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Anne Will: Die neue Welt-Unordnung – Von Abrüsten, Aufrüsten und Ausrüstung

Anne Will diskutierte in ihrer ARD-Talkshow über die aktuelle globale Sicherheitslage und Deutschlands Rolle. Fotos: Screenshot ARD
Anne Will diskutierte in ihrer ARD-Talkshow über die aktuelle globale Sicherheitslage und Deutschlands Rolle. Fotos: Screenshot ARD

Killer-Roboter, Cyberwaffen, autonome Waffensysteme – die Waffengattungen, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt haben, klingen angsteinflößend. Und dann gibt es ja noch die Atomwaffen. Mit dem Aufkündigen des INF-Abrüstungsvertrags, durch die USA und Russland, ist das Thema „Wettrüsten“ so brisant wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Deutschland appelliert an den Frieden – doch die Sendung von Anne Will verdeutlicht: Rüstungsexporte sind elementarer Bestandteil deutscher Außenpolitik.

Es war eine denkwürdige Rede, die Angela Merkel auf der Sicherheitskonferenz in München hielt. Tosender Applaus und Standing Ovation von Außenministern und Sicherheitsvertretern der ganzen Welt. US-Präsident Trump, der nicht anwesend war, hat das wohl wenig begeistert. Schließlich kritisierte sie offen die amerikanische Außenpolitik und verteidigte das Pipeline-Projekt Nordstream 2 sowie das Iran-Atom-Abkommen.

Doch vor allen Dingen das drohende Ende des INF-Vertrags für atomare Mittelstreckenraketen schürt in Europa Ängste vor einem neuen Wettrüsten. Wie kann ein neuer Rüstungswettlauf verhindert werden? Und wie geeint ist Europa mit Blick auf die weltpolitischen Herausforderungen?

Muss Deutschland mehr militärische Verantwortung übernehmen?

Diese Fragen richtete Anne Will am Sonntag an:

  • Sevim Dağdelen (Die Linke)

  • Heiko Maas (SPD, Bundesaußenminister)

  • Georg Mascolo (Journalist)

  • Constanze Stelzenmüller (Denkfabrik: „The Brookings Institution Washington D.C.“)

  • Jürgen Trittin (Die Grünen)

Sie ist wieder zurück, die Unsicherheit vor dem atomaren Wettrüsten. Russland und die USA sind dabei einen Vertrag aufzukündigen, der für die Weltsicherheit essenziell ist. „Was wir im Moment erleben, ist tatsächlich eine neue Unordnung und eine große Verunsicherung gerade für uns Deutsche, weil wir uns fragen, in welche Phasen der Außen- und Sicherheitspolitik wir eigentlich eintreten“, sagt Journalist Georg Mascolo. Deutschland sei in den vergangenen Jahren eines der „glücklichsten Länder der Welt“ gewesen, doch nun verlieren sich viele dieser Ankerpunkte, die für uns selbstverständlich waren, auf denen unser Staatsverständnis ruht. Er meint damit unter anderem die USA als Sicherheitspartner.

„Wir werden uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Amerikaner die gleichen strategischen Schwerpunkte haben wie vor 50 Jahren“, sagt Jürgen Trittin von den Grünen. „Man dachte, man kann Trump aussitzen und hat festgestellt: Das wird nichts.“

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SPD-Außenminister Heiko Maas spricht von zwei Modellen, für die man sich entscheiden könne: Entweder jeder mache, was er wolle oder man versuche gemeinsam mit internationalen NGOs und der UNO Lösungen zu finden. „Multilateralismus“ ist das Schlagwort, auf das er hinaus möchte. Es war auch das Herzstück von Merkels Rede auf der Sicherheitskonferenz.

„Wir sind in Europa zerstritten wie noch nie.“

Constanze Stelzenmüller, Mitarbeiterin des Thinktanks „The Brookings Institution“, beobachtete auf der Sicherheitskonferenz, wie viele der Amerikaner im Raum aufgestanden sind und Angela Merkel applaudiert haben. Die Reaktionen auf die Rede von US-Vizepräsident Mike Pence seien hingegen verhalten gewesen: „Die Pence-Rede fand ich gespenstisch, sie hatte was Roboterhaftes und es war ganz peinlich, dass er immer Pausen gemacht hat und auf Applaus gewartete hat – und da kam nichts.“ In bilateralen Gesprächen hätten anschließend sowohl Demokraten, als auch Republikaner versucht, Pence ein Gegengewicht zu geben, nach dem Motto: „Wir sind für euch da. Denkt nicht, dass das gesamte Land hinabkippt.“ Das habe Stelzenmüller Hoffnung gemacht.

So sehen US-Politiker als Spielzeugfiguren aus

Außenminister Maas schließt sich dem an. Pence habe nur „freundlichen Applaus“ erhalten. Das zeige: „Der Weg, den wir eingeschlagen haben, können wir mit Zuversicht gehen, denn wir sind nicht allein da draußen.“

Doch Stelzenmüller sieht eine Herausforderung: „Wir sind in Europa zerstritten wie noch nie. Es gibt autoritär regierte EU- und Nato-Mitgliedstaaten, wie Ungarn und Polen. Das sind richtige Probleme.“

Mit China startet eine neue Weltpolitik

Journalist Georg Mascolo halte den Einfluss der Europäer auf ein Wettrüsten ohnehin für zu gering. Es hänge von Russland und den USA ab. “Und China”, betont Maas und weist mehrfach am Abend die Schlüsselrolle Pekings hin. Der INF-Vertrag sei unter anderem gekündigt worden, weil China ungestüm aufrüste, da es nicht am Vertrag beteiligt war. „Wenn man ernsthaft über Abrüstungskultur redet, dann geht das nicht ohne Chinesen heutzutage“, bringt er ein.

Laut Constanze Stelzenmüller befinden wir uns derzeit in einer „völlig neuen Weltpolitik“ mit neuer Großmächte-Konkurrenz. „Es ist Quatsch, wenn Sie sagen: Wenn alle aufrüsten, müssen wir abrüsten“, kritisiert sie Sevim Dağdelen von den Linken.

Heiko Maas (SPD) diskutiert mit Anne Will: “Wir geben vollkommen zurecht mehr Geld für die Bundeswehr aus.” Foto: Screenshot ARD
Heiko Maas (SPD) diskutiert mit Anne Will: “Wir geben vollkommen zurecht mehr Geld für die Bundeswehr aus.” Foto: Screenshot ARD

Maas: Keine Aufrüstung, sondern Ausrüstung

Zuvor sagte sie: „Abrüstung ist das Gebot der Stunde“. Sie würde Trump „die rote Karte“ zeigen. „Sicherheit und Verantwortung übernimmt man nicht, indem man mehr Geld in Militär und Rüstung reinpumpt.“ Die Aufkündigung des INF-Vertrages bedeute ihrer Ansicht nach, nichts anderes als den Verrat europäischer Sicherheitsinteressen durch die USA. „Dieser Vertrag ist für uns existenziell, für unsere Sicherheit hier in Europa.“ Sie wird konfrontativ: „Die ganze Wahrheit, Herr Maas, ist, dass diese Bundesregierung nichts unternommen hat, um diesen INF-Vertrag zu retten.“

Maas entgegnet, es sei nicht einfach, wenn die einzigen Vertragspartner, USA und Russland, gegen den Vertrag verstoßen. Zudem sei die Aufrüstung notwendig: „Wir geben vollkommen zurecht mehr Geld für die Bundeswehr aus“, so Maas. „Zu viele Hubschrauber, die nicht fliegen, zu viele Fahrzeuge, die nicht fahren, zu viele Schiffe, die nicht schwimmen.“ Deshalb habe das Geld, das in die Bundeswehr gesteckt wird, nichts mit „Aufrüstung“ zu tun, sondern mit „Ausrüstung“.

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Die hässliche Seite der Deutschen Außenpolitik

Jürgen Trittin von den Grünen mischt sich ein: Waffenexporte seien „die hässliche Seite deutscher Außenpolitik“. Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate seien massiv aufgerüstet worden und können dadurch ihre Kriege weiter betreiben. „Sie haben für eine Milliarde Euro in den Golfkrieg und in den Jemen-Krieg investiert“, so sein konkreter Vorwurf. „Wir können nicht zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik kommen und gleichzeitig Strategien verfolgen, die sich gegen Interessen Europas richten“, feuert Trittin weiter.

Tatsächlich ist dies ein Hindernis: Sollte es zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsstrategie kommen, müsste Deutschland seine Exportrichtlinien an die Briten oder Frankreich anpassen. Allerdings sind diese bei Waffenexporten weit freizügiger. Deutschlands Exporte sind hingegen die vergangenen Jahre gesunken.

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Allerdings verfolgt Deutschland ein bedenkliches Konzept. Constanze Stelzenmüller nennt es „gespenstisch“: Ertüchtigung. Andere Länder werden zum Krieg „ertüchtigt“, indem Deutschland ihnen Waffen liefert. Die Bundeswehr könne nur eine begrenzte Stückzahl von Waffen abnehmen, um die Stückzahl-Kosten gering zu halten – unbekümmert, ob die restlichen Waffen letztlich in die Hände von Diktatoren geraten. Daher sei es wichtig, die Rüstungsexporte zu europäisieren. Allerdings: Viele Abgeordnete befürchten, dass somit einer ihrer Bundeswehrstandorte geschlossen werden könnte, was das Vorankommen behindere.

Was nehmen wir mit?

Die Weltpolitik ist längst in einer neuen Ära angekommen. Mit China gibt es eine neue, einflussreiche Großmacht auf der weltpolitischen Bühne, die bei außenpolitischen Entscheidungen einen zentralen Platz einnehmen muss. Die USA verliert zunehmend ihre Rolle als Europas wichtigster Sicherheitspartner. Zeit, dass Europa sich zusammenschließt und eine gemeinsame Verteidigungsstrategie umsetzt. Anne Wills Thema ist also hochbrisant – obwohl die neue Welt-Unordnung längst besteht.

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