Analyse von Ulrich Reitz - Raketen in Deutschland? Was dieser Experte schreibt, sollte Scholz zu denken geben

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M), Robert Habeck (l, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, nehmen an einer Pressekonferenz zum Haushaltsplan 2025 teil (Archivbild).<span class="copyright">Foto: dpa/Kay Nietfeld</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M), Robert Habeck (l, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, nehmen an einer Pressekonferenz zum Haushaltsplan 2025 teil (Archivbild).Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der Kanzler will die Raketen-Nachrüstung durchdrücken. Die aber gefährdet nun die Existenz der SPD im Osten. Olaf Scholz ignoriert die Gegenargumente. Aber die kommen aus berufenem Mund.

Olaf Scholz hätte es besser wissen können. Ein Blick auf die Homepage „seiner“ sozialdemokratischen Friedrich- Ebert-Stiftung hätte gereicht, um zu wissen:

So einfach wird die SPD seinen einsamen Beschluss, gemeinsam mit dem gerade noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden neue, strategische Raketen in Deutschland zu stationieren, nicht durchwinken.

Denn dort nimmt ein Militär- und Sicherheitsexperte mit wissenschaftlicher Reputation und praktischer Erfahrung als Bataillonskommandeur die Argumentation des Bundeskanzlers und seines Verteidigungsministers Boris Pistorius kunstvoll und kenntnisreich auseinander.

In der SPD wachsen Kritik und Katzenjammer

Oberst a.D. Wolfgang Richter publiziert nicht nur in der SPD-Stiftung, sondern arbeitet auch als Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP). Er war außerdem mehr als 13 Jahre lang Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Dieses renommierte Haus stellt permanent Sicherheitsexperten in Talkshows und bei Fachdebatten, seine bekannteste Vertreterin ist Claudia Major.

Die SWP ist eine frühe Ausgründung des Bundesnachrichtendienstes, seine „Kerntätigkeiten“ werden heute zu 100 Prozent aus dem Kanzleramts-Etat von Olaf Scholz finanziert.

Das SPD-Präsidium hat inzwischen dem Kanzler Flankenschutz gegeben – aber in der SPD wachsen Kritik und Katzenjammer gleichermaßen.

Maier soll SPD in Thüringen vor dem Absturz retten

Denn die aufziehende Raketendebatte ist längst auch beim Wahlvolk angekommen, dies erfahren schmerzlich auch sozialdemokratische Kandidaten im Straßenwahlkampf in den ostdeutschen Ländern.

So wie Georg Maier, der in Thüringen für die SPD nicht nur Innenminister, sondern auch Spitzenkandidat für die Landtagswahl ist. Der nennt noch diplomatisch den Beschluss der Parteiführung „wenig hilfreich“.

Maier soll die taumelnden Sozialdemokraten in Thüringen vor dem Absturz retten, aber als die SPD-Spitze die Raketen absegnete, hat niemand den Thüringer Genossen nach seiner Meinung gefragt.

Maier sagt nun im Radio, die Stationierung amerikanischer Raketen entwickle sich zu einem Hauptthema – das der SPD die Wahl noch zusätzlich zum schlechten Ansehen der Regierung in Berlin und der sie tragenden SPD zu verhageln droht.

Ami-Raketen entwickeln sich für Weidel und Wagenknecht zum Gewinner-Thema

Kein Wunder: Zuletzt fragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa nach den Raketen. Ergebnis: Im Osten Deutschlands sind drei von vier Menschen gegen deren Aufstellung.

Fragt man nach deren Parteienpräferenz, stellt sich heraus, dass die Ablehnung bei den Anhängern von AfD und Wagenknecht-Partei BSW am größten ist – riesig sogar, mit weit über 80 Prozent.

Für Wagenknecht und Weidel entwickelt sich die Ami-Raketen gerade zum zusätzlichen Gewinner-Thema. In den jüngsten Umfragen liegen die Weidel-Wagenknecht-Parteien inzwischen bei 49 Prozent.

In Deutschlands Osten sind ohnehin die Vorbehalte gegen die deutschen militärischen Ukraine-Hilfen am größten, die Furcht vor den Russen ist hier am stärksten ausgeprägt. Und nun auch noch die neuen Raketen.

Dass die gar nicht im Osten Deutschlands stationiert werden sollen – um den Zwei-plus-vier-Vertrag nicht zu brechen – spielt hier keine Rolle. Im Osten haben sie schon verstanden, dass auch sie einen russischen Atomangriff auf den Westen nicht überleben würden.

Scholz' politischer Lebensweg ist mit Nachrüstung eng verbunden

Denn genau das ist die Befürchtung, mit der der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich inzwischen nicht mehr allein dasteht. Der Willy-Brandt-Kreis der SPD fürchtet eine „Eskalation“, ebenso wie der Erhard-Eppler-Kreis, der an der Spitze geführt wird vom früheren AA-Staatsminister Gernot Erler – und dem Friedensaktivisten Ernst-Ullrich von Weizsäcker.

Ablehnend äußerte sich gleichfalls der frühere SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans. Der hatte sich in einem Mitgliedervotum über den neuen SPD-Vorsitzenden seinerzeit gegen Scholz durchgesetzt.

Im Willy Brandt Kreis ist Ralf Stegner Mitglied – und der hat zuletzt einem Talkshow-Millionenpublikum schon einmal mitgeteilt, was er von der zwischen Scholz und Biden vereinbarten Nachrüstung hält: nämlich nichts. Pikant:

Im Willy Brandt Kreis ist der engste Vertraute von Regierungschef Scholz Mitglied – sein Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Scholz' politischer Lebensweg ist, so und so, mit der Nachrüstung eng verbunden.

Scholz will US-Raketen in Deutschland stationieren

In den achtziger Jahren war Scholz dagegen, obwohl „sein“ Bundeskanzler Helmut Schmidt vehement dafür kämpfte. Als Juso beriet Scholz mit der damaligen SED-Nachwuchshoffnung Egon Krenz darüber, wie man die Stationierung amerikanischer Pershings auf deutschem Boden noch stoppen könne.

Damals stellte Scholz auch die Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato infrage. Es war ein historischer Irrtum – die damalige Nato-Nachrüstung entpuppte sich als Sargnagel für die damalige Sowjetunion und deren Herrschaft über Osteuropa – auch die DDR.

Die Zeiten sind lange vorbei, heute will Scholz die US-Raketen in Deutschland stationieren – am liebsten debattenfrei.

Es sollte entschieden sein, bevor möglicherweise Donald Trump die Macht in Washington übernimmt – so interpretiert Professor Frank Sauer von der Münchner Bundeswehr-Uni plausibel den für alle überraschenden Zeitpunkt der Raketen-Entscheidung im Rahmen des jüngsten Washingtoner Nato-Gipfels.

Experte nimmt Pistorius' Argumente auseinander

Hier nun die Einwände, die dagegen der gefragte Sicherheitsexperte Wolfgang Richter auf 17 eng beschriebenen Seiten in seinem Aufsatz für die sozialdemokratische Ebert-Stiftung formuliert, in aller Kürze:

Von einer militärischen „Fähigkeitslücke“ des Westens gegenüber Russland, wie sie Verteidigungsminister Pistorius zur Rechtfertigung der US-Raketen behauptet, könne keine Rede sein. Die Nato habe vielmehr genug see- und luftgestützte Raketen, um die Russen vor einem Angriff auf den Westen abzuschrecken.

Laut Richter bestehe durchaus ein atomares Eskalationsrisiko, denn: mit den neuen Raketen könnten russische Abschuss-Stationen für deren Atomraketen getroffen werden – was einen Präventivschlag Moskaus provoziere. Damit nicht genug:

Richter hat einen wesentlichen Unterschied zwischen der heutigen Nachrüstung und der damaligen vor 40 Jahren ausgemacht. Damals setzte Helmut Schmidt durch, dass nicht Deutschland allein US-Raketen stationierte, sondern auch andere Nato-Partner.

Die aktuelle Nachrüstung mit US-Raketen betreffe dagegen nur Deutschland. Das sei jene „Singularisierung“ Deutschlands, die Helmut Schmidt verhindert habe. Genau das ist auch dem Willy-Brandt-Kreis negativ aufgefallen.

Richter sieht Lage auf Kuba-Szenario zulaufen

Unklar seien auch die Befehlswege – wer entscheidet über den Einsatz der US-Raketen? Deutschland binde sich an die USA, praktisch ein bedeutender Souveränitätsverzicht.

Auf Seite 12 seiner Ausarbeitung schreibt der Oberst a.D., es laufe auf ein Szenario zu wie bei der Kuba-Krise, als die Welt in den sechziger Jahren vor einem „Atomkrieg“ stand.

Gegen alle diese Argumente gibt es gute Gegenargumente, vor allem die Hochrüstung der Russen mit Raketen in Kaliningrad, mit denen sie so schnell wie tödlich Ziele in Europas Westen treffen können. Nur müsste über eine derart weitreichende Entscheidung eben auch breit diskutiert werden können. Das verlangt auch Richter, und zwar so:

„Die Verschärfung der Konfrontation in Europa und die Erhöhung des atomaren Risikos Deutschlands verlangen eine breite und inklusive nationale Diskussion.“

SPD erklärt sich zu Diskussion bereit

Dazu erklärt sich die SPD in ihrem Beschluss tatsächlich bereit. Allerdings soll dies ohne Kontroverse abgehen.

Was wiederum ein Ding der Unmöglichkeit ist, aber den Geist der ganzen Veranstaltung zeigt. Scholz wie seine Entscheidung, für die er einen Bundestagsbeschluss nicht braucht, an der Öffentlichkeit vorbei durchdrücken. Getarnt als bloßer Verwaltungsakt, wie die linke „taz“ urteilt.

Der Kanzler glaubt eben, dass es so richtig ist.