Analyse von Ulrich Reitz - Nach Terror von Solingen grassiert in der Politik floskelgestützte Hilflosigkeit
Es gibt Tage, an denen fällt besonders auf, was fehlt. Mut zum Beispiel. Der Mut auch als Spitzenpolitiker, zum Beispiel als Ministerpräsident eines Bundeslandes, in dem gerade ein furchtbarer Anschlag passiert ist.
Der Mut und auch die Souveränität zuzugeben: Dass man auch in Nordrhein-Westfalen spätestens jetzt nicht mehr einfach auf eine Massenveranstaltung gehen kann. Leider schon gar nicht auf eine, die nicht nur ein Volksfest sein will, sondern sich einer klaren politischen Agenda verschrieben hat – und sich selbst als Feierraum für Vielfalt stilisiert.
Die Furcht wächst gerade - nicht nur in Solingen
Dass die Politik – und daher auch man selbst – es nicht mehr dabei bewenden lassen kann, sich in schnulzenähnlichen Beteuerungen zu ergehen. Und dabei auch noch, genau genommen, fragwürdige Thesen aufzustellen. Hendrik Wüst von der CDU beklagt einen „Akt brutalster und sinnloser Gewalt“. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen nennen den Terror-Anschlag von Solingen mit vorläufig drei Toten „wahllos und feige“.
Was man eben so sagt, weil man es gefühlt immer so sagt, wenn etwas passiert, was nicht passieren darf. Denn, hier hat der Bundeskanzler von der Sozialdemokratie schon mal recht: „Wo Sicherheit fehlt, wächst Furcht.“ Und man kann nur sagen, so als ganz normaler Bürger und Konsument wachsender innerer Unsicherheit: Die Furcht wächst gerade. Nicht nur wegen Solingen.
Auch wegen der Hauptbahnhöfe in Deutschland, die sich längst zu Hotspots der Kriminalität entwickelt haben – Tendenz: leider steigend, zuletzt um – Achtung: Rund 40 Prozent. So sieht es auch aus mit der Messerkriminalität, dieser so hoch wirksamen Terror-Waffe des kleinen Einzel-Anschlägers. Rund 40 sind es pro Tag, rund zur Hälfte begangen von Nicht-Deutschen.
Was also, wenn dieser Anschlag sich eben nicht als „wahllos und feige“ entpuppt, sondern – aus der Sicht des oder der Täter – als überaus geplant und im Sinne der terroristischen Absicht, eine pazifistische Gesellschaft durch den nächsten Gewaltakt ins Wanken zu bringen?
Und was, wenn sich dann am Ende herausstellt, dass der oder die Täter sich nicht als „feige“ begreifen, sondern als mutig, weil sie eine klare Agenda verfolgt haben? Warum, diese Frage geht an Wüst, sollte eine Terror-Tat stets hinreichend beschrieben sein, wenn man sie „sinnlos“ nennt? Womöglich hatte sie ihren Sinn. Nicht jeder Wahnsinnstäter ist im pathologischen Sinne verrückt, manche sind auch wahnsinnig rational in ihrem Blutdurst.
Das Problem bei der inneren Sicherheit in Deutschland ist das Zuschauen
Der Täter, sagt der Bundeskanzler, müsse nun die „volle Härte des Gesetzes“ spüren. Sorry, aber: Es geht einen Regierungschef erst einmal nichts an, was die Justiz in ihrer gewaltengeteilten Freiheit mit einem Gewaltverbrecher anfängt. Kaum ein Satz offenbart die Hilflosigkeit im politischen Staatsamt so wie die Floskel von der Härte des Gesetzes.
Ist das Gesetz überhaupt hart – oder nicht inzwischen, wegen der Dominanz des Resozialisierungsgedankens, viel zu verständnisvoll und weich, jedenfalls aus der Perspektive der Opfer-Angehörigen, die ihr ganzes Leben mit so einem Messermord an ihren Liebsten klarzukommen haben? Wann hätte zuletzt nach einer Tat wie der von Solingen – die Mannheimer Morde liegen auch nur wenige Tage zurück – eine Debatte stattgefunden über die Angemessenheit des Strafmaßes bei Kapitalverbrechen?
Am 6. Juni hat Olaf Scholz in einer Regierungserklärung gesagt, die Regierung brauche bundesweit die Möglichkeit, Waffen- und Messerverbotszonen auszuweisen – vor allem an Hotspots und bei Großveranstaltungen. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen, in dem Sinn, dass schließlich auch Mord verboten ist – und Morde trotzdem geschehen.
Reichlich unwürdig ist die Beschäftigung mit der gerade noch zulässigen Klingenlänge, der sich Scholz Bundesinnenministerin Nancy Faeser hingab. Wer es, wie der Attentäter von Solingen offensichtlich, auf die Hauptschlagader seines Opfers abgesehen hat, dem reichen diese sechs Zentimeter völlig aus.
Das Problem bei der inneren Sicherheit in Deutschland ist schon seit etlichen Jahren das Zuschauen, nicht nur das automatenhafte Deklamieren von Satzbausteinen. „Ohne Sicherheit ist alles nichts“, hat der Bundeskanzler am 26. Juni in einer Regierungserklärung formuliert. Olaf Scholz hat grundsätzlich recht.
Es fehlen konkrete und auch wirksame Taten
Allerdings muss schon auf die Deklamation die konkrete politische Tat folgen. Noch einmal: Egal, was beschlossen wurde bisher – es hat nicht gereicht. In Deutschland wächst die Unsicherheit. Und ein großer Treiber dafür ist die unkontrollierte Einwanderung.
Nicht nur schreckliche Taten sorgen für die Ausbreitung von Unsicherheitsgefühl. Sondern auch die Vorspiegelung politischer Entschlossenheit, die nicht in konkrete und auch wirksame Taten mündet. Und sich leider auch allzu oft hinter der These des „Einzelfalls“ versteckt, um nicht über die doch offenliegende Systematik diskutieren zu müssen.
Zu den schlechten Angewohnheiten auch der kriminologischen Debatte gehört, reflexhaft die Schublade sozialer Benachteiligung, zunehmender Armut und wachsender Ungleichheit aufzuziehen. Wäre es nicht so zynisch, dann müsste man sagen:
Dabei handelt es sich sogar um eine Entmündigung der Täter, denen nicht mehr die selbstgewählte planvolle Tat angelastet, sondern ein unangemessener Märtyrerstatus zugebilligt wird. Wenn ein jeder bloß noch „Opfer der Verhältnisse“ sein soll, hat niemand mehr Schuld an nichts.