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Angst vor Ausfällen geht um: So heikel sind die neuen DTM-Turbo-Motoren

Nicht nur der Aston Martin kam beim ITR-Test am Haken an die Box zurück

Der finale ITR-Test zwei Wochen vor dem DTM-Saisonauftakt hat es gezeigt: Die Zuverlässigkeit ist in der neuen Turbo-Ära nach wie vor bei allen Herstellern ein Grund zur Sorge. Immer wieder kam es vor, dass Autos wegen eines Problems für einen ganzen Tag ausfielen und die Hersteller so um wertvolle Testkilometer brachten.

Dabei müssen die neuen Zwei-Liter-Vierzylinder-Turbomotoren ab Hockenheim die ganze Saison, also rund 6.000 Testkilometer, halten. "Ich glaube, dass dieses Jahr etwas passieren wird, was wir lange nicht mehr in der DTM gesehen haben - und zwar, dass Fahrer mit technischen Problemen ausfallen werden", prophezeit BMW-Motorsportdirektor Jens Marquardt im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

"Die DTM hat sich auf der Strecke mit engen Rennen und Lackaustausch ausgezeichnet, aber technische Probleme haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Mit den ganzen neuen Systemen wird das in dem ein oder anderen Rennen aber wieder auftreten."

Auch Audi geht von Motorschäden aus

Mit dieser Befürchtung ist Marquardt nicht alleine. Auch Audi-Sportchef Dieter Gass schließt Motorschäden nicht aus: "Durch den Wechsel vom Vier-Liter-Achtzylinder auf den Zwei-Liter-Vierzylinder mit 100 PS mehr ist die Belastung auf den Motor schon extrem. Wir tun natürlich alles, damit wir zuverlässig sind, aber wir haben nicht die Datenbank, dass wir mit den Hosenträgern schnalzen können und sagen, das läuft schon."

Der langjährige Ingenieur gibt im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' zu, dass Audi noch Arbeit vor sich hat: "Der neue Motor muss auch erst einmal final unter Kontrolle sein. Das ist viel, was wir uns da vorgenommen haben - auch mit der Anzahl an Ersatzmotoren. Das wird definitiv eng dieses Jahr." Das Reglement sieht übrigens vor, dass pro Fahrerduo im Notfall ein neuer Motor genutzt werden darf, was am Ende 1,5 Motoren pro Fahrer in der gesamten Saison ergibt.

Doch warum bringen die neuen Turbo-Motoren, die eigentlich schon früher eingeführt hätten werden sollen, die großen Hersteller dermaßen an die Grenzen? Das hat vor allem damit zu tun, dass jeder Hersteller mit neun privaten Testtagen und dem viertägigen ITR-Test auskommen musste, um die neuen Triebwerke rennfit zu machen.

Hitze vs. Kühlung: Der entscheidende Spagat

Das ist nicht viel, denn die neue Technologie birgt enorme Herausforderungen. "Da die Aerodynamik bei den DTM-Autos so eine große Rolle spielt, ist der Einbau ein Schlüsselfaktor", erklärt Routinier Paul di Resta gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Und ich muss niemanden erklären, wie heiß ein Turbo laufen kann. Man kann natürlich die Kühlung aufmachen, um das in den Griff zu kriegen, aber das macht dich langsamer."

Daher ist es wichtig, den richtigen Spagat zu finden, wie auch der ITR-Technikverantwortliche Gordian von Schöning gegenüber 'Motorsport-Total.com' erklärt: "Der neue Motor hat mehr Leistung als der alte, und mehr Leistung bedeutet immer auch mehr Abwärme. Die muss man wegbringen, denn wenn sie irgendwo unter der Haube bleibt, dann heizt sie womöglich Bauteile auf, die dadurch schlechter werden."

"Dann funktioniert zum Beispiel plötzlich ein Dämpfer nicht mehr, weil er heiß wird. Das ist dieses Jahr das Ziel: Man muss schauen, dass man sich vernünftig wappnet und die Hitze abschirmt beziehungsweise die Temperatur unter der Haube reduziert."

Herkulesaufgabe für HWA

Das war vor allem für HWA eine große Herausforderung, denn die Truppe aus Affalterbach, die 2019 gemeinsam mit R-Motorsport vier Aston Martin Vantage an den Start bringt, testete das neue Turbo-Triebwerk erstmals Mitte März. Zwei Wochen später stand bereits die Homologation auf dem Programm, bei der die Entwicklung des kompletten Autos eingefroren wird.

"Klar kann man alles berechnen, aber wenn man nicht wie Audi oder BMW die Möglichkeit hat, vor der Homologation zu reagieren? Wir entwickeln den Motor immer noch weiter, aber wir haben zwei versiegelte Motoren in der Fabrik stehen", beschreibt di Resta die schwierige Lage. Denn nach der Homologation kann man die Fahrbarkeit nur noch über die Motoreneinstellungen optimieren.

Dass sich Berechnungen und Prüfstandtests nicht unbedingt mit dem realen Verhalten des Autos und des Motors auf der Strecke decken, weiß man auch bei BMW. "Da bist du auf dem Prüfstand, und alles ist easy und wunderbar, und dann packst du es ins Auto herein und dann merkst du, was es für Unterschiede gibt zum Prüfstand", weiß BMW-Motorsportdirektor Marquardt.

Kompletter Vorderwagen musste für Motor umgebaut werden

Das hat auch damit zu tun, dass der neue kompakte Vierzylinder-Motor massive Auswirkungen auf das Innenleben der Boliden hat. Und zwar nicht nur bei der Motorhaube, auf der die großen Luftauslässe für jedermann erkennbar sind.

"Bisher hattest du ein Auto, das symmetrisch auf einen V8-Sauger ausgelegt war", erklärt Marquardt. "Jetzt baust du da einen vom Bauraum viel kleineren Vier-Zylinder-Turbo ein, der aber eine sehr entscheidende Komponente hat: Er ist unsymmetrisch. Du hast eine heiße und eine kalte Seite."

Wie sich die Tatsache, dass die Zylinder nicht mehr in V-Form, sondern in Reihe angeordnet sind, auswirkt? "Wenn man sich das Auto anschaut, dann hast du aus Fahrersicht auf der linken Seite viel Platz, weil da nichts mehr ist. Und auf der rechten Seite hast du den Turbolader, die Abgasanlage und alles, was da noch dazugehört. Da ist es schon sehr eng. Daher sind der Wärmehaushalt und die Luftzufuhr eine echte Herausforderung."

Bauweise sorgt für Hitzestau

Audis Antrieb-Entwicklungsleiter Stefan Dreyer bestätigt: "Der gesamte Vorderwagen musste auf dieses Motorenkonzept angepasst werden, zum Beispiel die Positionierung des Ladeluftkühlers, die Wasser- und die Ölkühlung, die Rohre, aber auch die optimale Führung der Luft zum Motor." Das ist auch der Grund, warum der Auspuff im Gegensatz zum Vorjahr nun nur noch auf der rechten Seite herausragt.

Das große Problem bei der neuen Bauweise: Teile wie der Turbolader bleiben für eine längere Zeit sehr heiß, ohne dass rasch Wärme abgeführt werden kann, weil alles auf engstem Raum kompakt verbaut ist.

"Du blockierst mit den heißen Bauteilen eigentlich den Luftstrom, den du bräuchtest", geht Marquardt ins Detail. "Du musst zum einen eine sehr gute statische Abschirmung vor der Wärme hinkriegen, und zum anderen, wenn das Auto eben fährt, trotzdem noch für einen guten Kühlluftstrom sorgen. Da beides unter einen Hut zu kriegen - mit all den Teilen, du hast da ja auch viele Einheitsteile wie Aufhängung, Stoßdämpfer und so weiter -, war ein echtes Brett."

BMW gibt zu: Manche Lösungen haben nicht funktioniert

Diese Herausforderung beschäftigte BMW vor allem bei den Tests in Estoril und in Jerez Ende 2018. "Da sind auch Lösungen dabei gewesen, die nicht funktioniert haben", gibt Marquardt zu. "Da mussten wir nochmal ran." Dabei kann man angesichts der limitierten Testzeit kaum Rückschläge verkraften.

Dazu kommt, dass die kleinen Turbo-Motoren an sich schon viel anfälliger sind als die V8-Sauger, die seit der DTM-Neugründung im Jahr 2000 praktisch unverändert blieben. "Der Vierzylinder-Motor ist per se kein einfacher Motor", bestätigt Audi-Motorenentwicklungsleiter Ulrich Baretzky.

"Er ist vor allem sehr schwingungsintensiv. Man muss Dinge, die bei anderen Motoren jahrzehntelang vom Prinzip her problemlos funktioniert haben, neu denken. Da gab es einige Sorgenfalten, aber wir haben das mit viel Mühe und Arbeit in den Griff bekommen."

Was den Turbomotor so heikel macht

Das habe auch mit der komplexeren Architektur zu tun: "Man hat mehr Stellschrauben, zum Beispiel Ladedruck, Ladelufttemperatur und Anpassung an die jeweilige Umgebung. Es ist nicht schwieriger, aber aufwendiger, das Maximum aus dem Motor herauszuholen. Der Motor ist auch relativ hoch verdichtet und dadurch klopfempfindlicher."

Dazu kommt, dass die Fahrer dieses Jahr die Push-to-Pass-Funktion nutzen können, die für fünf Sekunden 30 zusätzliche PS freimacht. "Das erhöht die Gesamtbelastung massiv, auch wenn es nur für begrenzte Zeit ist", stellt Baretzky klar, dass sich die Überholhilfe auch auf die Zuverlässigkeit auswirken kann.

Kein Wunder also, dass in der DTM derzeit die Angst vor Defekten umgeht. "Diese Motoren machen selbst eine Prognose bis zur Saisonmitte unmöglich, denn es könnte sein, dass jemand durch die Zuverlässigkeit eine Pechsträhne hat", fürchtet auch di Resta Ausfälle. Kein Wunder, dass bei den Herstellern alles getan wird, um das zu verhindern.

So baut Audi gegen Motorschäden vor

Vor jedem Rennen wird der neue DTM-Motor, der bei Audi bereits über 1.000 Stunden auf dem Prüfstand lief, noch einmal für zwei bis drei Stunden auf Herz und Nieren getestet. "Es gibt ein Einlaufprogramm, einen Leistungscheck und verschiedene Funktionschecks", erklärt Audi-Mann Dreyer. "Wir arbeiten da mit dem Vieraugenprinzip. Nur so können wir garantieren, dass wir auch gut am Start stehen."

Auch ITR-Technikchef von Schöning, der den vergangenen Jahren der Kopf hinter den Boliden von BMW und davor Mercedes war, weiß genau: "Für die Hersteller ist es das Schlimmste, wenn so ein Motor hochgeht. Und das haben sie abgeprüft, da kann man sich sicher sein."

Kann der Fahrer Defekte verhindern?

Doch kann man als Fahrer etwas tun, damit die Lebensdauer des Turbo-Motors verlängert wird? Wie kann man schonend fahren? "Eigentlich geht das nicht wirklich, zumindest was den Motor angeht", antwortet ITR-Technikchef von Schöning. "Um schonend zu fahren, müsste man nicht immer unter voller Last fahren, oder nicht immer den möglichen Drehzahlbereich ausnützen."

Da der Volllastanteil in der DTM hoch ist, würde sich das auswirken. "Man kann aber zu einem Fahrer kaum sagen: 'Geh nicht immer voll aufs Gas!'", weiß von Schöning. Dennoch gibt es einen Weg, wie der Fahrer in einem Rennen die thermische Belastung für den Motor verringern kann.

"Ein Beispiel wäre es, nicht unbedingt so sehr im Windschatten zu fahren", sagt er. "Nach der Reduzierung der Aerodynamik kann es 2019 schon wieder interessant sein, den Windschatten eines Vorrausfahrenden zu nutzen. Das Problem ist nur: Der Windschatten und dessen Verwirbelungen erzeugen auch eine schlechte Durchströmung der Kühler. So könnte man sagen: Wenn ein Fahrer motorschonend fahren soll, dann soll er sich nicht so eng hinter andere Fahrzeuge hängen."

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