Anträge offenbaren Misstrauen - Beim Grünen-Parteitag droht ein Basis-Aufstand – es geht auch um Habecks Rolle

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Wirtschaftsminister Robert Habeck will Kanzlerkandidat der Grünen werden.Anna Ross/dpa

Die Anträge für den Grünen-Parteitag im November zeigen das Misstrauen der Basis gegenüber ihrem Spitzenpersonal. Die Ampel-Politik nervt viele nur noch. Statt einer Krönungsmesse für Robert Habeck könnte die Veranstaltung nun zur großen Abrechnung werden.

Parteitage sind ein gutes Mittel, um Aufmerksamkeit bei Wählern und Medien zu generieren, das eigene Spitzenpersonal zu inszenieren und politische Botschaften an Mitbewerber zu adressieren. Eigentlich sind Parteitage aber vor allem dazu da, damit eine Partei sich ausführlich mit sich selbst beschäftigen kann.

Die Grünen werden Letzteres bei der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz, wie es bei ihnen im Parteisprech heißt, voraussichtlich sehr ernst nehmen. In rund einem Monat werden rund 800 Delegierte in Wiesbaden zusammenkommen. Aber bereits jetzt toben bei den Grünen die ersten Inhalts-, Strategie- und Personaldebatten. Die Anträge und Änderungsanträge der Delegierten vermitteln das Bild einer Partei, an deren Basis es heftig brodelt.

Gegensätzliche Anträge zur Migrationspolitik

Auf der inhaltlichen Ebene ist vor allem mit Streit in der Migrationspolitik zu rechnen. Bei der Delegiertenkonferenz vor einem Jahr konnten die beiden Grünen-Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock gerade noch verhindern, dass der Parteitag Verschärfungen im Asylrecht blockiert. Beendet hat das den Streit – der sich zwischen Regierungspolitikern und Basis, aber auch Realos und Linken abspielt – nicht.

In den Anträgen für die Delegiertenkonferenz 2024 fordert ein Antrag zum Beispiel die Einschränkung des Familiennachzugs, Abschiebung von Straftätern nach Syrien sowie mehr Grenzkontrollen. Das würde die grüne Linie in der Migrationspolitik deutlich nach rechts rücken.

Dem gegenüber steht ein Antrag, der im Wesentlichen ein „Weiter so“ will. Der Fokus der Forderungen liegt auf der Bekämpfung von Fluchtursachen und einer besseren Integration. Unterstützt wird das unter anderem vom Parteilinken Erik Marquardt, der für die Grünen im Europaparlament sitzt und als Seenotretter aktiv war.

Kompetenzteam statt Kanzlerkandidat Habeck

Mindestens so bemerkenswert wie die inhaltliche Auseinandersetzung sind die Anträge, die sich mit dem Miteinander in der Partei beschäftigen. Zuvorderst wird Habeck einen kleinen Aufstand gegen sich abwehren müssen. Für den Wirtschaftsminister soll der Parteitag eigentlich die Krönungsmesse für seine Kanzlerkandidatur werden. Dagegen gibt es aber vom Kreisverband Coburg-Land und rund 50 weiteren Antragstellern Widerstand.

In zwei wortgleichen Anträgen fordern sie, für den Bundestagswahlkampf ein Kompetenzteam zu präsentieren, statt einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Ihre beiden Argumente sind ein Misstrauensvotum gegen Habeck: Zum einen seien die Erfolgsaussichten einer Kanzlerkandidatur bei den aktuellen Umfragewerten „absolut unrealistisch“. „Der Kurs zur bürgerlichen Mitte ist gescheitert“, begründen sie zum anderen – ein Kurs, für den Habeck wie kein anderer in der Partei steht.

Ein erster Warnschuss für die neuen Parteivorsitzenden?

Insofern dürfte auch spannend werden, mit welchem Ergebnis die Habeck-Vertraute Franziska Brantner an die Parteispitze gewählt wird. Die Vorgänger Ricarda Lang und Omid Nouripour wurden 2022 mit 75 beziehungsweise mit 82,5 Prozent der Stimmen ins Amt gehievt. Ohne (ernsthafte) Gegenkandidatin wäre ein Ergebnis, das dahinter zurückbleibt, ein erster Warnschuss.

Unabhängig davon muss sich die neue Parteispitze mit weiteren unangenehmen Basis-Anträgen beschäftigen. So fordern mehr als 60 Delegierte, dass der Bundesvorstand künftig verpflichtend in einem Transparenzbericht Rechenschaft darüber ablegen muss, wie er die Basisbeschlüsse auf den Parteitagen umsetzt. Auch das ist als Misstrauensvotum gegen die Führung angesichts der Ampel-Kompromisse zu verstehen.

Neue Wege bei der Personalbesetzung

Zudem wollen einige Grünen-Mitglieder, dass künftig nicht mehr beide Parteivorsitzende im Bundestag sitzen dürfen – das verstoße nämlich sonst gegen die Tradition der Grünen, Parteiamt und Mandat zu trennen. Da Brantner und ihr designierter Co-Vorsitzender Felix Banaszak beide ein Mandat im Parlament haben, müsste mindestens einer von beiden im Falle einer solchen Regelung auf den Sitz im Bundestag verzichten.

Auch wenn sowohl die Anträge zum Kompetenzteam als auch zur Ämtertrennung eher geringe Erfolgsaussichten haben, sprechen sie dafür, dass der Fundi-Flügel sich auf alte Traditionen besinnen will. Pragmatischer denkenden Realos dürfte das nicht gefallen. Erst kürzlich hatte zum Beispiel die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta bei FOCUS online für eine stärkere Personalisierung in der Partei geworben . Das Ende der Ämtertrennung oder gar der Doppelspitze würde allerdings wiederum die linken Traditionalisten verärgern.

Ganz neue Wege bei der Personalbesetzung will der Kreisverband Unna gehen: Er greift die oft an die Grünen herangetragene Kritik auf, dass deren Spitzenpersonal kaum Berufserfahrung außerhalb der Politik habe. Deshalb fordert der Verband in einem Antrag, dass bei der Listenaufstellung für Landtags- und Bundestagswahlen künftig mindestens jeder fünfte Kandidat mindestens sieben Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik mitbringen muss.

Grüne Basis drängt auf offene Debatte

Sowohl die inhaltlichen als auch die personellen und strategischen Konflikte wurden lange angesichts zunächst guter Umfragewerte, später aufgrund einer gewissen Regierungsdisziplin weitestgehend unter der Oberfläche gehalten. Mit den Rücktritten von Lang und Nouripour hat sich nun ein Zeitfenster geöffnet, in welchem die Basis darauf drängt und die Gelegenheit bekommt, endlich wieder Grundsatzfragen zu diskutieren.

So sprechen sich einige Grüne in einem Antrag zum Beispiel dafür aus, auf dem Parteitag mehr Debatte zuzulassen. Auf die Vorstellung einer Idee und einer Gegenrede soll demzufolge eine Erwiderung und eine erneute Gegenrede folgen dürfen. Andere wollen bei der Befragung der Vorstandskandidaten mehr Zeit einplanen. Beides würde die zeitliche Planung der Delegiertenkonferenz gehörig durcheinanderbringen.

Grünen droht offene Diskussion über Ampel-Aus

Angesichts des Ampel-Frusts muss die Parteitagsregie aber ohnehin mit Überraschungen rechnen. Zum Beispiel fordern 53 Mitglieder explizit eine ausführliche Diskussion über das Für und Wider eines Verbleibs in der Ampel-Koalition . Sie fragen: „Ist es nicht zielgerichteter, vielleicht sogar notwendig, die Regierung zu verlassen, damit wieder deutlich wird, wofür wir Grüne wirklich stehen?“

Der Bremer Landesvorstand fordert sogar, für Koalitionen klare „grüne Linien“ zu ziehen, die nur mit einer Urabstimmung überschritten werden dürfen. Wenn „Grundwerte und der Anspruch, mit dem wir als Grüne politisch angetreten sind, grundsätzlich unter die Räder geraten, hat unsere Kompromissbereitschaft auch Grenzen“, begründeten die Antragsteller.

Bei all dem Konfliktpotenzial ist es also nicht ausgeschlossen, dass wieder Spitzen-Grüne wie Habeck und Baerbock in die Bresche springen müssen, um einen Basis-Aufstand zu verhindern. Deutlich drängender als bei der vergangenen Delegiertenkonferenz wird sich dann allerdings die Frage stellen, ob sie dafür noch das politische Gewicht besitzen.