Angst vor „deal making“ - Politik-Experte: Kommt es zum Trump-Putin-Deal, zahlen Ukraine und Nato den Preis

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Wird Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen?Getty Images / Joe Raedle / Staff

Sollte Donald Trump bei der US-Wahl ein Comeback als Präsident feiern, wird die erneute Präsidentschaft Trumps laut Ex-Diplomat Hans-Dieter Heumann zu erheblichen Verschiebungen innerhalb der Nato kommen. Das Bündnis bereitet sich bereits auf Ärger vor, wie der Jubiläumsgipfel gezeigt hat.

Wie könnte sich die Haltung der Nato gegenüber Russland ändern, wenn Trump erneut zum Präsidenten gewählt wird?

Die USA sind die Führungsnation der Nato. Sie haben in der Vergangenheit die Richtung der strategischen Diskussion in der Nato bestimmt. Insofern könnte es einen Unterschied machen, wenn Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt wird.

Aus seiner ersten Amtszeit wissen wir, dass Trump solche grundlegenden Fragen wie die Haltung gegenüber Russland eben nicht strategisch angeht. Er ist nicht bekannt dafür, dass er die Sicherheitslage, die Machtverhältnisse und die langfristigen Interessen des Bündnisses sorgfältig abwägt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass seine Berater Experten für Sicherheitspolitik sein werden. Sie werden vor allem nach ihrer Loyalität zu Trump ausgesucht, glaubt man dem „Project 2025“, also der Vorbereitung der Präsidentschaft durch die sehr konservative Heritage Foundation.

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Seit Donald Trump als Geschäftsmann sein Buch „The art of the deal“ schrieb, wissen wir, wie Trump „tickt“. Er hat gezeigt, dass er auch in der internationalen Politik zum „deal making“ neigt. Im Umgang mit Russland wäre dies fatal. Einen Handel auf Kosten der Ukraine würden die anderen Mitglieder der Nato in ihrer Mehrheit aber nicht mittragen.

Eine Wahl Trumps zum Präsidenten könnte sie sogar dazu bringen, ihr Gewicht in der Nato mehr zur Geltung zu bringen. Die europäischen Führungsmächte in der Nato, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, aber auch Polen sind nicht dazu bereit, den in der Nato nach dem Angriff auf die Ukraine erreichten Konsens darüber, dass Russland die „größte Bedrohung“ der europäischen Sicherheit ist, in Frage zu stellen.

Dies zeigte sich auch auf dem Jubiläumsgipfel im Juli 2024. Wenn Trump zum Präsidenten gewählt würde, würde er nicht die Haltung der Nato gegenüber Russland ändern, sondern sich eher selbst isolieren.

 

Welche Auswirkungen hätte eine erneute Präsidentschaft von Trump auf die finanzielle Unterstützung der USA für die Nato?

Die operativen Kosten der Nato als Organisation von ca. 3,3 Mrd. Euro finanzieren die 31 Mitgliedsstaaten nach einem festen Verteilungsschlüssel. Die USA liegen hier mit moderaten 17 Prozent auf der Höhe vom deutschen Beitrag. Hieran wird sich auch bei einem Regierungswechsel in den USA erst einmal nichts ändern. Der Beitrag eines Mitgliedsstaates zur kollektiven Sicherheit des Bündnisses aber bemisst sich nach seinem Verteidigungshaushalt. Dieser ist in den USA mit ca. 850 Mrd. Euro mehr als doppelt so hoch wie die Verteidigungshaushalte der europäischen Mitglieder der Nato zusammengerechnet.

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Die USA haben bisher aus eigenen strategischen Interessen an dieser Lage nichts geändert. Sie sind im Unterschied zu den europäischen Staaten eine globale Macht. Sie bleiben es nur, wenn sie auch in Europa militärisch präsent sind. Es ist aber fraglich, ob Donald Trump diese strategische Logik gegenwärtig ist. An der Höhe des amerikanischen Verteidigungshaushalts will er festhalten. Er wird aber den Druck auf die europäischen Staaten verstärken, mehr Geld für Verteidigung auszugeben. Diese haben inzwischen erkannt, dass sie das aus eigenem Interesse heraus tun sollten, 23 (der 32) Nato-Staaten erreichen inzwischen das Zwei-Prozent-Ziel.

Sie tun dies nicht nur, weil sie gegenüber Russland bestehen müssen, sondern auch, weil das nationale Interesse der USA sich immer stärker auf den Pazifik, und weniger auf Europa richtet. Diese Entwicklung hatte schon unter Präsident Barack Obama begonnen, der den „pivot to Asia“ verkündete. Trump ist auf China fixiert. Russland und die Ukraine tauchen in seinem neuesten Wahlprogramm gar nicht mehr auf. Es ist möglich, dass ein Präsident Trump die militärische Präsenz der USA in Europa reduziert. Insofern könnte sich die finanzielle Unterstützung für die Nato ändern.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Trump seine Drohung wahr macht und die Nato-Beistandspflicht für Länder, die zu wenig für Verteidigung ausgeben, beendet?

Die Nato-Beistandspflicht ist im Artikel 5 des Nordatlantikvertrags verankert. Die USA sind also vertraglich gebunden, auch wenn der Artikel 5 letztlich nur eine Pflicht zu Konsultationen im Verteidigungsfall ist. Dies dürfte Trump allerdings weniger interessieren, seine Interpretation des Artikel 5 ist die eines „Deals“: Sicherheit gegen Geld. Seine entsprechenden Äußerungen sind zwar Teil seines Wahlkampfs. Sie sind aber deshalb ernst zu nehmen, weil sie auch ein Signal an Wladimir Putin sind.

Es kann der Nato und ihrer Fähigkeit zur Abschreckung nicht schlimmeres passieren, als wenn die Beistandspflicht in Frage steht. Trump rührt am wundesten Punkt der Nato überhaupt. Seit ihrer Gründung hat es in der Tat ja immer wieder Zweifel der Europäer daran gegeben, dass die USA im Ernstfall, bei einem Angriff auf die europäischen Mitglieder, ihre eigene Sicherheit für die europäische kompromittieren.

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Trump hat also den Schaden bereits angerichtet, ein Weckruf mehr für die Europäer, die seit Gründung der Nato geforderte Lastenteilung mit den USA zu verwirklichen. Die Drohungen Trump sind seiner Unberechenbarkeit und seiner Unkenntnis der sicherheitspolitischen Grundsatzfragen zu verdanken. Es ist nicht zu erwarten, dass die Nato über die Frage der Beistandspflicht eine ernste Debatte führen wird.

Welche Konsequenzen hätte ein Rückzug der USA aus der Nato unter Trump für das militärische Gleichgewicht in Europa?

Das hängt davon ab, wie das militärische Gleichgewicht in Europa definiert wird. Ein Vergleich der Verteidigungsbudgets von Nato-Staaten einerseits und von Russland andererseits ist nicht sehr aussagekräftig. Hiernach wäre das Kräfteverhältnis ungefähr 10 zu 1, zwischen den europäischen Nato-Mitgliedern und Russland immer noch ungefähr 3 bis 4 zu 1. Bei der Zahl der aktiven Soldaten gibt es einen ungefähren Gleichstand bei ca. 1,4 Millionen.

Die Nato hat in ihrer 75-jährigen Geschichte die Sicherheit in Europa durch ihre Fähigkeit zur Abschreckung bewahrt. Seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine 2014 verstärkt die Nato ihre Ostflanke. 300.000 ihrer Soldaten werden in erhöhter Bereitschaft gehalten. Hiervon kommen ungefähr zwei Drittel aus europäischen Mitgliedsstaaten. Dieser Anteil müsste bei einer Reduzierung der amerikanischen Präsenz erhöht werden. Die europäischen Staaten sind auch dabei. ihre militärische Präsenz an der Ostflanke der Nato zu verstärken, allen voran Deutschland mit seiner Entscheidung, eine Kampf-Brigade in Litauen auszurüsten.

Die Nato wird bereits europäischer. Es wird aber eine Zeit brauchen, bis die Europäer in der Lage sein werden, auch bei den Waffensystemen einen gegebenenfalls notwendigen Ausgleich zu schaffen. Der Krieg in der Ukraine hat sie gelehrt, dass sie eine eigene europäische Rüstungsindustrie aufbauen müssen. Die Europäische Union hat dies zu einem Schwerpunkt ihrer strategischen Agenda gemacht.

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Die nukleare Abschreckung der Nato allerdings ist amerikanisch, die Nuklearwaffen von Frankreich und Großbritannien tragen zur Abschreckung bei. Für Deutschland, Belgien, Italien, die Niederlande sowie die Türkei gilt die nukleare Teilhabe. Die Diskussion über eine eigene europäische nukleare Abschreckung aber hat bereits begonnen.

Die Nato hat Russland zwar von einem Angriff auf eines ihrer Mitgliedsländer abgehalten, aber den Krieg gegen die Ukraine nicht verhindern können. Künftig bedeutet Abschreckung auch eine glaubwürdige militärische Unterstützung der Ukraine. Von ihrem Überleben als souveräner Staat hängt die Zukunft der europäischen Sicherheit ab. Auch ein Präsident Trump wird dies verstehen. Der Anteil der europäischen Nato-Mitglieder an dieser Unterstützung ist stetig gestiegen. Dieses Engagement wird mit einem Präsidenten Trump noch notwendiger werden.

Wie könnten sich Trumps Äußerungen über Russland auf die Beziehungen zwischen den Nato-Mitgliedern auswirken?

Die bisherigen Äußerungen Donald Trumps über Russland verraten eine Haltung des möglichen künftigen Präsidenten der USA, die für die Nato gefährlich ist. Trump behauptet, mit Putin auf Augenhöhe bilateral in kurzer Zeit ein Abkommen über die Ukraine aushandeln zu können, was bei der russischen Interessenlage nur auf Kosten der territorialen Integrität der Ukraine gehen könnte. Er würde Putin in seiner Absicht entgegenkommen, dass die USA und Russland über Einflusszonen in Europa verhandeln, er würde ihm helfen, die Welt von Jalta wiederzubeleben.

Trump würde damit nicht nur sein eigenes Land, sondern auch die Nato unglaubwürdig machen. Wie auch im Umgang mit Nordkorea und China zu beobachten verrät Trump darüber hinaus eine gewisse Sympathie für den Autokraten Putin. Am gefährlichsten aber wäre, wenn das Verhältnis eines Präsidenten Trump zu Russland auch von persönlichen Verstrickungen des Geschäftsmanns und früheren Wahlkämpfers Trump bestimmt wären. Der Bericht des vom amerikanischen Justizministerium eingesetzten Sonderermittlers Robert Muller von 2019 hierzu ist relativ konkret.

Die Äußerungen Trumps über Russland sind bei fast allen Regierungen der Nato-Staaten auf Ablehnung gestoßen, mit der Ausnahme vielleicht der Regierungschefs Ungarns und der Slowakischen Republik. Es gibt einen weitgehenden Konsens in der Nato darüber, dass Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine die europäische Ordnung zerstört hat und die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung und territoriale Integrität unterstützt wird. Dieser Konsens könnte aufweichen, wenn rechtsextreme Parteien in einigen Mitgliedsstaaten der Nato an die Macht kommen, die bisher entweder ähnliche Sympathien für Russland wie Trump gezeigt haben, oder weismachen wollen, dass sie einen schnellen Weg zum Frieden mit Russland kennen.

In einer solchen Konstellation kann es zu einem ernsten Konflikt in der Nato kommen, in dem die von rechtsextremen Parteien regierten Mitgliedsstaaten sich auf die Führungsnation USA berufen könnten. Eine solche Entwicklung ist im Augenblick aber nicht wahrscheinlich.

 

Welche Maßnahmen könnte die Nato ergreifen, um sich auf eine mögliche zweite Amtszeit von Trump vorzubereiten?

Wie der Jubiläumsgipfel der Nato in dieser Woche gezeigt hat, ist die Nato schon dabei, sich auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump vorzubereiten. Hierzu gehört vor allem die in der Gipfel-Erklärung vom 10. Juli 2024 verankerte „Zusage einer langfristigen Sicherheitsunterstützung der Ukraine“. Die Richtgröße ist 40 Milliarden Euro pro Jahr!

Die Lieferung von Waffen, sowie die Ausbildung ukrainischer Streitkräfte durch die Alliierten werden künftig von der Nato als solches koordiniert. Die militärische Unterstützung für die Ukraine wird also unabhängiger von den USA, die im sogenannten Ramstein-Format hierfür bisher federführend waren. Das jetzt zuständige Kommando, das im Hauptquartier Europa der amerikanischen Streitkräfte in Wiesbaden angesiedelt ist, gibt auch Deutschland eine besondere Rolle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Deutschland wird den stellvertretenden Kommandeur und Mitarbeiter stellen.

Auch die Feststellung der Nato, dass der „Weg der Ukraine in die vollständige euro-atlantische Integration, einschließlich der Nato-Mitgliedschaft unumkehrbar“ ist, legt künftige amerikanische Regierungen fest. Die Formulierung geht deutlich weiter als frühere, weshalb Deutschland sie ursprünglich nicht wollte. Schließlich ist die jüngste Entscheidung der amerikanischen Regierung, ab 2026 weitreichende Waffen in Deutschland zu stationieren, ein sehr starkes Signal der Abschreckung an Russland. Sie begleitet Überlegungen in Washington, dass der Ukraine gelieferte Waffen auch verstärkt für Ziele in Russland verwendet werden können.

Die beste Vorbereitung auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump ist die Europäisierung der Nato. Alle führenden Staaten der Europäischen Union haben begriffen, dass sie den europäischen Pfeiler der Nato stärken müssen. Ihnen ist klar, dass sie das unabhängig davon tun müssen, wer im Weißen Haus sitzt, dass die Priorität der USA im Pazifik, nicht in Europa liegt. Die Übernahme von mehr Verantwortung für die europäische Sicherheit durch die Europäer selbst braucht aber politische Führung. Insofern ist die Erklärung des deutschen Bundeskanzlers auf dem Jubiläumsgipfel der Nato darüber bemerkenswert, dass Deutschland als größtem Land in Europa innerhalb des Nato-Bündnisses „eine ganz besondere Verantwortung zukommt“.

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