Angeblicher Betrug an Ost-Wählern - AfD tobt, weil sie nicht an die Macht kommt – Experte findet das „zutiefst demokratisch“
In Thüringen wurde die AfD mit fast 33 Prozent unangefochten stärkste Kraft. Die Rechtsaußen-Partei leitet daraus „einen klaren Regierungsauftrag“ ab. Der Demokratieforscher Wolfgang Schroeder widerspricht vehement. Er beklagt eine „Tyrannei der Minderheit“.
32,8 Prozent für die AfD. Schon lange, bevor das endgültige Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen am 1. September feststand, beanspruchten die Granden der Rechtsaußen-Partei einen Platz an den Hebeln der Macht.
AfD-Co-Chef Tino Chrupalla etwa jubelte: „Wir haben in Thüringen einen klaren Vorsprung von über zehn Prozent, also auch einen klaren Regierungsauftrag.“ Das, so der aus Sachsen stammende Politiker schneidig, „ist im Übrigen Demokratie.“
Und Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke redete sich bereits ins Amt des Ministerpräsidenten: „Wir sind die Volkspartei Nummer Eins in Thüringen." Veränderungen werde es „nur mit der AfD geben“, befand der Ex-Geschichtslehrer.
Sieger in Thüringen, Zweiter in Sachsen - dennoch außen vor
Doch weder in Thüringen noch in Sachsen, wo die AfD mit 30,6 Prozent knapp hinter der CDU zweitstärkste Kraft wurde, kommen die Alternativen wohl zum Zuge. Keine der anderen Parteien will mit ihr zusammenarbeiten. Die AfD bleibt außen vor.
Genau das erhitzt die Gemüter nicht nur in den beiden Ost-Ländern. Deutschlandweit diskutieren Bürger und Experten die Frage: Wird ein Drittel der Wähler ignoriert, wenn sich die anderen Parteien gegen die AfD „verbünden“ und ihr somit den Zugang zur Regierungsverantwortung verbauen?
In den sozialen Netzwerken fällt die Antwort ziemlich eindeutig aus: Ja! Dabei ziehen die User einen Vergleich zum Sport:
„Stell Dir vor, Du führst nach Punkten eine Meisterschaft an. Den Pokal und Titel bekommst Du allerdings nicht, da die Zweit- bis Fünftplatzierten ihre Punkte zusammenzählen und den Titel für sich reklamieren…“
Die Internetnutzer sprechen von „Betrug“ – und haben damit absolut recht. Eine solche Praxis verstieße gegen die Regeln der sportlichen Fairness und des Leistungsgedankens. Aber wie verhält es sich in der Politik?
Im Sport wäre es „Betrug“ - in der Politik nicht, so ein Experte
Fakt ist: Die AfD ist nicht die erste Partei, die bei einer Wahl die meisten Stimmen auf sich vereint hat, aber dennoch in der Opposition landet.
Wolfgang Schroeder vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung in Berlin stellte gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) jetzt klar: „Das ist in keiner Weise undemokratisch, sondern es ist zutiefst demokratisch.“
Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass sich die Akteure „einander anerkennen und sich positiv aufeinander beziehen, um durch Beteiligung und Kompromissfähigkeit zu einer gemeinsamen Gestaltungsfähigkeit zu kommen“, so der Professor. „Und dafür braucht man Partner.“
Wenn man aber – wie die AfD – in der eigenen programmatischen und personellen Aufstellung „so unverträglich ist, dass sich keine Partner finden, dann kann man auch 48 Prozent haben und wird nicht zum Zuge kommen“.
Schroeder erklärte, dass die AfD Koalitionspartner finden müsse, um mehrheitsfähig zu sein. „Und solange sie die nicht findet, ist sie Teil der Opposition und damit auch Teil des wettbewerblichen Systems, das diese Demokratie prägt.“
Eine „Benachteiligung“ der AfD durch die Wettbewerber sieht der Experte ausdrücklich nicht. Es sei „das gute Recht“ der anderen Parteien, die AfD als „nicht kompatibel für die weitere Gestaltung des Gemeinwesens anzusehen und infolgedessen eine Politik der Brandmauer zu praktizieren“.
Wolfgang Schroeder beklagt „Tyrannei der Minderheit“
Auf die Frage des MDR, welche Auswirkungen das auf die AfD-Wähler und deren Ansichten zur Demokratie haben wird, antwortete Schroeder:
„Die müssen sich fragen, ob sie auf der Höhe der Zeit sind, was ihr Demokratieverständnis betrifft.“
Demokratie bedeute eben nicht „Ich will“, sondern Demokratie heiße auch, den Willen der Anderen zu berücksichtigen. Schroeder: „Wenn man diese wechselseitige Perspektive außer Acht lässt, dann hat das sehr wenig mit Demokratie zu tun, sondern man könnte fast von der Tyrannei der Minderheit sprechen.“
Der Experte verwies darauf, dass die AfD und deren Wähler trotz der Wahlerfolge „eine Minderheit sind“ – aber „für sich in Anspruch nehmen, dass sie die Mehrheit dominieren können“. Diese Entwicklung sei „nicht gut für diese Gesellschaft“.