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Anne Will zur Landtagswahl in Bayern: Eine Watschn für die Platzhirsche

Anne Will und ihre Gäste debattieren über die Bayernwahl: Vor allem die SPD hat am schlechtesten Ergebnis aller Zeiten zu knabbern. Foto: Screenshot / ARD
Anne Will und ihre Gäste debattieren über die Bayernwahl: Vor allem die SPD hat am schlechtesten Ergebnis aller Zeiten zu knabbern. Foto: Screenshot / ARD

72 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab bei der Landtagswahl in Bayern. Damit sind neun Prozent mehr noch als vor fünf Jahren zur Urne gegangen. Ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit, ein Wille für Veränderung. Denn die CSU hat die absolute Mehrheit verloren und kann nur in einer Koalition weiterregieren. Die SPD hat das schlechteste Ergebnis aller Zeiten in einer Landtagswahl geholt, knapp unter zehn Prozent. Stattdessen sind die Grünen die Gegenbewegung zu den Christsozialen und zur zweitstärksten Kraft im Land geworden. Den meisten Zuwachs erhält aber die AfD. Gründe gibt es also genug für Anne Will ihre Runde zu fragen: Was bedeutet das Wahlergebnis in Bayern?

Eine Watschn für die Platzhirsche sei die Wahl – so eröffnet Anne Will ihre Sendung. Und darin stimmt auch Dorothee Bär überein, die stellvertretende Parteivorsitzende der CSU sagt: „Wir können uns über das Ergebnis nicht freuen. Ob es ein blaues Auge ist oder zwei, wir müssen jetzt analysieren, wie es weitergeht.“ Ja, die Analyse, die versprechen Vertreter der CSU seit der ersten Hochrechnung in alle Kameras. Dabei haben die beiden Parteivorsitzenden die Analyse in vorauseilendem Gehorsam schon vor der Wahl geleistet.

Sinngemäß wiedergegeben sagte Markus Söder, das schlechte Ergebnis der CSU sei Ausdruck der Bundespolitik. Er schob damit also Horst Seehofer und seinem Rücktritt vom Rücktritt, der Maaßen-Affäre, seiner die-Migration-ist-die-Mutter-aller-Probleme-Aussage und den vielen anderen irrlichternden Auftritten, den schwarzen Peter zu. Seehofer wiederum ließ das nicht lange auf sich sitzen und antwortete, die Wahlkampfstrategie in Bayern sei natürlich einzig Aufgabe des Ministerpräsidenten Söder. Und das Wahlergebnis somit dessen zweifelhafter Verdienst.

Darauf angesprochen sagt Bär: „Jetzt hätte ich fast flapsig gesagt: Männer. Ich glaube, Differenzen sind nie hilfreich.“ Personelle Konsequenzen innerhalb der Partei werde es aber wohl nicht geben. Vor der Sendung von Anne Will sagte Markus Söder in einem Kurzinterview sogar: „Ich gehe davon aus, dass meine Partei mich bitten wird, weiterzumachen. Jemand muss sie zusammenhalten und die Führung übernehmen. Auch ich kann mich weiterentwickeln.“

Dazu Melanie Amann, Politikredakteurin im Hauptstadtbüro des „Spiegel“: „Das ist erbärmlich. In der Geschichte der CSU mussten Parteivorsitzende schon für bessere Ergebnisse zurücktreten. Die CSU hat es geschafft, zwei Wählergruppen zu verprellen. Rechts und links der Mitte.“

Jörg Meuthen, Parteivorsitzender der AfD, sagt zu dem Wahlergebnis in Bayern: „Eine Oppositionspartei profitiert, wenn die Regierungspartei so arbeitet. Das Ergebnis in München ist hausgemacht. Seehofer kann sich erkennbar unter Merkel nicht durchsetzen. Seine Politik ist nicht glaubhaft. Wir sind die Partei mit den meisten Zuwächse.“ Dabei war die AfD in Bayern bislang nicht mal vertreten, ihr Ergebnis beruht ausschließlich auf Bundespolitik. Auch der Wahlkampf in Bayern war geprägt von Streitigkeiten und nur einem Thema: Migration.

Der SPD fehlt ein zentrales Thema

Das unterstreicht Bär ebenfalls, deutet das Wahlergebnis aber auf ihre Art: „Gott sei Dank hat Bayern weniger extremistisch gewählt, als andere Teile Deutschlands. Das war also eine große Klatsche für die AfD. Sie hat kein Angebot in Bayern gemacht. Ich kenne keinen einzigen Landespolitiker. Es gab keine Veranstaltungen, wo man als Bürger hingehen und sich informieren konnte.“

Annalena Baerbock, Parteivorsitzende der Grünen, setzt den Erfolg ihrer Partei, die Grünen haben ihr Ergebnis verdoppelt, mit einem Erfolg der Demokratie gleich: „Mich freut als Demokratin unseres Landes, dass wir mit einer Pro-Europäischen Politik, mit einer Klimapolitik und Weltoffenheit, Erfolg haben.“

Die SPD, in der Runde vertreten durch den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius, wurde im Übrigen noch kurz vor der Sendung abgewatscht von einer ARD-Umfrage. Frage: Woran liegen die schlechten Werte der ehemaligen Volkspartei? Antwort: Ihr fehlt ein zentrales Thema, mit dem sie Menschen begeistern kann. Es ist Zeit, sich in der Opposition zu erneuern. Man weiß nicht mehr, wofür sie steht. Klatsch. Aua.

„Viel Gutes kann ich an dem Wahlabend nicht herausarbeiten. Wir erleben jetzt das Ergebnis von Jahrzehnten unterschiedlich guter Politik. Wir müssen Haltung zeigen und uns nicht mehr ständig die Agenda von anderen zeigen lassen“, sagt Pistorius.

Politikwissenschaftler Michael Koß sieht in dem Ergebnis der Landtagswahl in Bayern einen bundesweiten Trend: „Das alte links-rechts-Schema funktioniert nicht mehr. Es ist eine pro-Europäisches-Flüchtlings-freundliches Strömung und eine nationalistische, vielleicht flüchtlingsfeindliche, Strömung. Diese Entwicklung ist strukturell. Die vollzieht sich, die kann man als Politiker nur beschleunigen oder verzögern.“

Unabhängig, wie sie darauf einwirken können, sehen die anwesenden Politiker den Grund für diese gesellschaftliche Trennung aber auch in eigenem Versagen. Pistorius: „Fatal ist, wenn Menschen Verlässlichkeit, Geradlinigkeit und Authentizität wollen, der Ministerpräsident in Bayern aber gleich nach Antritt scharf nach rechts schwenkt. Dann, weil die Umfrageergebnisse nicht das gewünschte Ergebnis zeigt, vom Gegenteil erzählt. Das merken die Wähler. Die sind nicht dumm. Dazu hat Seehofer Scheindiskussion um Scheindiskussion mit Merkel in Berlin geführt, um in München Boden gut zu machen. Neben der Performance haben wir also ein Glaubwürdigkeitsproblem der Politik. Wir liefern ein schauriges Bild ab.“ Er, Pistorius, hätte bei dem Trauerspiel auf Bundesebene längst Konsequenzen gezogen. Seiner Meinung nach hätte Angela Merkel von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen müssen und Horst Seehofer entlassen. Um endlich wieder in Ruhe arbeiten zu können.

Wer hat mehr mit Extremisten zu schaffen?

Amann sagt dazu, absolut zurecht: „Das ist ein kurioses Verständnis von Ruhe und Stabilität, wenn die Kanzlerin den Vorsitzenden des Koalitionspartners aus der Regierung werfen soll.“

Dann driftet die Debatte etwas ab zur AfD und ihrer, oft genug in der Öffentlichkeit zur Schau gestellten, Nähe zu Rassisten und Nazis: „Wir gehen entschlossen dagegen vor und haben in den letzten Monaten etliche Mitglieder entlassen“, sagt Jörg Meuthen dazu. Um danach dann den Grünen eine Nähe zur MLPD, einer vom Verfassungsschutz beobachteten linksextremen Partei, nachzusagen. „Wir sind eine demokratische, rechtsstaatliche Partei.“, sagt Annalena Baerbock nur. „Sie hingegen arbeiten offen mit Rechtsextremen zusammen. Die sitzen sogar in Brandenburg im Landtag.“

Melanie Amann: „Ich glaube, die AfD hat den point-of-no-return überschritten. Herr Meuthen kann sich nicht auf einem Parteitag hinstellen und sagen, er möchte nichts mehr von Umvolkung hören oder von Negern. Es gibt eine hui-AfD und eine pfui-AfD. Sie spielen hier die hui-AfD vor. Dabei bedienen sie den anderen Flügel, Björn Höcke zum Beispiel, mit dem Sie auch sehr gern paktieren, hintenrum. Wenn Sie sich gegen den Flügel stellen, sind sie weg. Wie Frauke Petry.“

Wie sind wir nochmal hierhergekommen? Es ging doch um die Bayernwahl? Egal. Es ist der Abend danach. Viel kann die Runde bei Anne Will da noch nicht klären oder beitragen. Positiv stimmt hingegen, dass alle Gäste froh sind, über die hohe Wahlbeteiligung, dass sie mahnen, den Wählerwillen anzuerkennen. Vielleicht erinnern sich die Politiker in Deutschland langsam wieder, für wen sie den Job eigentlich machen. Nicht für sich selbst.