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"Anne Will": Arm trotz Vollzeitarbeit – Rentner und Familien in Notunterkünften

Petra Vogel arbeitet im Niedriglohnsektor und weiß nicht, wie sie mit ihrer Rente würdig altern soll. Bei Anne Will versucht die Gewerkschafterin den Politikern der CDU, SPD und Grünen ihr Problem zu verdeutlichen. (Foto: Screenshot ARD)
Petra Vogel arbeitet im Niedriglohnsektor und weiß nicht, wie sie mit ihrer Rente würdig altern soll. Bei Anne Will versucht die Gewerkschafterin den Politikern der CDU, SPD und Grünen ihr Problem zu verdeutlichen. (Foto: Screenshot ARD)

Trotz Vollzeitjob haben Millionen Deutsche finanzielle Probleme. In Berlin beziehen Rentner und Familien sogar Obdachlosenunterkünfte. Was ist schiefgelaufen, dass so viele Menschen von ihrem Erwerb nicht mehr leben können? Und: Wer hat’s vermasselt?

Das diskutierten am Sonntag bei “Anne Will”:

  • Malu Dreyer: Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und stellvertretende SPD-Parteivorsitzende

  • Reinhold von Eben-Worlée: Präsident des Verbandes “Die Familienunternehmer”

  • Guido Fahrendholz: Koordinator einer Notunterkunft für Obdachlose in Berlin

  • Katrin Göring-Eckardt: Bündnis 90/Die Grünen-Fraktionsvorsitzende

  • Mike Mohring: Vorsitzender der CDU Thüringen

  • Petra Vogel: Reinigungskraft und Mitglied der Gewerkschaft IG BAU

Wenn nach der Sendung von Anne Will alle Gäste unzufrieden sind, ist dies nicht verwunderlich. Es wurde zwar viel debattiert – über Grundrente, Mindestlohn, Mietpreisbremse, Niedriglohn, Grundsicherung, Wohngeld, Bürgergeld, Baukindergeld, sozialer Wohnungsbau – zu konstruktiven Lösungsansätzen kam es aber nicht. Stattdessen Plattitüden und Schuldzuweisungen der Politiker – sowie enttäuschte Mienen bei einer betroffenen Putzfrau und dem Koordinator einer Obdachlosenunterkunft.

Gewerkschafterin: “Herr Schröder sollte sich schämen”

“Frau Vogels Situation ist beschissen”, sagt Anne Will über ihren Studiogast. Die Reinigungskraft rechnet bei 11,20 Euro Stundenlohn mit einer niedrigen Rente. Schon jetzt achtet sie auf jeden Cent – und das, obwohl sie mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdient. Ihrer Meinung nach, müsste der Mindestlohn bei 12,67 Euro liegen, damit eine Rente über 1050 Euro gewährleistet wird. Die Wut gegenüber Altkanzler Gerhard Schröder kann die Gewerkschafterin nicht verbergen: “Herr Schröder sollte sich schämen, wenn er sagt, man habe den besten Niedriglohnsektor der Welt geschaffen. Ein Niedriglohnsektor kann niemals gut sein.”

Im Rahmen der “Agenda 2010” hatte die Regierung unter Schröder und Fischer Sozial- und Arbeitsmarktreformen umgesetzt. Bei Anne Will sitzen zwei Vertreterinnen der damals beteiligten Parteien im Studio: Im roten Hosenanzug die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Malu Dreyer, gegenüber, im grasgrünen Pullover die Bündnis 90/Die Grünen Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Optisch scheinen die unterschiedlichen Positionen klar. Doch in einem Punkt sind sich beide einig: Es war ein Fehler, den Mindestlohn damals nicht eingeführt zu haben. “Wir haben in der SPD sehr schnell erkannt, dass es falsch war”, erklärt Malu Dreyer. Sehr schnell? 13 Jahre liegen zwischen der Hartz-IV-Reform und der Einführung des Mindestlohns, stellt Anne Will klar.

CDU-Politiker Mohring: So erreichen wir nichts

“Der Mindestlohn war mit der CDU schwierig”, so Dreyer. Vertreter der CDU ist an diesem Abend Mike Mohring, Vorsitzender der CDU Thüringen. Wegen seiner Krebserkrankung trägt er eine schwarze Wollmütze – ausbremsen lässt er sich durch die Krankheit nicht, schließlich stehen im Oktober Wahlen in Thüringen an und Mohring hat Ambitionen gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zu gewinnen. Sind seine Forderungen daher eher links?

Hintergrund: Arbeitgeber und Brinkhaus attackieren Heils Pläne für Grundrente

Er plädiert für mehr Lohn, da die Bezahlung in Deutschland teils “unterirdisch” sei. “Es ist entscheidend, dass sich für die jetzigen Rentner etwas ändert.” Mohring befürwortet die Grundrente, jedoch mit Bedürftigkeitsprüfung – welche die SPD wiederum ablehnt. Dreyer kündet an, dass die SPD den Gesetzesentwurf einbringen wird, wie ihre Partei es für richtig hält: ohne Bedürftigkeitsprüfung. “Uns geht es nicht um Hartnäckigkeit, sondern um Überzeugung”, so Dreyer. Mohring entgegnet: “Wenn Sie auf dieser harten Linie bleiben, erreichen wir nichts in dieser Legislaturperiode.”

Pizza, Putzen, Paket verdienen “beschissen”

“Ich versuche schon, leise zu schnaufen”, meint Katrin Göring-Eckardt von den Grünen, die der Debatte lauscht. Sie warnt: Armut würde immer weiter fortgesetzt werden. Daher brauche es für jedes Kind eine Grundsicherung. Zudem seien bestimmte Berufssparten auf höhere Löhne angewiesen. “Pizza, Putzen, Paket, das sind die drei Ps, die so beschissen verdienen”, so Göring-Eckardt. Auch Dreyer findet, Unternehmen müssten etwas tun, damit Angestellte sich nicht mehr so leicht hinter Subunternehmen verbergen können, die schlecht zahlen.

Zu Gast bei Anne Will (v.l.): Reinhold von Eben-Worlée (Präsident des Verbandes “Die Familienunternehmer”), Malu Dreyer (stellv. SPD-Parteivorsitzende), Petra Vogel (Reinigungskraft), Mike Mohring (CDU-Vorsitzender Thüringen) und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag) (Foto: Screenshot ARD)
Zu Gast bei Anne Will (v.l.): Reinhold von Eben-Worlée (Präsident des Verbandes “Die Familienunternehmer”), Malu Dreyer (stellv. SPD-Parteivorsitzende), Petra Vogel (Reinigungskraft), Mike Mohring (CDU-Vorsitzender Thüringen) und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag) (Foto: Screenshot ARD)

Der Unternehmer in der Runde, Reinhold von Eben-Worlée, bringt ein: “Gehälter sind branchenspezifisch und regional sehr verschieden.” Einen erhöhten Mindestlohn möchte er nicht, schließlich würden Arbeitgeber mit der Hälfte zur Krankenkasse und zur Rente schon genug zahlen. “Wenn jedes Mal draufgesattelt wird, geht das gegen die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft.”

Zum Nachlesen: Union will bei der Grundrente die Situation im Osten besonders berücksichtigen

Seiner Meinung nach, sei es Aufgabe des Staates, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Einige seiner Hamburger Mitarbeiter würden pendeln, da sie in der Großstadt keine Wohnung finden, die sie sich leisten können. Katrin Göring-Eckardt fordert: “Wir brauchen eine Mietpreisbremse, die wirklich funktioniert.” Und: “Wir brauchen Tausende von Wohnungen.”

Aufreger des Abends: Rentner und Familien in Notunterkünften

Guido Fahrendholz ist Publikumsgast und erzählt von seinen Erfahrungen als Koordinator einer Berliner Notunterkunft für Obdachlose. “Viele Vermieter sind gar nicht bereit, Menschen mit Sozialleistungen in ihre Wohnungen zu lassen.” Längst zählten unter die Wohnungslosen auch Vollzeitarbeiter, Familien, Rentner.

Gerade für ältere Menschen sei es eine Schikane, immer wieder Anträge bei den Sozialstellen ausfüllen zu müssen. “Warum werden diese Menschen ständig mit neuen Anträgen, mit Forderungen, die wie Drohungen ankommen, drangsaliert und gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt immer wieder einzufordern?” Der Selbstwert reduziere sich durch das “Betteln beim Staat”, was dazu führe, dass viele der Rentner resignierten.

Reinigungskraft Petra Vogel möchte nicht resignieren, sondern weiterhin für eine höhere Rente kämpfen. Sie fasst den Inhalt der Sendung treffend zusammen: “Solange nichts getan wird, sondern nur rumdiskutiert wird, wird sich für Rentner überhaupt nichts ändern.”

“Glauben Sie, dass Sie in den Genuss einer Grundrente kommen werden?”, fragt Anne Will am Ende. “Ja, aber die Grundrente, die Herr Heil anreißt, wird nicht ausreichen“, so die Gewerkschafterin. 40 Euro mehr im Monat hätte Vogel dann. “Da möchte ich wissen, wo der Respekt ist?”, so Vogel. “Ich möchte keine Respektrente, sondern eine Rente, mit der ich würdig altern kann.”

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