Analyse von Ulrich Reitz - Scholz' Raketen-SPD macht Wagenknecht ein unfassbares Geschenk
Die SPD-Führung winkt die Raketen-Nachrüstung durch. Ein Erfolg für Kanzler Olaf Scholz, der die US-Entscheidung im Alleingang absegnete. Es ist aber auch ein Geschenk für eine starke Wahlkämpferin.
Die SPD segnet die Aufstellung von amerikanischen Mittelstreckenraketen ab. Die Parteiführung folgt mit einem entsprechenden Beschluss „ihrem“ Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hatte – ohne parteiinterne oder öffentliche Debatte – eine Nachrüstung Deutschland mit den Amerikanern beschlossen. Diese Entscheidung wird tiefgreifende Folgen haben auch für die Sicherheit Deutschlands.
Das SPD-Präsidium fasste seinen Beschluss in einer digitalen Konferenz – offenbar ohne große Diskussion. Parteitaktisch folgt die Sozialdemokratie der Linie des Kanzleramts, den eigenen Regierungschef als „Friedenskanzler“ darzustellen.
Ihre Entscheidung für die amerikanischen Raketen, mit denen Ziele tief in Russland angegriffen werden können, hat die SPD-Führung erheblich moralisch aufgeladen und rhetorisch ins Kitschig-Elegische überhöht: „Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss.“
Ewiger Frieden mit Russland dank Raketen? SPD gibt ein unseriöses Versprechen ab
So heißt es in dem Beschluss. Es ist ein Versprechen, das grundsätzlich keine Regierung der Welt und seriös auch keine potentielle Regierungspartei abgeben kann. Wer kann schon in Anspruch nehmen, eine Politik zu entwerfen und zu verantworten, die für die nächsten gut 80 Jahren den äußeren Frieden Deutschlands sichert?
Offen bleibt auch, wie ein solches – ausschließlich auf amerikanische Mittelstreckenraketen gestütztes – Versprechen zu der martialischen Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius passen soll, die Bundesrepublik Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden.
Wenn die US-Raketen quasi den ewigen Frieden mit Russland herbeiführen, weshalb sollte es dann noch eine Wiedereinführung der Wehrpflicht geben, an welcher der Verteidigungsminister arbeitet?
Schon der Titel des SPD-Präsidiumsbeschlusses strahlt eine Überheblichkeit aus, die der Wirklichkeit nicht standhält. „Wir organisieren Sicherheit für Deutschland und Europa“, heißt es da. Nun: Beim Washingtoner Raketenbeschluss war die SPD definitiv nicht dabei – sie wurde nicht einmal vorher konsultiert.
Die SPD glaubt, sie organisiere die Sicherheit für Europa gleich noch mit
Und auch, dass die Sozialdemokraten nun plötzlich die Partei sein wollen, die Sicherheit gleich auch noch „für Europa“ organisiert, wird die eine oder andere nicht-sozialdemokratische Regierung, ob nun in Frankreich oder in Italien, womöglich als anmaßend empfinden.
Die SPD hat ihre ganz eigene Geschichte mit Raketen-Nachrüstungen. Kaum jemand weiß das so genau wie der amtierende Kanzler Olaf Scholz. Denn Scholz war dabei, als große Teile der SPD, angeführt vom damals saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, dem Bundeskanzler Helmut Schmidt beim Nato-Doppelbeschluss die Gefolgschaft versagten.
Scholz stand damals gegen Schmidt – und gegen die Nachrüstung der Nato mit Pershing-Mittelstreckenraketen, die eine Reaktion auf die sowjetische Stationierung von SS-20-Marschflugkörpern war. Die „Zeitenwende“, die Scholz heute propagiert, ist auch eine ganz persönliche Zeitenwende von ihm selbst.
Damals gingen Hunderttausende von Menschen gegen die US-Nachrüstung auf die Straße. Es war Anfang der 80er-Jahre eine der Geburtsstunden der Grünen. Und eine Geburtsstunde der SPD als pazifistische Partei. Die sie, ebenso wie die Grünen, heute nicht mehr sein will. Ausschlaggebend für diesen Kursschwenk ist der völkerrechtswidrige Einmarsch der Russen in die Ukraine.
Die Schuld liegt für die SPD ganz klar nur bei Russland
Nur: Diese Argumentation hat durchaus ihre Tücken. Die SPD weist die Schuld für eine Re-Militarisierung der Außenbeziehungen einseitig Russland zu und nennt dafür nicht nur den gegen die Ukraine vom Zaun gebrochenen Krieg. Wörtlich heißt es im SPD-Präsidiumsbeschluss:
„Dieser Schritt ist eine Reaktion auf den eklatanten Völkerrechtsbruch Russlands in der Ukraine und trägt der Bedrohung Europas durch die massive russische Aufrüstung der vergangenen Jahre gerade im Bereich der Raketen mittlerer Reichweite Rechnung.“
Zweifellos haben die Russen in den vergangenen Jahren aufgerüstet, etwa mit jenen nuklearfähigen Iskander- und Hyperschall-Raketen, die in Kaliningrad stationiert sind und auch auf die deutsche Hauptstadt zielen.
Ob allerdings das Ende des INF-Abrüstungs-Vertrags zwischen Moskau und Washington auf eine einseitige Aufrüstung der Russen zurückgeht, ist umstritten, auch unter Fachleuten.
Trump kündigte den INF-Vertrag
In seiner ersten Amtszeit hatte Donald Trump den INF-Vertrag gekündigt. Das war lange vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Das kann also nicht die Begründung gewesen sein, sie war es auch nicht.
Die Amerikaner argumentierten damals mit einer gewachsenen chinesischen Bedrohung durch diesen Raketentypus, dem Washington mit einer Nachrüstung begegnen wolle. Vorausgegangen war der Versuch der USA, die Chinesen zu einem Beitritt zu dem mit den Russen geschlossenen Abrüstungsvertrag zu bewegen. Peking hatte abgelehnt, die Chinesen wollten sich diese Rüstungs-Fessel nicht auferlegen.
Auch gehen die ersten Tests mit den entsprechenden amerikanischen Waffen auf eine Zeit zurück, die Jahre vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine liegt. Als Scholz, nach dem Washingtoner Nato-Gipfel, diese nur zwischen Deutschland und den USA getroffene Vereinbarung bekanntgab, versuchte er, sie zu banalisieren.
Scholz' Hinweis auf die Nationale Sicherheitsstrategie ist fadenscheinig
„Diese Entscheidung ist lange vorbereitet und für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung.“ Von dieser angeblichen Vorbereitung hat allerdings außerhalb des Kanzleramts niemand etwas mitbekommen.
Und auch Scholz' Hinweis auf die von seiner Ampelregierung beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie ist fadenscheinig. Dort steht, die Bundesregierung wolle „abstandsfähige Präzisionswaffen“ entwickeln. Von der Stationierung amerikanischer Präzisionswaffen in Deutschland steht dort rein gar nichts.
Kommt es zu deren Stationierung, ist einstweilen unklar, welche Folgen das haben kann. Tatsächlich würden zum ersten Mal seit 35 Jahren, seit dem Inkrafttreten des INF-Vertrags 1988, wieder Ziele in Russland mit landgestützten Raketen von Deutschland aus bedroht – auch Abschussrampen russischer Atomraketen. Für den Kanzler und seinen Verteidigungsminister handelt es sich um Prävention, für die Russen ist es eine Provokation.
Was für Moskau eine Provokation ist, ist für Sahra Wagenknecht ein Geschenk
Was für Moskau eine Provokation ist, ist für Sahra Wagenknecht ein Geschenk. Die BSW-Parteigründerin macht mit dem Raketenbeschluss von Scholz und nun auch der SPD offensiv Wahlkampf – und sie tut es mit Sachverstand, auch dem ihres Ehemannes Oskar Lafontaine, der die damalige Front gegen SPD-Kanzler Schmidt in der Nachrüstungsfrage anführte.
„Kein anderes europäisches Land“ stationiere solche Raketen. Anders als damals bei der Nachrüstung, deren Last nicht nur von Deutschland, sondern auch von anderen europäischen Ländern getragen wurde – auf Druck von Helmut Schmidt.
Es sei noch nicht einmal klar, „ob Deutschland mitzureden hat über den Einsatz dieser Raketen“.
Wagenknecht kann darauf bauen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung vor allem in Ostdeutschland eine Stationierung amerikanischer Anti-Russland-Raketen ablehnt. Die Umfragewerte der SPD in den drei ostdeutschen Ländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen, die in wenigen Wochen wählen, sind derzeit niedrig wie nie.