Analyse von Ulrich Reitz - Bei der Ukraine spielt Scholz den „Mr. Wichtig“ – doch der sitzt anderswo

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Regierungsbefragung.<span class="copyright">IMAGO/dts Nachrichtenagentur</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Regierungsbefragung.IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Waffenstillstand, Verhandlungen, Friedenstruppen – darum dreht sich die Ukraine-Debatte in Deutschland. Der Kanzler und Wagenknecht haben eins gemeinsam: Sie erwecken den Eindruck, Deutschland könnte noch irgendetwas bewegen. Dabei sorgt für Bewegung längst jemand ganz anderes.

Es sei „höchste Zeit“, schreiben Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, „dass sich die deutsche Politik mit Nachdruck für eine Deeskalation und einen sofortigen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen einsetzt“.

Olaf Scholz sagt im Bundestag bei einem seiner vorläufig letzten Auftritte noch einmal laut Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, denn: Jetzt gehe es darum, gemeinsam mit der Ukraine „Konzepte“ zu entwickeln, „wie dieser Krieg enden kann“.

Dann sagt der Kanzler auch noch, es sei jetzt Zeit dafür zu sorgen, dass nichts geschehe ohne die Ukraine selbst, ohne, Wolodymyr Selenskyj mit dem der deutsche Regierungschef zuletzt zweieinhalb Stunden in Kiew zusammensaß.

Für die Verhandlungs- und Friedensappelle ist es längst zu spät

Für die Wagenknecht-Partei sind alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien nur noch: „kriegsbesoffen“. So nennt es Wagenknecht-Gefährtin Sevim Dagdelen. Die sich und ihre Partei damit aus jedem ernst zu nehmenden Diskurs verabschiedet.

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Und für die Verhandlungs- und Friedensappelle ist es längst zu spät, ebenso für die Idee des Kanzlers, mit Selenskyj noch Konzepte entwickeln zu können für einen Frieden für die Ukraine. Die Debatte ist längst weiter, und das hat nur einen einzigen Grund.

Die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten war der Tag, der alles veränderte. Der Tag der Entscheidung, oder auf Englisch: der Decision-, der D-Day. An diesem Tag ist alles, was die alliierte Kriegskoalition zur Hilfe der Ukraine veranstaltete, von gestern.

Während Scholz in Deutschland noch wie ein „Mr. Wichtig“ den Eindruck erweckt, er habe etwas mit zu entscheiden, sitzt das Entscheidungszentrum mit dem entscheidenden Mann längst anderswo: in Washington.

Was heute schon ist, dementiert schon einmal die vom deutschen Regierungschef transportierte Annahme, man könne mit Selenskyj gemeinsam noch Friedenskonzepte entwickeln. Selenskyj selbst hat in Interviews schon antizipiert, was nun wohl von ihm erwartet wird: Land für Frieden, der Donbas gegen einen Waffenstillstand, der dann gegen die Russen geschützt werden müsste.

Die Ukraine muss verhandeln, sonst bekommt sie keine US-Waffen mehr

Es ist exakt jene Idee, die Donald Trump zu Beginn des US-Wahlkampfs schon ventilierte, und die inzwischen sein Ukraine-Beauftragter Kellogg präzisiert hat: Die Ukraine muss verhandeln, sonst bekommt sie keine US-Waffen mehr. Und Russland muss verhandeln, sonst werden die Amerikaner die Ukrainer aufrüsten wie noch nie. Selenskyj hat für sich schon einmal erklärt, zu Verhandlungen bereit zu sein – er weiß längst, dass ihm keine Alternative bleibt.

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Denn noch eines weiß er: Er selbst darf nicht der böse Bube sein. „Mister Njet“, das muss Wladimir Putin sein. Das ist Selenskyjs einzige Chance auf Unterstützung auch nach dem Regierungswechsel durch die neue US-Administration. Die Neinsager-Rolle, auf die bereitet sich Putin in der Tat vor.

Wie sagt es Scholz über sein Telefonat mit Putin: Der habe nicht gezeigt, „dass er irgendwas in Richtung Frieden tun will“. Womit eine unheilschwangere Frage aufgeworfen ist: Was, wenn es dabeibleibt? Was, wenn Putin auch nicht auf diesen Deal eingehen wird, den ihm Trump offenkundig vorschlagen wird?

Wagenknecht und Schwarzer machen ihre Rechnung stets ohne Moskau

Das ist auch der Umstand, der ein schales Licht auf Friedensappelle à la Schwarzer/Wagenknecht wirft: Sie klingen wohlfeil, machen aber stets ihre Rechnung ohne den Aggressor aus Moskau. Der hat seine Kriegsziele bis dato aber auch nicht um ein Jota geändert: Die Ukraine auslöschen, das bleibt sein Ziel. Europa destabilisieren, letztlich die Amerikaner vom alten Kontinent herausdrängen: Ami, go home.

Man kann mit Putin reden, man sollte es auch, man sollte sich aber keine Illusionen machen: Der Oberrusse wähnt sich auf der Siegerstraße – und weshalb sollte er nun anders abbiegen?

Baerbocks Idee von der Entsendung deutscher Truppen in die Ukraine

Und so mutet auch die Debatte um die Entsendung deutscher Truppen in die Ukraine seltsam an. Die sollen eine Friedensmission absichern – so ließ sich Annalena Baerbock ein, als sie mit anderen westlichen Außenministern beisammensaß.

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Nur: Friedensmission von wem? Nur europäische Soldaten, dann wohl ein großes Kontingent aus Deutschland? Was, folgt man Militärexperten wie Carlo Masala, gar nicht geht, weil Deutschland so etwas gar nicht kann, denn: Zur Not muss man dann in der Lage sein, die Russen militärisch zurückzuschlagen. Aber womit?

Muss man nicht jetzt alles tun, um die Amerikaner auch mit der neuen Regierung bei der Stange zu halten, bevor man über europäische, deutsche Truppen auch nur nachdenkt – und das auch noch laut?

Auch der Kanzler zeigt sich im Bundestag leicht überfordert: „In der jetzigen Situation“ kämen deutsche Soldaten für eine internationale Friedensmission nicht in Frage. Das allerdings ist eine Nicht-Aussage, denn: Um die „jetzige Situation“ geht es auch gar nicht. Sondern um die Situation, die mit einem Waffenstillstand eintritt. Den es nicht gibt.

Die Einzigen, die an dieser Stelle klar an der Seite der Ukraine stehen, sind die Grünen

Ebenso müßig erscheint die Debatte um eine Nato-Mitgliedschaft des westlichen Teils der Ukraine, falls es denn zu einer Teilung des Landes entlang der russischen Eroberungslinie kommen sollte. Auch hier ist alles spekulativ: Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ist hoch umstritten im Westen. Olaf Scholz hat eine entsprechende Frage im Bundestag nicht beantwortet. Dafür hat er Gründe: Er gehört zu den Bremsern. Und damit ist er nicht alleine.

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Große und grundsätzliche Vorbehalte gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine gibt es auch in der Führung der Unionsparteien, wie wir hören. Ob es wirklich sinnvoll sei, sich noch einmal 2000 neue Grenzkilometer zu Russland in das westliche Verteidigungsbündnis zu holen, wird dort gefragt.

Die Einzigen, die an dieser Stelle eindeutig und klar an der Seite der Ukraine stehen, sind die Grünen – und, mit Abstrichen, die FDP. Diese beiden würden auch Taurus-Mittelstreckenraketen an die Ukraine liefern, der Kanzler lehnt das kategorisch ab. Und er lässt sich auch nicht von dem Einwand etwa des liberalen Verteidigungspolitikers Faber beeindrucken, Franzosen und Briten lieferten doch auch vergleichbare Waffen, ohne Kriegspartei geworden zu sein.

Ein stichhaltiges Argument, zumal Militärexperten die Darstellung von Scholz, für die Zielsteuerung der Taurus-Raketen brauche es deutsche Soldaten, für vorgeschoben halten.

Der Kanzler als Kämpfer, darauf mussten die Genossen lange warten

Der Kanzler will jedenfalls nicht einmal mit der Ausbildung an diesen Waffen beginnen, die rund vier Monate dauert. Der Kanzler solle doch seinem Nachfolger keine Optionen verbauen, hatte Faber argumentiert – durchaus ein Giftpfeil, ein Stück Rache wegen des Lindner-Rauswurfs aus der Ampel.

Scholz zahlte heim mit gleicher Münze: Für eine Partei, die mit der Fünf-Prozent-Hürde ringe, „sind Sie ganz schön tapfer“. Im Übrigen habe er vor, sein eigener Nachfolger zu werden – „damit Sie sich darauf schon mal einstellen“.

Souverän wirkt es nicht, als Kanzler die eigene Wiederwahl zu thematisieren. Aber die eigenen Genossen versetzt derlei erkennbar in eine vorweihnachtliche Stimmung. Der Kanzler als Kämpfer, darauf mussten sie lange warten.

Scholz setzt den Ton in den Debatten, nicht Habeck und auch nicht Merz

Überhaupt kann man sagen: Scholz trat selbstgewiss auf wie immer, völlig ohne Zweifel an sich selbst, die eigene Herrlichkeit konnte er streckenweise nur mühsam beherrschen. Er hatte seine Themen im Griff.

Kein einziges Mal konnte er aus dem Konzept oder aus der Ruhe gebracht werden. Weder von der Union noch von den Grünen, die zunehmend auf Distanz zu ihm gehen. Und er setzt bislang den Ton in den Debatten, nicht Robert Habeck und auch nicht Friedrich Merz.

Kurzum: Im Sprint um die nächste Kanzlerschaft ist Scholz erkennbar als Erster aus dem Startblock gekommen.