Angst vor einem zu starken Euro

Die obersten Zentralbanker in der Euro-Zone sind besorgt über die Stärke der europäischen Gemeinschaftswährung. Das ergibt sich aus den Juli-Protokollen der Sitzung der Europäischen Zentralbank. Das Protokoll der EZB zeige, dass die politischen Entscheidungsträger glauben, dass die Gefahr besteht, dass die Währung wieder an Wert gewinnen könnte.

Die Finanzmärkte reagierten sofort auf die ungewöhnlich deutlichen Aussagen der EZB. Die Gemeinschaftswährung fiel zeitweise mit 1,1662 Dollar auf ein Drei-Wochen-Tief. „Das war eine klare verbale Intervention der EZB. Damit unterstützt die EZB die exportabhängige Wirtschaft der Euro-Zone,“ erklärte Thomas Altmann, Fondsmanager vom Brokerhaus QC Partners. Die deutsche Wirtschaft profitiere besonders, wenn der Euro schwächele. Marktanalyst Simon Derrick vom Vermögensverwalter BNY Mellon ergänzte: „Die Wahrheit ist, dass die EZB sich gewiss mehr Sorgen macht, als der Markt das bislang vermutet hat.“

Doch der starke Euro ist die eine Seite, der schwache Dollar die andere. Denn das Chaos in der US-Politik lastet auf dem Greenback. Für Druck sorgte einerseits, dass US-Präsident Donald Trump nach dem Rückzug mehrerer Unternehmenschefs zwei Beratergremien auflöste. Danach rutschte der Dollar-Index, der den Wert des „Greenback“ zu anderen wichtigen Währungen misst, deutlich ab. Am Donnerstag verlor er weitere 0,2 Prozent auf 93,39 Punkte. Die Hoffnung auf eine wirtschaftsfreundliche Politik sei damit ein Stück weit dahin, kommentierten die Devisenexperten von der Commerzbank. Trump werde zunehmend zum Belastungsfaktor für den Dollar.

Durch das Auflösen der Gremien schwinde bei Anlegern die Hoffnung auf eine unternehmerfreundliche Politik, sagte Devisenanalystin Thu Lan Nguyen von der Commerzbank. Vielmehr erscheine es möglich, dass Trump seine Position dazu nutze, um in unternehmerische Entscheidungen einzugreifen. „Und das ist alles andere als unternehmerfreundlich und somit letztlich schädlich für die US-Wirtschaft.“

Der langfristige Euro-Dollar-Chart zeigt ein interessantes Bild. Die Notierung liegt fast auf dem gleichen Niveau wie bei der Einführung des Euros Anfang 1999, der damals 1,1747 Dollar wert war. Die europäische Gemeinschaftswährung wurde am 1. Januar 1999 als Buchgeld, drei Jahre später, am 1. Januar 2002, als Bargeld eingeführt und löste damit die nationalen Währungen als Zahlungsmittel ab.

In den vergangenen 18 Jahren und siebeneinhalb Monaten schwankte der Wechselkurs stark: In den Jahren vor der Bargeldeinführung fiel die Gemeinschaftswährung bis auf 82 US-Cent. Anschließend, im Zuge der Finanzkrise, verdoppelte sie ihren Kurs und stieg 2008 auf 1,60 Dollar.

Seit Jahresbeginn liegt der Greenback gegenüber seinem wichtigsten Konkurrenten Euro rund 15 Prozent im Minus. „Der markante Anstieg des Euro-Kurses gegenüber US-Dollar, Yen, Pfund und Schweizer Franken ist im Wesentlichen auf die stabilisierte politische und ökonomische Lage in Europa zurückzuführen“, meint Lloys-Fondsmanager Christoph Bruns. „Im Fall des US-Dollars mag hinzukommen, dass die Finanzmärkte ihre Illusionen über die Präsidentschaft von Donald Trump allmählich verlieren.“


Was Experten erwarten

Die entscheidende und für die exportstarke deutsche Industrie extrem wichtige Frage lautet natürlich: Wird der Euro noch stärker? Ulrich Leuchtmann, Devisenanalyst der Commerzbank gibt Entwarnung. „Der Euro dürfte gegenüber dem Dollar vielleicht noch ein wenig steigen, doch bald dürfte das Ende der Fahnenstange erreicht sein“, meint er. Der Titel seiner Analyse lautet dementsprechend: „Der Euro hat sein Potenzial ausgespielt.“ Leuchtmann hat bereits vor einigen Tagen eine Einmischung der EZB erwartet. Eine Fortsetzung der Euro-Aufwertung dürfte seiner Meinung auf Widerstand der Europäischen Zentralbank (EZB) stoßen, eine verbale Intervention dürfte das Aufwärtspotenzial begrenzen.

Beispielsweise hatte EZB-Präsident Mario Draghi, als der Euro 2014 kurz vor der Marke von 1,40 Dollar stand, für eine Trendumkehr gesorgt, als er negative Zinsen auf Bankeinlagen beschloss. So radikal müsse die EZB diesmal aber nicht vorgehen. Gut möglich, dass es ausreiche, wenn Draghi rein verbal auf die Auswirkungen zu hoher Euro-Kurse auf die Inflation hinweise. Die heutige Veröffentlichung der Protokolle war offenbar der erste Schritt in diese Richtung.

„Wir halten daher weiterhin an unserer Sicht fest, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar auf mittlere Sicht Rückschlagpotenzial besitzt“, meint Leuchtmann. „Wer darauf setzen will, muss aber – so sieht es momentan aus - deutlich mehr Geduld mitbringen, als wir uns das noch vor kurzem vorstellen konnten.“

Ganz neu bewerten müssten Experten wohl die Lage an den Märkten, wenn Donald Trump als Präsident nicht mehr zu halten wäre. Über diese Frage diskutieren amerikanische TV-Sender wie CNN oder NBC immer öfter. „Angesichts des immer tiefer werdenden Risses durch die amerikanische Gesellschaft ist diese Frage legitim“, meint auch Thomas Timmerman von der Commerzbank.

So zweifele die Ratingagentur Standard & Poor‘s (S&P) in einer Ende Juni veröffentlichten Studie sogar daran, dass die Trump-Administration in der Lage sein werde, selbst ein kleines Paket mit Infrastrukturausgaben durchzusetzen.

Die Mehrheit der Journalisten, Politiker und Ökonomen rechne dennoch weder mit einer kurzfristigen, noch nicht einmal mit einer mittelfristigen Absetzung Trumps. Dazu liefert Timmermann ein Bonmot: „Auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein, wusste bereits Philosoph Friedrich Nietzsche.“