"Anne Will" - Till Brönner sieht Kultur-Branche "am Ende": "Wir haben den absoluten Voll-Lockdown!"

Seit Montag befinden sich die Menschen in Deutschland wegen der Corona-Pandemie erneut in einem Lockdown. Doch die Kulturbranche stecke bereits seit Anfang des Jahres in einem "Voll-Lockdown", monierte der Jazz-Musiker Till Brönner in der ARD-Talkshow "Anne Will".

Jazz-Musiker Till Brönner. (Bild: dpa)
Jazz-Musiker Till Brönner. (Bild: dpa)

Sein wütender Appell an die Politik traf vergangene Woche einen Nerv: In einer Videobotschaft hatte der Jazz-Musiker und Fotograf Till Brönner die verheerenden Folgen der Pandemie-Bekämpfung für die Kultur- und Veranstaltungsbranche beklagt. Der Beitrag wurde in den sozialen Medien millionenfach aufgerufen, geteilt und kommentiert. Da lag eine Einladung in Deutschlands Premium-Polit-Talk am Sonntagabend auf der Hand. Zumal Till Brönner hier mit Kanzleramtschef Helge Braun auf einen jener Entscheidungsträger traf, die er in seiner Video-Ansprache so heftig kritisiert hatte.

Till Brönner stieß spät zur Runde, die schon gut eine halbe Stunde über Sinn und Wirksamkeit der seit diesem Montag in Kraft getretenen Kontaktbeschränkungen debattiert hatte. Dann nahm der Trompeter Platz und hielt sich nicht mit netten Vorreden auf: "Wir sitzen ja nicht hier und finden den Lockdown-Light doof, sondern meine Branche hat ja das Problem seit Februar", schilderte der Musiker den Ernst der Lage in der Kulturlandschaft. "Wir haben den absoluten Voll-Lockdown. Und jeder in dieser Branche wusste am Tag eins, als das passierte, dass wir damit wahrscheinlich ein Jahr und viel länger noch zu tun haben werden."

Till Brönner bei "Anne Will": "Die sind am Ende. Die sind Hartz IV gerade"

Drei Konzerte habe er dieses Jahr gespielt. Zwei davon waren Open-Air, das dritte habe unter penibelst eingehaltenen Hygiene-Auflagen stattgefunden. "Die Menschen gehen ja nicht in ein Konzert, weil der Bundesgesundheitsminister das erlaubt, sondern weil sie sich sicher fühlen", zweifelte Brönner das neuerliche Verbot von Großveranstaltungen an. Die Folgen: Insgesamt 1,5 Millionen Menschen in der Veranstaltungsbranche seien in Deutschland von der Arbeitslosigkeit betroffen. "Die Gelder, um die wir gerade versuchen zu kämpfen, die sind zwar offiziell erstmal freigegeben worden, aber die entsprechen nicht der Lebens- und Berufswirklichkeit dieser Menschen", erklärte der Musiker. Viele seiner Kollegen und Mitarbeiter seien "am Ende. Die sind Hartz IV gerade."

Promis schlagen Alarm: Ist die Kultur nach dem Lockdown noch zu retten?

Der Chef des Kanzleramts ließ sich dadurch jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Kultur sei zwar "ein Herzstück unserer Gesellschaft", erklärte Helge Braun. Jedoch habe man "im ersten Teil der Sendung sehr deutlich gemacht, was gerade auf dem Spiel steht", nämlich der drohende Kollaps des Gesundheitssystems in wenigen Wochen. Und da gebe es nur ein wirksames Mittel "Wir müssen Kontakte reduzieren. Und deshalb müssen die Menschen auf ihr Freizeitverhalten verzichten." Dies gehe leider auch zulasten derer, "die beruflich in diesem Kontext unterwegs seien".

Helge Braun: "Deshalb ist klar, es ist notwendig, was jetzt geschieht." Allerdings sehe er auch die Verantwortung: "Wir müssen den Kulturschaffenden, den Gastronomen und diejenigen, die in diesem November für uns alle die Last tragen, ganz stark helfen." Mit der Anrechnung eines Jahresdurchschnitts anstelle des Vorjahres-November-Umsatzes sei man der besonderen Lage der vielen Soloselbstständigen in der Kultur gerecht geworden. "Dafür müssen sie sich auch nicht bedanken", erklärte der Kanzleramtschef.

"Anne Will": "Kein Mensch plant im Moment irgendetwas"

Brönner zur Seite sprang die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Auch die frühere Bundesjustizministerin kritisierte, dass Kinos und Theater trotz erprobter Hygienekonzepte schließen müssen, all dieser Aufwand sei offenbar vergebens gewesen. "Sie glauben ja alle nicht, dass ab 1. Dezember man einen Schalter umlegt und dann machen alle Theater auf und morgen sind alle Aufführungen da. Kein Mensch plant im Moment irgendetwas im Dezember oder Januar." Leutheusser-Schnarrenberger stellte fest: "Kultur wird anscheinend nicht als systemrelevant angesehen."

Campino: "Die Politik hat den Sommer verschlafen"

Hier grätschte Braun dazwischen. "Das hilft uns jetzt wirklich nicht weiter", erklärte er. Wir sind uns alle einig, wie wichtig Kultur ist. Aber vom Weg zum Kulturevent hin bis zu dem, was man danach tut: Wir müssen die Kontakte in der Gesellschaft reduzieren." Darauf konterte Leutheusser-Schnarrenberger: "Da können Sie auch die Fahrt zum Arbeitsplatz nehmen." Braun antwortete: "Sie würden hier genauso sitzen, wenn wir gesagt hätten, dann machen wir stattdessen die Schulen oder die industrielle Wirtschaft zu, dann wären Sie genauso der Meinung, dass das auf keinen Fall geht. Irgendwo müssen wir es tun."

VIDEO: Hintergrund: Jetzt kommt der Lockdown light