Angst vor Schule - Warum Kinder zu Schulverweigerern werden, liegt auch am Frust der Lehrer

Schulverweigerung ist ein komplexes Problemfeld. Die Ursachen sind vielfältig<span class="copyright">Getty Images / Thai Liang Lim</span>
Schulverweigerung ist ein komplexes Problemfeld. Die Ursachen sind vielfältigGetty Images / Thai Liang Lim

Schulmüdigkeit, Schulabstinenz, Schulverweigerung sind Probleme, die sehr unterschiedliche Ursachen haben. Der Experimentalpsychologe Professor Warwitz äußert sich dazu aufgrund seiner Forschungsergebnisse und Erfahrungen.

Was ist überhaupt Schulverweigerung?

Schulverweigerung ist ein komplexes Problemfeld. Die Ursachen sind vielfältig. Sie kann von den Eltern und Erziehern, aber auch von den Kindern und Jugendlichen ausgehen. Die elterliche Verweigerung hat meist religiöse oder erziehungspolitische Gründe. Die Verweigerungshaltung der Schulpflichtigen erwächst in der Regel aus negativen Erfahrungen mit der Schulrealität oder aus psychischen Problemen.

Von der Schulverweigerung ist die „Unterrichtsverweigerung“ zu unterscheiden, die sich meist auf die Ablehnung einer Teilnahme an bestimmten Fächern wie dem Schwimmunterricht, Sexualkundeunterricht oder Religionsunterricht bezieht. „Schulschwänzen“, das durch außerschulische Ambitionen wie politische Aktionen bedingt sein kann, ist nicht mit Schulverweigerung zu verwechseln. Auch „Schulmüdigkeit“ oder „Unterrichtsabstinenz“ bezeichnen eine meist nur kurzzeitige Ablehnung einer aktiven Teilnahme am Unterrichtsgeschehen. Sie lassen sich oft aus einer Unterforderung oder Überforderung in den Lernprozessen erklären.

Unter der eigentlichen Schulverweigerung ist eine dauerhafte Ablehnung der Institution Schule und ihrer Art der Bildungsvermittlung zu verstehen.

Ist Schulverweigerung strafbar?

In Deutschland besteht eine allgemeine Schulpflicht, die für alle Kinder im sogenannten Schulalter einen regelmäßigen Schulbesuch vorsieht. Sie soll, staatlich kontrolliert, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben schaffen. Mit der Ablehnung des Bildungsangebots der Schule vergeben Eltern und Kinder entscheidende Lernmöglichkeiten unter Hilfe professioneller Lehrkräfte. Sie isoliert von den anderen Kindern und entfremdet von der Gemeinschaft der Gleichaltrigen.

Schulverweigerung gilt in Deutschland als Ordnungswidrigkeit. Eltern und Erziehungsberechtigte erwarten Bußgelder bis zu 180 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten, wenn sie sich als Verantwortliche für die Schulverweigerung herausstellen.

Bei sehr renitenter Schulverweigerung können von den Behörden auch polizeiliche Maßnahmen oder sogar ein Eingriff in das Sorgerecht verordnet werden. Bereits strafmündigen Jugendlichen drohen ebenfalls Geldstrafen oder das Ableisten von Arbeitsstunden, während man Kindern in der Regel mit milderen pädagogischen und psychologischen Mitteln den Schulbesuch wieder schmackhaft zu machen versucht. Sinn dieser abgestuften Maßnahmen ist das Sicherstellen eines minimalen Bildungsniveaus und das Erreichen einer entsprechenden Einsicht bei den Betroffenen.

 

Was sind die Hauptursachen von Schulverweigerung?

Die Tendenz zur Schulverweigerung kann schon durch Fehler bei der Einschulung entstehen: Der Übergang aus der Umgebung Elternhaus in die Institution Schule ist für jedes Kind ein gravierender Einschnitt. Es findet sich plötzlich in einer größeren, ihm in der Mehrzahl fremder Kinder wieder. Andere Menschen (Lehrer) geben nun die Verhaltensrichtlinien für viele Stunden des Tages vor. Das freie Spielen weicht zunehmend stundenplanmäßig organisierten Lernprozessen. Es sind bisher unbekannte Regeln einzuhalten, unbequeme Aufgaben zu erledigen, Umgangsformen mit den anderen Kindern zu entwickeln. Diese schwierige Übergangsphase sollte das Kind nicht unvorbereitet überfallen, darf schon gar nicht als Drohkulisse bei häuslichen Erziehungsschwierigkeiten aufgebaut werden.

Weitere Ursachen für die Ablehnung der Schule können sich aus der Schulstruktur und dem Schulklima ergeben. Die Statistik zeigt: Je größer die Klassen und je inhomogener ihre Zusammensetzungen, desto häufiger bilden sich Konfliktherde, entstehen Störungen und Streit. Mobbing beherrscht und vergiftet in manchen Schulen das Klima. Raue Umgangsformen bereiten vor allem sensiblen Kindern Schwierigkeiten, sich in dem Milieu Schule wohlzufühlen und Lernbegeisterung zu entwickeln.

Wenn ein beträchtlicher Teil der Unterrichtszeit mit Streitschlichtungen und Disziplinierungsversuchen vergeht statt mit inhaltlichen Lernangeboten, fühlen sich gerade lernfreudige Kinder von dem Leerlauf genervt. Langeweile und Schulmüdigkeit breiten sich aus. Die Lehrer, in die Rolle von Sozialarbeitern gedrängt, für die sie nicht ausgebildet sind und was nicht ihre Berufswahl bestimmt hat, sehen sich überfordert, resignieren, weil sie ihren eigentlichen Lehraufgaben zu wenig nachkommen können. Über die Frustration auf beiden Seiten kommt es dann zu einem inneren Rückzug und einer Verweigerungshaltung gegenüber der ungeliebten Institution.

 

Wie lässt sich Lust auf Schule fördern?

Gut geführte Schulen entwickeln für ihre Neuankömmlinge eine Willkommenskultur. Die neue Situation wird als Fest gestaltet. Die Bildungspolitik muss in der Folge den Schulfrieden für Schüler und Lehrer gewährleisten. Sie muss die Voraussetzungen schaffen, dass Schule als eine Wohlfühloase erlebt werden kann. Sie muss als eine Stätte friedlichen Lernens wahrgenommen werden, in der man nicht unter Anfeindungen durch Mitschüler oder Sanktionen bei Versagen lernen muss, sondern unter Registrierung seiner Lernfortschritte lernen darf. Freude am Lernen lässt sich nicht erzwingen. Sie entsteht aus dem Verführerischen des Lerngewinns, und die braucht Freiwilligkeit.

Kinder und Jugendliche sind in der Regel von Natur aus lernfreudig: Sie sind neugierig, wissbegierig, haben unzählige Fragen, möchten Vieles können, ihre Leistungsfortschritte demonstrieren. Sie sind fantasiebegabt, experimentierfreudig, abenteuerhungrig. Schule und Erziehung müssen von diesen Voraussetzungen ausgehen und auf ihnen ihre Didaktik aufbauen.

Der Schulbesuch darf nicht ängstigen, sondern muss verlockend sein. Schule sollte kind- und jugendgemäß arbeiten. Lernen muss aus dem Spielen erwachsen, muss spannend sein, als Abenteuer erlebt werden. Dazu müssen die notwendigen Schulstrukturen geschaffen, müssen homogene Lerngruppen gebildet, muss ein gesundes Schulklima gestaltet werden.

Die fachlich und didaktisch gut ausgebildeten Lehrer von heute benötigen für eine erfolgreiche Bildungsarbeit die erforderlichen strukturellen, materiellen, räumlichen und personellen Voraussetzungen ihrer Schule. Damit würde der Schulverweigerung bereits weitestgehend der Boden entzogen.