz-Blockade, sagt auch der vom Kanzler geschasste Lindner, „enttarnt sein Manöver vom November“. Es war augenscheinlich nicht das einzige „Manöver“.

„Scholz' Machtwort war gar keins“, schrieb Robin Alexander in der Welt. Der Kanzler hatte 2022 seinen Wirtschaftsminister Habeck angeblich gezwungen, drei Atomkraftwerke vorerst am Netz zu halten. „Interne Dokumente legen jedoch nahe: Das war abgesprochen, um den Koalitionspartner FDP, aber auch einen Grünen Parteitag an der Nase herumzuführen.“

Scholz hat das Vertrauen der Bevölkerung verspielt

Die FDP in einer wichtigen Energiefrage hinters Licht geführt, einen grünen Parteitag getäuscht, jetzt in der Ukraine-Frage die grüne Außenministerin Annalena Baerbock wohl im Regen stehen gelassen – noch einmal:

Wer sollte Scholz wählen, selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass der doch noch das Wunder von Berlin schaffen sollte?

Dies freilich wird durch die Vorwürfe aus den Reihen seiner Ex-Koalition immer unwahrscheinlicher. Ohnehin hat Scholz, wie kein sozialdemokratischer Kanzler vor ihm, das Vertrauen der Bevölkerung verspielt.

Und nun sieht es so aus, als habe er nicht nur in wesentlichen Fragen seine Koalitionspartner, die auf ihn vertrauten, genarrt. Sondern auch die Bevölkerung.