Eine Analyse von Ulrich Reitz - Sein Wahl-Zeitplan ist unseriös – jetzt plagen Scholz Zweifel an eigener Sturheit

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Deutschland hat eine Regierung, sagen der Bundeskanzler, seine SPD und die Grünen. Das stimmt. Aber eine, die nichts mehr zu regieren hat. Kann man, soll man das verantworten? Scholz plagen die ersten Zweifel an seiner eigenen Sturheit.

Und plötzlich ist der Unterschied zwischen „legal“ und „legitim“ zur entscheidenden Frage geworden. Und zwar so: Ja, die von Bundeskanzler Olaf Scholz angeführte Bundesregierung ist legal.

Ja, eine Regierung, die im Bundestag keine „eigene“ Mehrheit mehr hat, um ihre Gesetzentwürfe zu Gesetzen machen zu lassen, ist legal. Ja, der Bundeskanzler hat als einziger das Recht, über die Vertrauensfrage zu bestimmen – es heißt „Initiativrecht“.

Ja, der Bundeskanzler kann versuchen, sich Mehrheiten von Fall zu Fall zu suchen, von Thema zu Thema – für Ukraine-Hilfen könnten das auch andere seine als für eine Rentenreform. Das alles ist legal.

Scholz gerät deutlich ins Wanken

Aber ist es auch legitim? Die Mehrheit der Wähler sagt dazu klar: Nein. Weit mehr als die Hälfte von ihnen hat diese Bundesregierung abgehakt, wünscht sich nicht nur Neuwahlen, sondern: schnellstmögliche Neuwahlen.

Nicht einmal die Lesart von Scholz, man habe eine Regierung und sei handlungsfähig und nun sei die Union in der „Pflicht“ – verfängt noch bei den eigenen Sympathisanten.

Und mehr als das: Nicht nur die Mehrheit der Bürger will Scholz, dem Bundeskanzler, nicht länger folgen. Das gilt auch für eine Mehrheit im Parlament. Kurz: Um den Kanzler herum wird es enger und einsamer. Und irgendwann wird sich auch die SPD fragen, wann es für sie selbst kippt: Wann fängt der Kanzler an, der Partei mehr zu schaden als er ihr nutzt?

Oder ist es schon so weit? Scholz selbst jedenfalls gerät deutlich ins Wanken. Nachdem er und seine SPD apodiktisch auf einen Termin im Januar für die Vertrauensfrage beharrten, wechselt der Kanzler seine Argumentation – und kehrt sie ins Gegenteil.

Plötzlich will er das nicht mehr allein entscheiden können. „Am besten macht man das zusammen“, sagte er am Rand eines Euro-Gipfels in Budapest.

Merz will Vertrauensfrage in der kommenden Woche

Im Bundestag gibt es inzwischen eine neue Koalition, eine große Koalition der ganz anderen Art, für schnelle Neuwahlen und deshalb für eine sofortige Vertrauensfrage.

Friedrich Merz verlangt sie für den Mittwoch der kommenden Woche – dann gibt Scholz eine Regierungserklärung ab. Union, die hinausgeworfene FDP, die AfD und das BSW verlangen Neuwahlen. Und die Grünen? 

Im Bundestag trugen sie an diesem Freitag noch die Linie des Kanzlers mit – mit zum Teil bemerkenswert legalistischer Argumentation kümmerten sie sich nicht um die Frage der Legitimität.

Geschäftsführerin Irene Mihalic sagte, die Forderung nach möglichst schnellen Neuwahlen sei doch ein „permanentes Misstrauensvotum“, und das wiederum, greife „die Demokratie“ an. Die Grünen „akzeptieren das Votum der Wähler“. Auch dies ist legalistisch, mit Willy Brandt „Formelkram“. Legal, aber sicher nicht legitim.

Denn die Wähler haben ganz sicher keine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen gewählt, sie haben genau genommen nicht einmal eine Ampelkoalition gewählt, denn beides stand nicht auf dem Wahlzettel.

Scholz hat ein taktisches Verhältnis zu Institutionen

Ausgerechnet die Grünen, die jahrelang nicht oft und laut genug über Basisdemokratie und Wähler-Respekt reden konnten, biegen den Bestand der Rumpf-Koalition ohne eigene Macht um zum Willen der Wähler. Mihalic sagte, die AfD habe bekanntermaßen ein „taktisches Verhältnis zu den Institutionen“. Das ist mindestens mutig.

Im Moment haben vor allem der Kanzler, die ihn tragende SPD und die Grünen ein taktisches Verhältnis zu den Institutionen. Die Grünen begründen ihre staatspolitische Ansicht mit ihrer Klimapolitik, was verräterisch ist und der „Argumentation“ der „Letzten Generation“ entspricht, wonach man den Verkehr lahmlegen darf – muss – um die Welt vor dem Klimakollaps zu retten.

Mihalic reklamierte für die Grünen, Deutschland „grundlegend verändert“ zu haben. Manches von dem, was die Ampel veranstaltet habe, sei sogar „historisch“ – wie der „Einstieg in das dekarbonisierte Zeitalter“. Das alles klingt so, als wüssten die Grünen, dass sie noch möglichst lange an den Schalthebeln sitzen müssen, um zu retten, was zu retten ist.

Merz hofft, dass man Windräder wieder „abreißen“ kann

Denn die nächste Regierung dürfte den Klima-Rigorismus der Ampel, der sich vor allem mit Gesetzen aus dem Haus des nunmehr grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck verbindet, beenden.

Bei einem bemerkenswerten Auftritt gemeinsam mit Sigmar Gabriel sagte Friedrich Merz, er hoffe, dass man eines Tages die vielen Windräder in Deutschland auch wieder „abreißen“ können, denn: „Die sind hässlich“. Und: Es handle sich um eine „Übergangstechnologie“.

So wie die Grünen beim Klima argumentieren, um möglichst lange regieren zu können, so macht das die SPD beim Sozialstaat. Die SPD will – ohne eigene Mehrheit – noch ihre Rentenreform umsetzen. Eine Pflegereform, eine Krankenhausreform, eine Kindergelderhöhung, ein neues 49-Euro-Ticket…

Versucht scheiterte an der Sturheit von Esken

Mit anderen Worten: Weder SPD noch Grüne haben verinnerlicht, dass sie keine Macht mehr haben. Dass sie zwar noch legal sein mögen, aber schon längst nicht mehr legitim.

Ein Eindruck, der durch einen bemerkenswerten Auftritt der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken bei Markus Lanz noch einmal verstärkt wurde. Eine halbe Stunde versuchten die beiden Top-Journalisten Antje Höning und Michael Bröcker anhand von konkreten Beispiel, Daten, Zahlen und Fakten, der Parteifrontfrau klar zu machen, was sie alles NICHT mehr durchsetzen kann.

Der Versuch scheiterte an der selbst verordneten Sturheit von Esken. Dass Lanz fassungslos war, kann einem egal sein, für derlei wird er bezahlt, aber: Seinen Zuschauern dürfte es kaum anders gegangen sein. Ob Scholz am Ende mit seiner Sündenbock-Version durchdringt, ist offen.

SPD-Bundeskanzler wird unter Feuer bleiben

Torsten Freis erste Feststellung im Bundestag galt Scholz persönlich: „Unwürdiger geht es für einen Bundeskanzler nicht.“ Gemeint waren die unflätigen Beschimpfungen Lindners, mit dem Scholz drei Jahre zusammengearbeitet hat, und die sicher nicht dem Stilempfinden der Mehrheit der Bürger gerecht werden.

So wie Scholz verhält man sich einfach nicht, wenn man das operativ wichtigste Staatsamt bekleidet, in dem man eine Vorbildfunktion hat. Es passt auch nicht zum wichtigsten Wort des Bundeskanzlers: „Respekt“.

Der SPD-Bundeskanzler wird unter Feuer bleiben, weil er offenkundig auf seinen letzten Metern nicht staatsmännisch, sondern parteipolitisch agiert. Bislang verfängt auch sein Anspruch nicht, noch viele soziale Wohltaten verabschieden zu wollen – und darauf sozusagen einen Anspruch zu haben.

Mit Deutschlands Wohl hat derlei nichts zu tun

Und dann ist auch noch so manches Argument von ihm hart an der Grenze zur Comedy: Zu Friedrich Merz sagte Scholz, die Menschen wollten, dass es über Weihnachten und Neujahr „geruhsam“ zu gehe. Im Bundestag verbreitete der wichtigste SPD-Redner, Dirk Wiese, noch diese Version: „Niemand möchte, dass an Weihnachten und Silvester ein Wahlkämpfer an der Türk klingelt.“

Mit Deutschlands Wohl in schwieriger Zeit hat derlei nichts zu tun. Es wirkt angesichts eine so gruseligen wie realistischen Szenarios seltsam unernst. Putins Soldateska rückt in der Ukraine vor, Donald Trump wird am 20. Januar vereidigt.

Und Deutschland will sich allen Ernstes bis Ende Mai, Anfang Juni – für den Fall, das es gut läuft – Zeit nehmen, bis eine neue Regierung anfangen kann? Bis dahin soll ein Kanzler regieren, dessen Richtlinienkompetenz hohl geworden ist?

Sicher: Das wäre legal. Legitim ist es nicht.