Analyse von Ulrich Reitz - Mit einem einzigen Satz sichert sich Scholz die Kanzlerkandidatur
Dies sei der Moment, in dem man „doch zügiger zu einem Frieden kommt“. Was der Kanzler damit meint, wie Putin darüber denkt und was das mit Sahra Wagenknecht zu tun hat.
Diese Woche bringt die Ampelregierung ihren Haushalt für das letzte Jahr ihrer (ersten?) Amtszeit in den Bundestag ein. Vier Milliarden sind dort für die Ukraine vorgesehen – nach sieben Milliarden in diesem Jahr.
Der Bundeskanzler selbst hat die Hilfe für das von Russland angegriffene Land abgeschmolzen – und Berlin tröstet Kiew mit der Aussicht auf einen 50-Milliarden-Kredit, gestützt aus beschlagnahmtem, russischen Geld.
Doch diese Aussicht ist vage, den Kredit gibt es noch nicht. Es handelt sich um eine Idee. Weniger deutsches Steuergeld für die Ukraine auszugeben, ist indes schon die neue Wirklichkeit. „As long as it takes“ – Hilfe so lange und so viel wie nötig, ist aus Unionssicht spätestens jetzt gescheitert. Damit nicht genug:
Olaf Scholz hat, nachdem er lange die Befürworter von Friedensverhandlungen als naive Russlandfreunde in den Senkel stellte, nun angefangen über ein Kriegsende zu reden.
Was meint Scholz?
Das kommt „out oft he blue“, was der Kanzler damit meinen könnte, ist Sache von Mutmaßungen. Will er, kurz vor den Wahlen in Brandenburg, den Wählern dort noch einmal den „Friedenskanzler“ vorspielen? Zunächst der Kanzler im Wortlaut:
„Ich glaube, dass ist jedoch der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie man aus der Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommt, als das gegenwärtig den Eindruck macht.“ Was meint Scholz damit, mit diesem „doch zügiger“?
Wladimir Putin hat über seinen Sprecher Peskow den deutschen Kanzler gleich einmal abperlen lassen: „Was eine friedliche Beilegung des Konflikts in der Ukraine betrifft, zeichnen sich bislang keine greifbaren Konturen ab.“ Womit er sagte:
Putin setzt auf Sieg, hält an der vollständigen Eroberung der Ukraine fest. Und: Solange wir hier in Moskau nichts von den Amerikanern hören, sondern nur von den anderen, die deren Vasallen sind, gibt es auch keinen Grund, sich zu bewegen.
Nicht nur CDU, „auch Ampel steht unter Druck“
Vasallen hat er nicht gesagt, der Peskow. Das war Sahra Wagenknecht, die seit ein paar Tagen von Grünen-Chefin Ricarda Lang beharrlich als „Putins Sprecherin“ verunglimpft wird. Das schreibe ich hier auf, weil es zwischen der außen- und der innenpolitischen Lage kommunizierende Röhren gibt, das eine sich ohne das andere kaum noch richtig einordnen lässt.
Diesen Zusammenhang stellt nicht nur die Opposition in Deutschland her, sondern jemand, an den sich viele Deutsche noch gut erinnern – weil er ihnen jahrelang auf den Wecker fiel.
Andrij Melnyk ist inzwischen nicht mehr Botschafter der Ukraine in Deutschland, sondern in Brasilien, und von dort aus erzählte er der „Berliner Zeitung“:
„Wegen der Erfolge von Sahra Wagenknecht und der Forderungen des BSW, auch auf Länderebene diplomatische Lösungen zu forcieren, steht nicht nur die CDU unter Druck, sondern auch die Ampel-Regierung. Bis zur Bundestagswahl wird dieser Druck noch steigen. Und da könnte Bundeskanzler Scholz aus innenpolitischen Gründen zur Erkenntnis gelangen, kluge Diplomatie sollte jetzt eingeleitet werden.“
Zwei Ostwahlen - Ampel schneidet desaströs ab
Das ist sauber und kenntnisreich analysiert, der Druck auf Scholz ist gerade groß wie nie in seiner Amtszeit, denn: Seine Zustimmungs-Werte sind übel, null Prozent der Deutschen wollen noch einmal seine Regierung haben, und selbst unter den SPD-Wählern sind mehr als die Hälfte enttäuscht von ihm und liebäugeln mit seiner Ablösung. Scholz weiß das, darum:
Hat er – was noch kein Bundeskanzler in der bundesrepublikanischen Geschichte vor ihm getan hat, erklärt, auch Boris Pistorius sei für ihn, Scholz, als Kanzlerkandidat. Es war ein Moment, an dem bei Scholz dann doch kurz die Angst sichtbar wurde.
Normalerweise sorgt man als Kanzler dafür, dass der „eigene“ Minister so etwas über einen sagt. Den aber für die eigene Arrondierung gegenüber einem dritten (der Öffentlichkeit) in Anspruch zu nehmen, entlarvt die Selbsterzählung vom souveränen Kanzler, der, klüger als alle anderen, alles richtig macht, als bloße Schutzbehauptung. Scholz hat tatsächlich allen Grund, für sich in den eigenen Reihen zu werben.
Bei zwei Ost-Wahlen haben die Parteien der Ampelkoalition desaströs abgeschnitten. Scholz hat es überlebt. Nun aber wird in nicht einmal zwei Wochen in Brandenburg gewählt, der Herzkammer der Sozialdemokratie in Ostdeutschland. Floppt hier die SPD, dürfte eine offene Kanzler-Diskussion in der SPD nicht mehr zu verhindern sein.
Scholz sendet unterschiedliche Signale
Und auch hier gilt: Die Ukraine ist – neben der Migration – das zweite Schlüsselthema. Nancy Faeser macht darum gerade die Grenzen dicht, Scholz redet vom Frieden – es ist der thematische Doppelschlag als Reaktion auf AfD plus BSW, die in ihrem Aufschwung im Moment kaum zu bändigen scheinen – nicht einmal in Brandenburg.
Lässt also Scholz die Ukraine über die Klinge springen, um die an ihm zweifelnden „Friedensfreunde“ in den eigenen Reihen ruhig zu stellen? Das unterstellt ihm Roderich Kiesewetter, der Ukraine-Unterstützer von der CDU, der in dieser Hinsicht unerbittlicher argumentiert, als seinem Parteichef Friedrich Merz lieb ist.
Kiesewetter muss sich niemandem beugen, er wurde in seinem Wahlkreis stets direkt vom Volk gewählt. Zurück zum Kanzler: Scholz sendet unterschiedliche Signale, je nachdem, wen er gerade beeindrucken will.
Am vergangenen Freitag traf der deutsche Kanzler in Ramstein Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der sagt hinterher, man müsse – auch mit deutschen Waffenlieferungen – Putin zum Frieden „zwingen“. Zuvor hatte Pistorius angekündigt, der Ukraine würden noch einmal zwölf Panzerhaubitzen geliefert.
Scholz laviert, auch innerhalb der SPD
Zwei Tage nach seinem Treffen mit Selenskyj wurde Scholz im Fernsehen gefragt, ob er dem ukrainischen Präsidenten traue. Der Bundeskanzler vermied darauf jede Festlegung – womit er klar zu verstehen gab, dass er zwar „vertrauliche Gespräche“ mit dem Staatschef der Ukraine führt, es aber für ein simples „ja, ich vertraue ihm“ nicht reicht.
Darf man an dieser Stelle daran erinnern, dass Olaf Scholz es bislang strikt vermied, Putin, anders als es Joe Biden tut, einen „Kriegsverbrecher“ zu nennen?
Michael Roth, der Kiesewetter der SPD, durchkreuzte sachlich und kühl die Friedenskommunikation „seines“ Kanzlers: „Putin hat derzeit keinerlei Interesse, etwas zu verhandeln, was er auch gewaltsam kriegen kann“. Putin spüre die Ermüdung des Westens – „und riecht unseren Angstschweiß“. Auch den des Kanzlers?
Scholz laviert, auch innerhalb der SPD. Die Sozialdemokraten sind zwar immer kleiner geworden, dafür gibt es sie aber inzwischen gleich drei Mal:
Als bedingungslose Ukraine-Unterstützer, das ist die klare Minderheit. Als Russland-Versteher – wofür Fraktionschef Rolf Mützenich und der Gesichtsgriesgram Ralf Stegner stehen – sowie als Kanzler, pendelnd zwischen hier und dort.
Scholz fummelt sich so durch
Roth sagt, was Scholz tun müsste, wäre er tatsächlich bedingungslos an der Seite der Ukraine. Erstens: Waffen liefern, mit denen sich Ziele tief in Russland treffen ließen.
Zweitens: Die „Business-as-usual“-Politik gegenüber China beenden. Drittens: Iran als wichtigen Waffenlieferanten Russlands „komplett isolieren“. Nichts davon macht Scholz.
Scholz fummelt sich so durch. Dieses „Muddling through“ ist ein beliebtes Taktik-Instrument für Politiker, die es auch nicht so genau wissen, oder schwächer sind als ihr Ego erlaubt und deshalb erst einmal Zeit gewinnen wollen.
Und sich dann aber sicherheitshalber von den eigenen Ministern (Pistorius) den Segen für die nächste Kanzlerkandidatur geben oder gleich zum erfolgreichsten Kanzler aller Zeiten (Lauterbach) ausrufen lassen.