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"Applaus kann nicht alles sein"

Nicht nur Kaffee kochen, hier wird angepackt: Gemeinsam mit fünf anderen Prominenten absolvierte Patrick Lindner ein Praktikum als Pfleger in einem Berliner Krankenhaus. Für die SAT.1-Serie "Die Herzblut Aufgabe - Promis in der Pflege" (Montag, 18. Oktober, 20.15 Uhr) arbeitete der 51-Jährige in der HNO- und Adipositas-Station. (Bild: SAT.1 / Andre Kowalski)

Arbeiten, wo andere Doppelschichten machen: Schlagerstar Patrick Lindner absolvierte ein vierwöchiges Pflege-Praktikum in einer Berliner Klinik. Ein Gespräch über verängstigte Patienten auf dem Weg in den OP, sehr frühe Frühschichten und Niedriglöhne im Pflegebereich.

Es müssen nicht immer Hemd und Jacket sein, Schlagerstar Patrick Lindner kann auch einen weißen Pfleger-Kittel tragen. Sein Outfit dürfte allerdings die geringste Sorge des Sängers gewesen sein, als er im Sommer für die Sendung "Die Herzblut-Aufgabe - Promis in der Pflege" (ab Montag, 18. Oktober, 20.15 Uhr, SAT.1) Mikrofon gegen Handschuhe und Kanülen tauschte. Vier Wochen lang absolvierte der 51-Jährige ein Pflege-Praktikum in der HNO- und Adipositas-Station eines Berliner Klinikums. Unterstützt von einer Mentorin, sollte der gebürtige Münchner den schweißtreibenden Krankenhausalltag aus nächster Nähe erleben. Im Interview spricht Lindner über emotionale Momente mit Patientinnen und Patienten, die Zeit, als seine Mutter pflegebedürftig wurde, und das drohende Nachwuchsproblem im Pflegeberuf.

teleschau: Herr Lindner, was war Ihre Motivation, dieses Praktikum zu absolvieren?

Patrick Lindner: Ich habe mir gedacht: "Wann hast du die Gelegenheit, noch mal in so einen interessanten Beruf reinzuschnuppern?" Die Herausforderung hat mich schon sehr gereizt, obwohl ich ein Mensch bin, der Krankenhäuser immer gemieden hat. Gott sei Dank musste ich als Patient nie dort sein. Aber auch als Besucher habe ich mich gerne davor gedrückt und dafür öfter von meiner Familie eine Schelte bekommen. In einer Klinik zu arbeiten ist nochmal eine andere Nummer.

teleschau: Also hat Überwindung eine große Rolle gespielt?

Lindner: Mit Sicherheit, ich hatte etwas Angst vor den Apparaturen, aber auch vor den Geschichten im Krankenhaus. Schon bei der Einweisung habe ich gedacht: "Puh, ich weiß nicht ob ich das jetzt so hinkriege." Aber die Zweifel haben sich innerhalb kürzester Zeit aufgelöst. Plötzlich konnte man Dinge leisten, die man sich nicht hat vorstellen können. Das hat mich wiederum fasziniert. Schon am zweiten Tag liefen ein paar Handgriffe routinierter.

Ein Herz für die Pflege? In Deutschland gibt es noch viel Nachholbedarf, um den wichtigen Beruf attraktiver zu gestalten, wie Patrick Lindner während seiner Zeit an einer Berliner Klinik berichtet wurde. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)
Ein Herz für die Pflege? In Deutschland gibt es noch viel Nachholbedarf, um den wichtigen Beruf attraktiver zu gestalten, wie Patrick Lindner während seiner Zeit an einer Berliner Klinik berichtet wurde. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)

"Ich konnte die Ängste der Patienten spüren"

teleschau: Hatten Sie einen Draht zu Patientinnen und Patienten?

Lindner: Über mehrere Tage entsteht einfach ein Vertrauen zueinander. Wenn ich Patienten etwa zur OP gefahren habe, konnte ich ihre Ängste spüren. Die Frage war dann: Wie kann ich diesen Menschen jetzt beruhigen, wie kann ich ihn begleiten bis dahin? Das waren Momente, die in den Tagen der Pflege und der Genesung zusammengeschweißt haben. Bei der Entlassung hat man sich dann auch mal in den Arm genommen. Das war sehr schön.

teleschau: Aber nicht immer läuft alles glatt ...

Lindner: An einen meiner ersten Patienten kann ich mich gut erinnern. Er war etwas älter, schon längere Zeit da und hatte einen Luftröhrenschnitt. Wir haben den Mann dann entlassen - was ja immer ein freudiges Ereignis war -, nur kam er zu Hause nicht zurecht. Plötzlich war der Patient, den du gerade weggeschickt hattest wieder da. Solche Situationen gab es immer wieder.

teleschau: Wer ist Ihnen sonst noch besonders im Gedächtnis geblieben?

Lindner: Eine junge Patientin bekam aufgrund ihrer Krebserkrankung die Schilddrüse entfernt, und ihr Hals war an der Wunde so angeschwollen, dass sie einen Luftröhrenschnitt benötigte. Auch die Stimmbänder waren betroffen. Der Arzt hätte ihr gesagt, dass es noch nicht ganz sicher sei, ob sie jemals wie zuvor werde sprechen können. Das war natürlich für ein junges Mädel mit 18 bis 20 Jahren wahnsinnig schlimm. Für die ist natürlich eine Welt zusammengebrochen. Diese Patientin habe ich auch die ganze Zeit begleitet.

teleschau: Können Sie einen besonders emotionalen Moment herausgreifen?

Lindner: Meine Mentorin hat irgendwann gesagt, diese Patientin würde wieder sprechen. Zuvor habe ich die Frau nur im Bett erlebt, traurig und in sich gekehrt. Plötzlich lachte sie mich an, drückte auf die Sprechkanüle und sagte zu mir: "Ich habe gerade mit meiner Mutter telefoniert, und die hat mir nicht geglaubt, dass Sie hier sind. Können wir ein Foto machen?" Ich habe mit ihr emotional so viel durchgemacht und gelitten. Sie hat dann auch erfahren, dass ihre Stimme wieder in Ordnung kommt. Nichtsdestotrotz hatte sie immer noch mit dem Krebs zu kämpfen. Das sind Geschichten, die einen nach Hause begleiten.

Patrick Lindner (links) muss als Praktikant spuren. Die Ansagen macht seine Mentorin, Pflegerin Nadja (Mitte), die mit 24 Jahren nicht einmal halb so alt ist wie ihr Schützling. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)
Patrick Lindner (links) muss als Praktikant spuren. Die Ansagen macht seine Mentorin, Pflegerin Nadja (Mitte), die mit 24 Jahren nicht einmal halb so alt ist wie ihr Schützling. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)

"Ein soziales Vierteljahr hätte keinem jungen Menschen geschadet"

teleschau: Wie stark war generell die physische und psychische Belastung?

Lindner: Ich habe das eher unterschätzt. Wir haben sehr viele Frühschichten gemacht, da musste ich um sechs Uhr in der Klinik sein. Man hat dann zwar ab nachmittags frei, aber ich bin manchmal um sieben Uhr abends im Bett gelegen - im Juni, es war taghell! Einfach, weil ich so kaputt war. Für einen Künstler, der eher abends auf der Bühne steht, ist es schon ungewöhnlich, um 4.30 Uhr aufzustehen. Das war nicht so meine Zeit, muss ich ehrlich sagen (lacht).

teleschau: Waren Sie denn in Kontakt mit den anderen Promi-Praktikantinnen und Praktikanten?

Lindner: Ja, wir waren alle in der gleichen Berliner Klinik. Wir haben uns in den Pausen getroffen und sind oftmals auch zusammen zum Dienst gefahren. Da konnten wir uns etwas austauschen. Jede Station hat natürlich ihre schönen und schwierigen Seiten. Am Anfang dachte jeder: "Hoffentlich komme ich auf die Kinderstation." Später wusste man: Auch auf der Kinderstation geht es hart her, und auch Kleinkinder müssen zum OP-Tisch gefahren werden. Manche haben wirklich Rotz und Wasser geheult.

teleschau: Wie sahen denn Ihre medizinischen Vorkenntnisse aus?

Lindner: Klar, jeder hat mal einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, aber da konnte sich bei der Einführung niemand mehr dran erinnern. Natürlich ist es schlimm, dass sich kaum jemand traut anzupacken, wenn heute Erste Hilfe gebraucht wird. Was dem Pflegeberuf fehlt, ist unter anderem der weggebrochene Zivildienst, den wir früher hatten. Damals gab es noch viele Menschen, die in Erste Hilfe ausgebildet wurden und den Angestellten in Pflegeeinrichtungen unter die Arme greifen konnten.

teleschau: Würden Sie den Zivildienst wieder einführen?

Lindner: Ich plädiere für ein soziales Vierteljahr oder dergleichen. Das hätte glaube ich keinem jungen Menschen geschadet. Ich finde, das müsste eigentlich Pflicht sein.

teleschau: Hätten Sie mit einem sozialen Beruf geliebäugelt, wenn es mit der Schlagerkarriere nichts geworden wäre?

Lindner: Ich komme ja aus der Gastronomie und Hotellerie und habe Koch gelernt. Ich wäre auf jeden Fall eher in diesem Beruf geblieben. Kontakt zum Pflegeberuf hatte ich erst, als meine Mutter pflegebedürftig wurde. Zu Beginn hatten wir das noch selbst so gut es ging in die Hand genommen, bis wir eine 24-Stunden-Pflegekraft brauchten. Da hat man schon gesehen, was es bedeutet, rund um die Uhr für jemanden da sein zu müssen. Dann musste meine Mutter ins Pflegeheim, und es ist wieder ein anderer Eindruck für mich entstanden: "Wahnsinn, was in der Altenpflege so alles abverlangt wird." Dann habe ich dort gefragt, wie ich helfen kann.

teleschau: Kann man denn helfen?

Lindner: Ja, indem man sich zusammensetzt, Geschichten erzählt oder auch mal singt. Der Leiter des Altersheims meinte, es wäre schön, wenn ich musikalisch etwas zum jährlichen Oktoberfest beitragen dürfte. Das ist auch nach dem Tod meiner Mutter so geblieben.

Neben Patrick Lindner (dritter von links) tauchen auch Schauspieler Wayne Carpendale, Schauspielerin Jenny Elvers, Model Jorge González, Model Lilly Becker und Comedian Faisal Kawusi (von links) für vier Wochen in den Pflegeberuf ein. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)
Neben Patrick Lindner (dritter von links) tauchen auch Schauspieler Wayne Carpendale, Schauspielerin Jenny Elvers, Model Jorge González, Model Lilly Becker und Comedian Faisal Kawusi (von links) für vier Wochen in den Pflegeberuf ein. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)

"In Zukunft geht es um den Nachwuchs"

teleschau: Inwiefern kann Musik sozialen Nutzen haben?

Lindner: Es ist ein großes Geschenk für mich, seit vielen Jahrzehnten mit der eigenen Berufung Menschen glücklich zu machen. Ich hatte schon den Eindruck, dass Menschen durch die Musik viel Kraft und Freude gewonnen haben. Für viele meiner Fans bin ich auch eine Art Vertrauensperson, der sie in Briefen ihr Herz ausschütten oder von der sie nach einem Konzert in den Arm genommen werden wollen.

teleschau: Wie haben Sie denn die Diskussion um die Pflege im Zuge der Corona-Pandemie wahrgenommen?

Lindner: Wir haben "Die Herzblut-Aufgabe" gemacht, um aufzuzeigen, was alles hinter dem Pflegeberuf steht. Diese Menschen lieben ihren Beruf, aber finden, dass der Lohn angesichts der Verantwortung nicht der Rede wert ist. Sie sagen: "Wir werden hier ein Stück weit psychisch erpresst." Die können nicht auf die Straße gehen und erklären: "So jetzt streiken wir mal für einen höheren Tarif."

teleschau: Es gab mehr Aufmerksamkeit, doch bisher nicht mehr Lohn.

Lindner: Klar haben sich die Pflegekräfte gefreut, dass ihr Beruf in der Corona-Krise ein bisschen mehr wertgeschätzt wird, aber von Applaus haben die nichts. Das kann nicht alles sein. Wenn Pflegekräfte mit 2.500 Euro brutto nach Hause gehen, können die keine Familie ernähren. Dazu haben sie aber einen Beruf, bei dem sie ihr Hirn anstrengen müssen, körperlich gefordert sind und manches auch emotional noch mit nach Hause nehmen.

teleschau: Haben Sie Hoffnung, dass sich bald etwas ändert?

Lindner: Das ist eine große Aufgabe, und ich hoffe sehr, dass sich etwas tut in Politik und Gesellschaft. Viele junge Menschen wären bereit, diesen Beruf zu ergreifen. Aber wenn sie perspektivisch keine Aussichten haben, ist das fast unmöglich. In Zukunft geht es um den Nachwuchs. Ich bin Teil eines geburtenstarken Jahrgangs und weiß nicht, wie das irgendwann mal funktionieren soll.

Pflegerin Nadja nahm Patrick Lindner vier Wochen lang mit und zeigte ihr den Krankenhausalltag. Direkt nach einer kurzen Einweisung wurde der Schlagersänger ins kalte Wasser geworfen. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)
Pflegerin Nadja nahm Patrick Lindner vier Wochen lang mit und zeigte ihr den Krankenhausalltag. Direkt nach einer kurzen Einweisung wurde der Schlagersänger ins kalte Wasser geworfen. (Bild: SAT.1 / André Kowalski)